Michael Robotham: Dein Wille geschehe

Handy-Thrill. Wer noch nicht von einem notorischen Endlos-Anrufer selbst belästigt wurde, kennt das inzwischen aus dem Kino und weiß, welch dramatische Ausmaße solch fernmündliche Verbindung annehmen kann. Auf jeden Fall, so lassen uns geläufige Filmtitel wissen, darf man ‘Nicht Auflegen’ (USA, 2002), denn der ‘Final Call’ (USA, 2004) bestimmt von nun an über dein Leben, wobei der Täter mit ‘Eagle Eye’(USA, 2008) dem Opfer immer mehrere Schritte voraus scheint. Bei so viel Hollywood-Telefonat-Thrill drängt sich die Frage auf: Schon wieder Telefon-Terror?

In Dein Wille geschehe erzählt Michael Robotham das nicht ganz neue Thema so völlig ohne Hektik, aufgeladen mit innerer Komplexität, mit immer neu ansetzenden Spannungsbögen, als habe er den Handy-Thrill höchst selbst (erneut) erfunden. Und dabei spielt er mit seiner Story und seinem Personal, völlig auf Schnickschnack verzichtend, über die lange Distanz (567 Seiten) auf Top-Niveau.

Definitiv Selbstmord, so lautet das Urteil der Polizei, die vor Ort mitverfolgen konnte, wie eine verzweifelte, wahrscheinlich verwirrte Frau, von der Clifton Bridge in Bristol in den Tod sprang. Lediglich der eher durch Zufall hinzugezogene Psychologie-Professor Joe O’Loughlin hat Zweifel. Zu Recht, wie sich bald herausstellen wird, denn für den Täter hat die Vorstellung gerade erst begonnen, und in den nächsten Akten will er noch mit einigen Opfern sein perfides Spiel treiben. Was ist sein Motiv? Nach welchem Muster wählt er die Opfer aus? Wie ist es möglich, dass ein monströser Manipulator den ‘freien Willen’ des Menschen auslöscht? Und das Opfer dann in ‘mittelbarer Täterschaft’ seinen (Frei-)Tod selbst verschuldet.

Joe O’Loughlin, der durch seine Parkinson-Erkrankung gehandicapt ist und voller Selbstzweifel und Sorgen seine Ehe belastet, zieht seinen alten ‘Freund’ Detective Inspector a. D. Ruiz hinzu. Während er sich selbst immer tiefer in die Ermittlungen verstrickt, entfernt er sich immer mehr von seiner Frau Julianne, kommt der Tochter eines der Opfer beinah zu nah und gerät in einer tumultartig verlaufenden Pressekonferenz der Polizei endgültig ins Visier des Mörders.

Unerwartet oft lässt Robotham seinen renommierten Psychologen irren, falsche Schlüsse ziehen, die zu fatalen Konsequenzen führen. Das ist virtuos, wie der Autor das Stolpern im Falschen, die Verlockung des infektiösen Zweifels und des Irrtums durchvariiert, ohne seine Figuren zu demontieren. In alternierenden Passagen erzählen Joe und sein Gegenpart, der Manipulator mit Elite-Ausbildung, vom tragischen Geschehen. Hierbei erweist sich die gedoppelte Ich-Perspektive als Glücksgriff, denn so tief diese dem ureigenen Kosmos der Figuren Robothams entspringt, so subtil verweist sie aus den individuellen Wunderlichkeiten auf die des Gegenübers.

Recht unverliebt in den eigenen Stil, sehr feinfühlig, fast wie schüchtern aber immer souverän erzählt Robotham eine nahezu unglaubwürdige Geschichte absolut überzeugend. Zuweilen gleitet der Ton fast ins Lyrische, um dann umso brutaler wieder im beklemmend grausamen Geschehen aufzuschlagen. Dabei verführt Robotham mit geschliffenem Wortwitz sowie leisem Humor, die aber – ein wenig absurd mag es klingen – die tiefere Tragik des Textes umso mehr akzentuieren.
Ausnahmen gibt es immer wieder: Alles schon da gewesen, eigentlich nichts Neues auf dem Papier? Und doch – Dein Wille geschehe ist so clever erdacht und famos erzählt, dass der Roman neben dem Thrill einfach grandiose Lektüre liefert.

Michael Robotham: Dein Wille geschehe. 
(Shatter, 2008) Roman. Deutsch von Kristian Lutze.
München: Goldmann 2009. 567 Seiten. 19,95 Euro.

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