Der vorgestrige Wahlsonntag war eine Sternstunde für die deutsche Kriminalliteratur. Hat das allvierjährliche Stimmenevent doch dem Genre, das ja von sich behauptet, es produziere „Gesellschaftsromane“, ein auf den neuesten Stand gebrachtes Regelwerk beschert, ein perfektes How-to-do-it, ein selbst für die Minderbegabteren locker in Hochspannungsliteratur umzusetzendes Vademekum dessen, was unsere Gesellschaft definiert.
Erste und wichtigste Neuregelung: Die übliche Strategie, am Ende eines Kriminalromans den oder die Täter seiner oder ihrer gerechten Strafe zuzuführen, ist endgültig passé. Nach der größten Bürgerenteignung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde von den Hintermännern nur der notorisch hinfälligste abgestraft: die SPD. Derweil die anderen, durchaus aktiveren ihre Belohnung empfangen durften. Wieder einmal stellt das darwinsche „Survival of the fittest“ seine immerwährende und globale Gültigkeit unter Beweis.
Einiges getan hat sich auch bei der Methodik des Ermittelns. Völlig out ist akribische, mit hohem Personal- und Technikaufwand in Szene gesetzte Tatortarbeit. Keine Fingerabdrücke werden mehr gesichert, genetische schon gleich gar nicht, ja, selbst die Todesursache interessiert höchstens noch peripher. Das Opfer ist tot – mehr muss man nicht wissen. Ein schönes Äquivalent zur Finanzkrise, deren Fundierung – das Ungleichgewicht von Kapital und Arbeit – eh wurscht ist, wenn nur die Boni der Bonzen vielleicht, d.h. eventuell, also möglicherweise nicht mehr so hoch sind wie bisher, also im Regelfall gar nicht, sondern im Gegenteil. Und warum eine Schulreform, wenn man den Seifenspender auf der Mädchentoilette reparieren kann? Auch daraus lassen sich munter Schlüsse für die neue deutsche Kriminalliteratur ziehen: Wenn dir ein Fall über den Kopf wächst, lieber Ermittler, verhafte einfach den nächsten Gärtner, der dir über den Weg läuft.
Wesentliches wird sich auch beim Verhören möglicher Verdächtiger tun. So wie die FDP damit durchkommt, ihre jahrelange Ideologie einfach zu leugnen („Haben wir ganz anders gemeint.“) und dennoch ministrabel aus der Wäsche zu schauen, so genügt es nun, wenn der Hauptverdächtige beteuert, „es nicht gewesen“ zu sein. Okay. Wenn der es schon sagt, wird’s wohl stimmen, also lassen wir ihn laufen und spendieren ihm noch ein Taxi.
Ergänzt werden muss auch das Arsenal der Vergehen, welche krimirelevant sind. Neu: Das Geben mit der einen Hand, während die andere die Wohltaten flugs wieder wegnimmt. Zwar nicht brandneu, aber mit überraschenden Varianten muss gerechnet werden („Natürlich wollen wir die Mehrwertsteuer nicht erhöhen. Aber die EU zwingt uns dazu.“).
Auf Neuerungen sollte man sich auch in der Terminologie gefasst machen. Keine Sorge – ein Diebstahl bleibt ein Diebstahl, ein Mord ein Mord. Kleine Diebstähle bis zu einem Schadenswert von 1 Euro 30 heißen fürderhin aber „Kündigungsgrund“, Morde ab etwa 100 Leichen sollten als „Krise“ bezeichnet werden. Noch nicht entschieden ist, ob Kriminalliteratur in Zukunft überhaupt noch von Verbrechen handeln soll. Gibt es die überhaupt? Wäre es nicht empfehlenswerter, wenn sich das Genre auf „Irrtümer“ konzentrieren würde? Irrtum mit Todesfolge, zum Beispiel. Oder „dumm gelaufen, Staatsbankrott“. DAS gibt Gesellschaftsromane!
Na, dann freuen wir uns auf deutsche Spitzenprodukte wie WESTERWELLE WING und NAPOLEON BONIPATE. Schade, dass Oscar die Fontäne für die Rolle type-casting-mäßig ungeeignet ist. Zum Trost enden aber alle neuen Gesellschaftsromane/-filme/-serien happy, indem Tschentzlah Mörkel sowieso alle in ihre neuerdings mitgeführte DinA4-Handtasche steckt. Wartet’s ab, Jungs!
Aloha – P.