Wie und warum man Leser beschimpft

Leserbeschimpfung? Ja, ich gebs zu: Die gestatte ich mir zuweilen. Nicht weil sie, die Leser, lieber Steinfest als Rudolph lesen, das Krimijahrbuch nicht kaufen oder ihnen alte Krimis am Allerwertesten vorbeigehen. Schon gar nicht, weil ich Leser (das „innen“ denke man immer mit) für dumm hielte. Tue ich gar nicht. Ich stelle mir bloß vor, wie diese Leser zu Konsumenten herabgewürdigt werden, wie man ihnen ohne Unterlass die Ohren volllügt, sie an allen Gliedmaßen zerrt, kurz: Wie man sie systematisch verdummen möchte.

Denn die schlimmste Beschimpfung von Lesern ist die, sie nicht ernst zu nehmen. Genau das, sie ernst zu nehmen, tue ich aber – oder hoffe doch zumindest, es zu tun. Aber bevor ich mich hier in Theorie verliere – schnell ein Blick in die Abgründe des Alltags:

„Winslow ist – völlig richtig – nicht Hiaasen, und ein an den Handel gerichteter Werbetext für ein Buch (denn schließlich wollen wir ja alle, dass es gelesen wird, oder? auch in der vorzüglichen Übersetzung …) ist keine Rezension.“

Dies schreibt, als Kommentar zu einer →Rezension bei Bernd Kochanowski, jemand, der sich Karsten Kredel nennt und vorgibt, Lektor bei Suhrkamp zu sein (ich formuliere das hier deshalb so vorsichtig, weil sich im Internet natürlich jeder Karsten Kredel nennen und vorgeben kann, Lektor bei Suhrkamp zu sein). Und selbst, wenn es sich hier wider Erwarten um ein Fake handeln sollte, erzählt uns „Karsten Kredel“ doch die bittere Wahrheit. So ist es, wir wissen es alle, dass aber ein Akteur es offen zugibt (oder zugeben könnte, ohne dass ein Aufschrei der Empörung durch Krimistan hallt), nun, das spricht Bände hinsichtlich des Fortgeschrittenseins der Leserbeschimpfung qua versuchter Leserverdummung.

Natürlich ist dieser Werbetext nicht nur an den Handel gerichtet. Er steht auf der für jedermann zugänglichen →Website des Verlags. Und selbst, wenn es nur an den Handel gerichtet wäre – was finge dieser anderes damit an, als die Behauptung, bei Winslow handele es sich um eine Art Artgenossen von Hiaasen, an seine Kundschaft weiterzugeben? Dass Werbetexte keine Rezensionen seien, ist genauso falsch wie es die Behauptung wäre, Rezensionen seien keine Werbetexte. Wer zu dem Schluss kommt, Winslow und Hiaasen seien irgendwie miteinander verwandt, verkündet die Conclusio einer Beschäftigung mit dem Text, die man gemeinhin „Kritik“ oder „Rezension“ nennt. Das ist genau das, was ich als Kritiker auch tue. Komme ich zu dem Schluss, Winslows Bücher eigneten sich für Hiaasen-Leser, dann möchte ich diese Hiaasenleser dazu ermuntern, auch Winslow zu lesen. Ich werbe also.

Und, ja, „natürlich wollen wir ja alle, dass es gelesen wird, oder?“ Oder genauer: Dass es gekauft wird. Daraus kann man einem Verlag keinen Strick drehen. Nun ist es aber so, dass hier ganz offensichtlich der potentielle Leser nicht ernstgenommen wird. Man versucht, ihm ein Buch unterzuschieben, das er vielleicht gar nicht lesen möchte. Möglicherweise ist es ganz großer Mist (bei Winslow scheint dies nicht der Fall zu sein, wenn ich Bernd vertrauen darf – und ich vertraue ihm), aber die Werbekampagne so erfolgreich, dass plötzlich 200.000 Leute diesen Mist kaufen.

Und genau hier kommt die verpönte Publikumsbeschimpfung ins Spiel. Ich schreibe eine Rezension, in der ich nachzuweisen versuche, dass und warum das Buch schlecht ist und nur durch Hype erfolgreich werden konnte. Ich sage also dem Leser: Pass auf. Man hat ein böses Spiel mit dir gespielt, und du bist darauf reingefallen. Ich verstehe das durchaus, denn es ist nicht leicht, ein Spielball mächtiger Interessen zu sein. Du bist aber zu arglos. Du bist nicht dumm, du bist überfordert, es kann gar nicht anders sein. Du solltest aufpassen. Dieses ganze Geschäft beruht nun einmal auf der Strategie, „das Volk“ peu à peu zu verdummen, das weißt du im Grunde deines Herzens auch. Fernsehsender machen das zum Beispiel auch (und manche, die bei Fernseh- und anderen Sendern ihr täglich Brot verdienen, setzen die Verdummungsstrategie nach Feierabend gewohnheitsmäßig im Internet fort, es gibt halt kein richtiges Leben… etc.). Wenn ich dich, Leser, also gelegentlich anpfeife, dann nur, damit du dir bewusst wirst, was du für DIE eigentlich bist: ein Konsument. Etwas, das nur so lange von Belang ist, wie es Geld hat und dieses Geld auch ausgibt.

Doch. Die Leser geringzuschätzen, als bloße, trickreich zu manipulierende Masse zu verachten – das ist die eigentliche Beschimpfung. Um darauf aufmerksam zu machen, nehme ich manchmal den schweren Säbel anstatt des eleganten Floretts. Das gefällt nicht jedermann, aber damit muss ich leben.

4 Gedanken zu „Wie und warum man Leser beschimpft“

  1. Lieber dpr, als Mensch, der Sprache zu analysieren weiß, solltest Du aber bitte, bitte nicht in die Klischeefalle tappen. Es gibt keine „Strategie, das Volk … zu verdummen“, nirgends. Wie sollte ein solcher Masterplan denn aussehen? Und wer setzt ihn um? Und welche Absicht verfolgte man da?

  2. Mir ist vollständig bewusst, dass so etwas ein Klischee ist, liebe Astrid. Ich bekenne mich dennoch dazu. Wenn ich mir die Welt, in der ich lebe, so anschaue, erkenne ich überall verstärkte Aktivitäten, Menschen in irgend einer Weise zu präparieren: damit sie bessere Konsumenten werden, unkritischere Betrachter etc. Dafür wird auf allen Ebenen einiges aufgeboten. Immer neue Nebenkriegsschauplätze, um von den wahren Konflikten, vor denen wir stehen, abzulenken, immer banaleres Entertainment mit immer hochtrabenderem „Anspruch“. Gleichzeitig wird gnadenlos simplizifiert, jeder komplexe Zusammenhang auf einen griffigen Slogan runtergebrochen. Es werden „Sondersendungen“ zu Klinsis Entlassung gefahren, ein Aufschrei geht durchs Land, wenn mal für vier Stunden das Handy streikt, ein Buch ist anscheinend nur noch dann ein gutes Buch, wenn man es schnellstmöglich runterlesen kann…
    Doch, ich sehe die Taktik dahinter. Das mag kein Masterplan sein, da existiert kein mächtiges Gremium im Hintergrund – nein, es ist viel schlichter: Man hat erkannt, dass Menschen, die keine großen Ansprüche mehr ans Selberdenken haben, viel leichter zu manipulieren sind. ALso tut man alles, ihnen das Selberdenken abzunehmen. Dass es nicht immer und überall klappt, daraus speist sich mein Fünkchen Hoffnung, dass die Sache sich doch noch zum Guten wenden könnte. Vielleicht ist das, was einst Klischee war, inzwischen Wirklichkeit geworden? Würde ins Bild passen.

    bye
    dpr

  3. ach, lieber dpr, ich weiß nicht, vor wem ich mich mehr fürchten soll — vor denen, die mich zum armen manipulierten Depperl machen, oder vor denen, die mir erklären, daß ich ein armes manipuliertes Depperl bin.

    Beste Grüße!

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