Meine Fresse, was für ein stressiger Tag gestern! Krimikulturblog beziehfertig machen, die Leutchen reinlassen – umständlicher als erwartet, aber allmählich schlurfen sie ins gemachte Nest und beziehen ihre Zimmer. Dann große Zulassungsprüfung, schließlich sind wir die zukünftige Krimielite.
Folgende Frage galt es zu beantworten: Wenn Eric Ambler am 28. Juni 1909 geboren wurde, wie alt wird er dann nächsten Sonntag? Danach große Krisensitzung des Prüfungsausschusses. Können wir Antworten wie „über 70!“ , „Mönsch, ders ja schon fast in Rente, wa?“ oder „So alt wie Johannes Heesters, mindestens“ zulassen? Nun ja. Kommt ungefähr hin, da wollen wir mal ein Auge zudrücken… und morgen gibts wieder Programm wie immer. Und im schönen neuen Blog sind weiterhin →Zimmer frei…
Kleiner Spickzettel für alle, die sogar vor der IG-Krimi-Aufnahmeprüfung Schweißhände bekommen: die richtige Machoantwort lautet „um zigtausend Manneskräfte jünger als deutsche Popliteratur“.
Vorurteilsfreie Grüße,
tkl
Und wie wollen wir jetzt die Spreu vom Weizen trennen? Sie haben der Krimikultur einen schlechten Dienst erwiesen, lieber tkl! Muss ich mir ne neue Frage ausdenken… War Donald Westlake der Schwager von Richard Stark oder doch eher der Bruder?
bye
dpr
Wie wär’s mit: War Richard wirklich stark?
William Faulkners Roman „Flags in the Dust“ wurde zig Male von Verlagen abgelehnt, er wollte das Schreiben aufgeben (sich umbringen auch), war dann irgendwann doch bereit umzuschreiben und hat vieles ganz neu gemacht. Wieder hagelte es Ablehnungen. Irgendwann die große Überraschung, ein namhafter US-Verlag will das Manuskript, wenn es um 25 Prozent gekürzt wird. Faulkner unterschreibt schließlich wütend, lässt andere Leute Änderungen machen etc. Das Buch erschien letztlich unter dem Titel „Sartoris.“ Gutmeinende Kritik und Ratschläge („Du hast 5 Bücher in einem geschrieben“) kontert Faulkner: Eben, das ist meine geniale Imagination. Ihr erkennt alle mein Genie nicht, wollt es unterdrücken…
Literarische Kultur, ist das nicht in hohem Maße die Unterdrückung der Autoren durch Verlage und Lektorate? Diese Unterdrückung hat sicher nützliche Seiten. Aber kann es sein, dass beim Krimi diese Unterdrückung besonders weit reicht, da es hier ja vermeintlich um Unterhaltung geht, somit die Bedürfnisse des Lesers im Vordergrund stehen und darüber die Verlagsexperten natürlich besonders gut bescheid wissen? Wenn dem so sein sollte: Neigt die Krimiliteratur der größeren Verlage dazu, stilistisch und inhaltlich immer einseitigeren Prinzipien zu folgen, auf die man sich stillschweigend festgelegt hat und die von Autoren oft auch nicht infrage gestellt werden können, ohne ihre Chance auf Veröffentlichung extrem zu mindern? Wobei der ausgehandelte Weg nicht a priori einfacher und unterhaltsamer als andere sein muss, irgendwann aber leichter konsumierbar, da gewohnt. Wenn dem so ist und der Autor in eine vorgegebene Kultur eintaucht, die sein Bewusstsein prägt obwohl sie qualitativ nicht zwingend ist… müsste es viele ungeschriebene oder unveröffentlichte Bücher geben, die nur aus kulturellen nicht aber literarischen Gründen ungedruckt bleiben.Da sie zum Beispiel nicht Kategorien entsprechen wie: zu viele Details stören die Spannung, die Hauptfigur muss so und so aufgebaut sein und funktionieren, es muss handfeste Zeiten und Orte geben, Worte dienen nur der Spannung, Atmosphäre und Psychologie etc etc. Ungedruckte geniale Bücher vielleicht.
Wenn Experten sich mit „Krimikultur“ befassen und entdecken, dass wir ohne sinnvollen Grund immer konventioneller denken und wenn sie Autoren ermutigen, William Faulkner zu glauben oder William Faulkner dabei unterstützen, unterhaltsame Sachen zu schreiben, dann applaudiere ich.
und Ammer lobt Temme (DLF)!
Eine sehr erfreuliche Nachricht, mein lieber JL! Und da verlinken wir zur Feier des Tages mal gleich aufs Ammer-PDF.
Zum Thema „unveröffentlichte Romane“ oder, noch krasser, „unentdeckte Genies“ kann ich mir den Verweis auf meinen demnächst erscheinenden Krimi „Arme Leute“ nicht verkneifen… nicht dass dieses Buch von einem unentdeckten Genie geschrieben worden wäre (ich bin ja spät, aber immerhin entdeckt worden – und außerdem für den Geniekult zweihundert Jahre zu spät geboren), aber so ein wenig wird davon auch die Rede sein.
Ob Autoren unterdrückt werden? Jedenfalls sind sie bei den meisten Verlagen besser gelitten, wenn sie „verkäuflich“ schreiben. Das gilt für Krimis im Besonderen. Die Floskel „klasse, aber unverkäuflich“ ist mir nur allzu bekannt, dennoch denke ich schon, dass es immer wieder Verlage gibt, die auch mal ein Risiko eingehen. Es sind die kleineren Verlage, die idealistischen Verleger, diejenigen am ökonomischen Abgrund. Zwar gibt es „Unverkäufliches“ auch mal bei den Großen – gelobt sei die Mischkalkulation, wenn der populäre Hühnerkrimi einen sperrigen Krimi durchs Programm schleppt. Wird aber immer seltener.
Krimikultur muss IMMER die jungen Faulkners ermutigen und versuchen, ihnen ein Podium zu verschaffen. Das bedeutet: öffentliche Plattformen, Diskussionskultur. Ein junger Leser soll nicht glauben, die gesamte Krimiwelt bestehe nur aus den wohlfeil in den Buchhandlungen ausgelegten Bestsellern und „Klassikern“. Deshalb muss er sich informieren können. Das ist wie „eine andere Welt entdecken“. Daran arbeiten wir. Und jeder darf mitarbeiten.
bye
dpr
bei aller Sympathie, lieber dpr, halte ich’s (bezüglich Ihres vorletzten Satzes) mit Ringelnatz:
Denn mancher Gast will weitergehn
Und will nichts stehen lassen
Und seine Klexe ungesehen
Nur werfen, wo sie passen.
Beste Grüße!
Mein lieber DPR, ich fühle mich nicht richtig verstanden: Wenn ich das Wort „Krimikultur“ ernst nehme, kommt mir der Gedanke, dass viele Autoren zwangsläufig Überzeugungen aufsaugen, die ihnen von der einzigen Instanz geboten werden, die für sie zunächst relevant ist: Den Verlagen. Schon beim ersten Gespräch mit Lektor xy schleicht sich etwas ins Hirn ein und es wird von Selbstzweifeln genährt: Glaube lieber daran als an dich selbst. Eitelkeit und der Wunsch zu publizieren geben den Rest. Auf diese Weise, über viele Jahre, entsteht eine bestimmte Krimikultur und es braucht des Geniegefühls (Ich Tarzan, wo Liane zu Faulkner?) um dagegen etwas auszurichten. Aber vielleicht kann ja auch Dein Verein was tun.
Mir hat „Sartoris“ immer besser gefallen als „Flags In The Dust“.
Auch sonst hat Faulkner von Marktdruck & Lektoratserwartungen durchaus profitiert. Seine potboilers, wie er sie verächtlich nannte, mögen nicht die Klasse von „The Sound and the Fury“ haben. Aber wenn Faulkner faulknern durfte, kam eben auch schon mal „A Fable“ heraus. Und wer weiß, wie ihm die Stories verwuchert wären, wenn er nicht auf Magazinakzeptanz hätte achten müssen.
Der Markt ist nicht immer nur ein Übel.
Wirtschaftsliberale Grüße,
tkl
Der Verlag als einzige relevante Instanz? Nein, so sollte es nicht sein. Um es einmal ganz hart zu sagen: Herr über mich bin ich immer noch selber. Wenn ich als Autor keinen Erfolg habe, weil ich auf irgendwelchen Märkten nicht reüssiere, dann habe ich eben keinen Erfolg. Natürlich kann es wichtig sein, von den Ratschlägen eines Lektors / Verlags zu lernen. Manches lernt man auch selbst, zum Beispiel gewisse Vorurteile gegen „das Triviale“ abzulegen. Wer jung und ambitioniert ist, schreibt immer gegen das Publikum. Mit der Zeit sollte man lernen, das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Das hat nichts mit Anbiederung zu tun. Dahinter steht die Einsicht, nicht für sich selbst,sondern für andere zu schreiben. Ich gehe einen Schritt auf das Publikum zu, damit das Publikum einen Schritt auf mich zu geht. – Wobei ich andererseits gestehen muss, dass mich wirklich sperrige Bücher reizen. Nur selber schreiben möchte ich sie nicht mehr. LektorInnen achte ich, weil sie manchmal ganz blödsinnige Fehler finden…
bye
dpr
klar, wertvolle Instanzen, auch Auslese und so und ohne Lektorat wäre einer wie Thomas Wolfe nie über ein Buch hinausgekommen. Interessant finde ich das Thema aber trotzdem und mir fällt ein Interview mit einer namhaften Gegenwartsautorin ein (seltsamerweise habe ich ihren Namen vergessen), die beklagte: Ein Reihe von in den Feuilletons hochgelobten Autoren können nicht von ihren Buchverkäufen leben, eher von Literaturpreisen. Und da sie die Geschmäcker bestimmter Juroren mit der Zeit gut kennen, formulieren sie ihre Texte weder für Verlag, noch für den normalen Leser, sondern für die Damen und Herren, die ihnen ihre Stimme geben. Nur ein Beispiel wie „Schreibkultur“ und „Lesekultur“ entstehen können. Oft unbewusst, aber für den Leser hier und da spürbar. Vermute ich.
.. und die Verlage würden die Preise selbst mitinitiieren, um ihren Autoren etwas Gutes zu tun, und die schwer verkäuflichen Texte drucken, um das Prestige in den Feuilletons zu ernten…Genialer Kreislauf
Dass AutorInnen jenseits der guten Verkäuflichkeit nicht von den Revenüen ihrer Stahlfeder (Zitat!) leben können, ist kein Phänomen der Jetztzeit. Aber stimmt schon: Es haben sich Strukturen entwickelt, die affirmative Literatur begünstigen, auch auf dem Krimisektor. Der ist zwar relativ preisfrei, aber natürlich ebenfalls in Netze eingebunden, in „Trends“. Dennoch: Die (Kriminal-)Literatur lebt davon, dass alle zehn, zwanzig Jahre jemand kommt und dieses ganze System auf den Kopf stellt. Dann wird (Krimi-)Kultur wenigstens partiell neu zu definieren sein. Kultur, die nicht ständig im Fluss ist, widersprüchlich und fragil, ist eine Institution. Da viele Menschen von solchen Institutionen leben, kann es nicht überraschen, dass Kultur immer wieder zum Versteinern und Verknöchern tendiert. Wenn ich von „Krimikultur“ spreche, dann immer auch als das Schaffen von Strukturen, die gegen die alten Strukturen anstinken können. Und wenn sie das geschafft haben, muss man sofort neue aufbauen…
bye
dpr
apropos Thomas Wolfe: Der ist gar nicht so weggesperrt, wie ich dachte. Neuübersetzung von „Look homeward angel“ und Artikel im Standard von Arno Geiger. >Und als William Faulkner auf seiner Liste der wichtigsten amerikanischen Autoren ebenfalls Thomas Wolfe an die erste Stelle setzte, war Hemingway beleidigt. Faulkner, zur Rede gestellt, rechtfertigte sich, Wolfe stehe deshalb ganz oben, weil er es gewagt habe, alle Stilregeln den Hunden hinzuwerfen, um einen Weg zu finden, seine Erfahrungen in Worte zu fassen. Später fügte Faulkner hinzu, Wolfe gebühre deshalb der erste Platz, weil sein Werk das „feinste Scheitern“ repräsentiere.<