Harri Nykänen hat die Seiten gewechselt. Wanderten wir bisher mit seinem Serienhelden Raid, einem ausgewiesenen Gangster, durch die finnische Normal- und Unterwelt, tun wir dies nun mit dem Polizisten Ariel Kafka. Die sofort fällige Namensassoziation spielt keine Rolle; wohl aber das, was dahintersteht. Denn Ariel Kafka ist Mitglied der kleinen jüdischen Gemeinde von Helsinki und die wird in „Mord vor Jom Kippur“ kräftig durcheinander gewirbelt.
In der Nähe des Hauptbahnhofs findet man zwei Leichen. Araber. Es bleiben nicht die einzigen, bei den Ermittlern läuten die Alarmglocken. Steht doch der hohe jüdische Feiertag Jom Kippur vor der Tür und, als wäre dies nicht genug, auch noch der israelische Außenminister. Ist ein Attentat geplant? Alles spricht dafür. Gerüchte machen die Runde, der Geheimdienst mischt kräftig und undurchsichtig mit, die Honoratioren der jüdischen Gemeinde setzen Kafka unter Druck. Keine angenehme Situation für den Polizisten, zumal er schnell feststellen muss, dass auch der israelische Gemeindienst Mossad seine Fäden zieht, an denen gute Freunde, ja, sogar Verwandte von Ariel zu hängen scheinen.
„Mord vor Jom Kippur“ ist ein Polizeiroman reinsten Wassers. Verbrechen, Ermittlungen, falsche und richtige Spuren, im Dunkel tappendes Personal, das seiner undankbaren Arbeit nachgeht. Und ein Protagonist, dessen Konturen mit großer erzählerischer Ökonomie gezeichnet werden, erkennbar, aber nicht hyperrealistisch in allen gängigen Farben des Klischees gepinselt. Etwas, das auch für das sonstige Personal zutrifft, was den Roman erfreulich lesbar macht. Ansonsten entwickelt Nykänen ein doppeltes Genrebild von arabischen und jüdischen Einwanderern, ihren Problemen, ihren Riten, dem Labyrinth der „großen Politik“, das sich als Einbahnstraße entpuppt.
Denn um diese „große Politik“ geht es letztlich. Gute Ratschläge fliegen Kafka von allen Seiten zu, doch der Polizist bleibt misstrauisch. Mit jeder – vorgeblichen – Erkenntnis offenbaren sich die Verwicklungen ein wenig mehr, man appelliert an Kafkas Jüdischsein, doch dahinter stehen handfeste Interessen. Nichts ist so, wie es scheint und weil dem so ist und weil Kriminalliteratur genau so sein sollte, bleibt auch der Leser sämtlicher Komplikationen ungeachtet in der Spur der dramaturgischen Absichten.
Nun gut; am Ende dieses auch stilistisch konventionell und solide erzählten Textes häufen sich die Volten der Handlung. Andererseits: Wenn so etwas Komplexes wie das Verhältnis von Juden und Arabern ins Spiel kommt, wären simple Lösungen wohl auch fehl am Platze. Nykänen umschifft auch diese Klippe mit Bravour. Sein Roman zeigt, wie man selbst im abgelegenen Finnland nicht frei von globalen Zwängen leben kann, wie einen die eigene Herkunft und Religion einholt, wie sich die Taten aus Überzeugung und die aus schnöder Geldgier untrennbar vermengen. Das macht „Mord vor Jom Kippur“ zum tragfähigen Beginn einer neuen Reihe, von der man sich einiges erhoffen darf.
Harri Nykänen: Ariel. Mord vor Jom Kippur.
Grafit 2009
(Ariel. Jännitysromaani. 2004. Deutsch von Regine Pirschel).
282 Seiten. 17,90 €