SKI -1-

Eine Mischung aus Lesung und Hörspiel. Ein dramatisiertes Hörstück,
sozusagen“
, nennt Initiator und Mitautor →Ulrich Noller das Projekt „SKI – Serie Krimi International“. In der Tradition der französischen Série Noire, „aber nicht ’noir‘, sondern knallbunt: Urban, multikulturell, global“ soll es sein, und jetzt, nachdem die letzte der sechs Folgen gesendet wurde, ist Zeit für ein kleines Fazit in zwei Teilen.

Die Reihe wartet mit einer sympathischen und ungewöhnlichen Grundidee auf. Fünf AutorInnen schreiben die von Noller und Gök Senin in der ersten Folge entwickelte Geschichte zu jeweils eigenständigen, in sich abgeschlossenen Hörspielen weiter. Dabei ist das erzählerische Korsett, in dem sich die Verfasser zu bewegen haben, eng und weit zugleich. Zwei ermittelnde Personen mit ihren biografischen Hintergründen gibt es, die Fälle selbst sind sozusagen „frei“. Da die Reihe vom „Funkhaus Europa“ des WDR getragen wird, steht naturgemäß die Situation von MigrantInnen im Zentrum der Geschichten.

In der ersten Folge, „Çelik und Pelzer“, legen Noller und Senin den Grundstein für alles weitere. Wir lernen Murat Çelik und sein Schicksal kennen: Deutschtürke, Expolizist, die Mutter nach einem Erdbeben im Koma, die restliche Familie dabei getötet worden. Zehn Jahre lang hat er in Deutschland gelebt, dann mit der Mutter Hals über Kopf das Land verlassen. Der Vater, einer RAF-Splittergruppe nahestehend, ist angeblich tot. Dann meldet sich ein anderer Terrorist – Darius – bei Çelik und fragt nach dessen Mutter. Was will Darius, selbst erst nach langjähriger Haft entlassen, von ihr? Çelik fliegt nach Köln. Er sucht Darius auf – und findet ihn sterbend, Schussverletzung. Irgendjemand, so viel ist schnell klar, hat einen Rachefeldzug gegen ehemalige Mitglieder der Terroristengruppe begonnen. Der Name „Jeanne“ und das Datum 18.09.1977 spielen eine Rolle dabei. Bloß – welche? Der sterbende Darius bittet Çelik, seine Tochter aufzusuchen, die nichts von ihm weiß. Ines Pelzer, eine Psychologin. Sie arbeitet mit Autisten, die in einer Wohngemeinschaft leben. Es handelt sich genauer um „Savants“, die über unglaubliche Fähigkeiten verfügen. Menschen mit fotografischem Gedächtnis, Menschen mit vollen Erinnerungsspeichern, die sie beliebig durchforsten können. Çelik und Pelzer machen sich nun auf die Suche nach dem Täter und seinem Motiv, wobei sie von den Fähigkeiten der Savants profitieren.

Zugegeben: Das ist eine Menge Holz, was uns Noller und Senin hier aufstapeln. Beim Stichwort „Savants“ denkt man natürlich sofort auch an Stieg Larsson und seine – angebliche – Savante Lisbeth Salander. Gottlob bleibt es bei diesem spontanen ersten Gedanken. Und Çelik selbst kommt zunächst allzu vom Leben gebeutelt rüber. Dennoch – und das ist ein Verdienst der Autoren – entwickelt sich aus diesem scheinbaren Sammelsurium eine plausible Biografie, deren anfängliche Überfrachtung sehr schnell schwindet. Man weiß ja auch, dass all diese dramatischen Spuren ausgelegt werden mussten, um den nachfolgenden Autorinnen und Autoren Wege aufzuzeigen. Ihren Fall lösen Çelik und Pelzer nach knapp 80 Minuten auf durchaus nachvollziehbare Weise.

Kommen wir zur Machart des Ganzen. Es ist tatsächlich eine Mischung aus Hörspiel und Lesung, drei Sprecher (zwei für die Hauptfiguren, einer fungiert als Erzähler), dazu die Musik von Matthias Manzke. Ein Experiment ist SKI ergo inhaltlich und konzeptionell, keinesfalls jedoch technisch-dramaturgisch. Was nicht per se schlecht sein muss.

Für die zweite Folge – „Leever dood as slaav“ – zeichnet Merle Kröger verantwortlich. Çelik und Pelzer verschlägt es in den hohen Norden, nachdem ein Anruf Çelik auf die Spur seines doch angeblich toten Vaters gebracht hat. In welcher Beziehung steht er zu der Inderin, die Çelik angerufen hat? Sie war vor Jahrzehnten die erste ausländische Moderatorin im deutschen Fernsehen, „ein Relikt des Kolonialzeitalters“, wie sie selber sagt. Tatsächlich ist Çeliks Vater nicht tot, sondern lebt in einem Pflegeheim auf Amrum. Dort erwartet man einen Bollywoodstar, der aber nicht erscheint. Stattdessen ist der Betreiber eines Bollywoodportals tot und das Ermittlerduo Çelik und Pelzer mitten in einem neuen Fall.

Eine Story, die wenig überrascht, wenn man die Bücher von Merle Kröger kennt. Sie fügt eine neue Facette zum Thema Migration und zeigt zugleich den Glamour jenes harmlosen „Multikulti“ einer globalisierten Unterhaltungsindustrie. Die Geschichte selbst ist, nun ja, ein wenig hektisch erzählt. Hier zeigt sich denn auch ein Fallstrick der Konzeption: Wie in den beliebten Krimiserien müssen Daten von Folge und Folge transportiert werden, um die Handlung zu verstehen. Das kann zu Lasten des eigentlichen Falles und seiner Glaubwürdigkeit gehen. Kröger kriegt die Kurve zwar, zu überhören ist dennoch nicht, dass dabei die Reifen ihres Vehikels manchmal bedenklich quietschen…

Auf die dritte Folge war ich besonders gespannt. Norbert Horst, der „Tiefe Schnitte“ geschrieben hat, ist als Spezialist für „subjektives Erzählen“ bekannt, eine Methode, die sich mit der eher traditionellen Umsetzung des SKI-Projekts nicht gut vertragen dürfte und eigentlich nach einer anderen Auffassung von Hörspiel verlangt. Mehr direkte Dialoge, weniger Narration, der Erzähler also eher überflüssig, mehr „Atmo“, mehr Sprecher… Doch auch Horst fügt sich dem Schema – und das macht er gut.

Çelik und Pelzer sind zurück in Köln. Eine Lehrerin sucht sie auf und berichtet von einer verschwundenen kurdischen Schülerin. Die Polizei konnte nicht helfen. Bei den Ermittlungen gerät Çelik, der ehemalige Polizist, an eine Gruppe Kurden, die einst in türkischen Gefängnissen gefoltert wurden. Sie glauben in Çelik einen ihrer Quälgeister zu erkennen und wollen sich rächen…

Insgesamt ist Horsts Sprache schneller, auch pointierter, vor allem jedoch gelingt es ihm, beide Erzählstränge stimmig zu verzahnen. Auch transportiert er weniger „Stammdaten“ durch seine Geschichte, konzentriert sich mehr auf den eigentlichen Fall.

Zwischenfazit: Das Kriminalhörspiel hat es hierzulande nicht leicht, was ihm zum Teil selbst anzulasten sein dürfte. Die Reihe „Radio-Tatort“ ist nach anfänglicher medialer Resonanz ziemlich in der Versenkung verschwunden, Anschluss an die allgemeine Entwicklung des Mediums Hörspiel mit seinen Collagetechniken, semidokumentarischen Ambitionen etc. hat es bis heute nicht gefunden. Das traditionelle Erzählen dominiert weiterhin. Auch beim SKI-Projekt. Dessen Potential liegt darum auch mehr auf anderem Gebiet. Unterschiedliche Autoren behandeln inhaltliche Vorgaben auf ihre ganz besondere Weise, sie fügen sich einem Diktat, bewegen sich auf eingegrenztem Terrain, das sie individuell auszumessen versuchen. Spannend ist das allemal. Und nach der Hälfte des Hörmarathons auch durchaus gelungen. Die aus der Tagespolitik hinlänglich bekannten Stich- und Reizworte „Migration, Parallelgesellschaft, Integration etc.“ werden in Geschichten mit jenem alltäglichen Leben erfüllt, das unter ideologischen Ballast verschüttet zu werden droht. Also nicht nur spannend, sondern auch notwendig, weil in unterhaltsamer Manier aufklärerisch. Freuen wir uns auf die drei weiteren Arbeiten von Sabina Altermatt, Nathan Markov und Pieke Biermann. Demnächst mehr. Alle sechs Folgen lassen sich übrigens bequem auf der Homepage des Funkhauses Europa →anhören / downloaden. Möglicherweise nur eine begrenzte Zeit…

dpr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert