Hirnüberzuckerung

„Es gibt keinen großen Roman, der nicht auf einem gesunden Fundament aus Trivialität stünde.“

Ah, denkt man, hier wird’s interessant. Und dann auch noch in der „Welt“. Mit obigen Worten macht uns →der Alligator Lust auf →Hannes Steins Artikel zu dem, was der Amerikaner „Brain Candy“ nennt, der Deutsche aber „Trivialliteratur“ oder, wenn er gerade seinen nichtakademischen Tag hat, „Flughafenliteratur“.

Also nichts wie hin zu Hannes Steins Erkenntnissen… Doch recht schnell stutzen wir: „Die Autoren: C wie Child, K wie Koontz, S wie Slaughter, ich könnte jetzt das ganze Alphabet durchdeklinieren.“ Es handelt sich offensichtlich um Kriminalliteratur und zwar um solche von höchst unterschiedlicher Qualität. Lee Child in einem Atemzug mit Karin Slaughter zu nennen, das hat schon was, und ganz bestimmt wird der Autor das gleich differenzieren, so wie man die „Hirnzuckerl“ ja auch nicht in einen Topf wirft, die handgerührte Schokolade und das klebrige Industriebonbon etwa. Indes: Nichts ist damit. „…gestelzte Dialoge, dämliche Klischees, künstliche Spannungsverstärker usw.“, das alles befindet sich laut Herrn Stein in Trivialliteratur, und wir wollen ihm auch gar nicht widersprechen, aber doch so langsam erfahren, worauf er eigentlich hinaus will. Warum liest man das Zeugs? – Nun, sagt Herr Stein, weil man „hier noch eine Rückbindung an die ältesten, will sagen: mythischen Schichten der Literatur spürt.“ Nach einem abschreckenden Beispiel erläutert er uns auch, was denn diese „mythischen Schichten“ sein könnten: „…wieder einmal die uralte Geschichte von dem Ritter, der das Monster in seiner Höhle stellt und mit einer Lanze durchbohrt“. So, so.

Natürlich, erfahren wir weiter, handelt es sich dabei nicht um wirkliche Literatur, denn Brain Candy macht nicht „satt“, d.h. stillt nicht das, was echte Literatur stillt: „den Hunger nach Selbsterkenntnis“. Hm. Ich lach ja jetzt gar nicht. Ich bin immer noch gespannt, wann die Sache von dem großen Roman kommt, der auf Trivialität fußt. Genau – das stehts auch gleich: Es gibt keinen großen Roman etc… „Kontakt mit dem mythischen Urstoff alles Erzählens“… Jetzt wird’s interessant!

Denkste. Der Text ist nämlich zu Ende. Nichts mehr. Kein einziges Beispiel, nichts Genaues über diesen ominösen Urstoff weiß der Autor nicht, wir müssen jetzt wohl die Weltliteratur alleine nach Rittern und durchbohrten Monstern durchforsten.

Eins aber wissen wir: Was wir hier gelesen haben, war Brain Candy. Mit gestelzter Arroganz, dämlichen Klischees und künstlichen Spannungsverstärkern wie dem, uns die Zusammenhänge von „hoher und niederer Literatur“ verraten zu wollen, es aber denn doch bleiben zu lassen, wahrscheinlich, weil der Text eh zu lang oder das Internet schon voll war, man denkt unter Printautoren scheinbar noch so.

Nein, mein Bester, das war nun gar nichts. Alles auf einen Haufen werfen, nur weil es in der Flughafenbuchhandlung nun mal in einem gemeinsamen Drehständer steckt, dann etwas von „mythischen Schichten“ murmeln und ausgerechnet dann, wenn’s interessant wird, weil es tatsächlich so etwas wie Selbsterkenntnis zeitigen könnte, den Artikel einfach beenden – so einen Pfusch von Cliffhanger könnte sich nicht einmal der schlimmste Schundautor leisten.

13 Gedanken zu „Hirnüberzuckerung“

  1. Wenn kleine Männer mit Fallhöhe operieren, kann doch nur Untiefe rauskommen. Mag die Lanze noch so lang sein. Is nich persönlich, is bloß Füsick.
    Aloha – P.

  2. Hier hat endlich mal jemand formuliert, warum manche Leute nicht gestillt werden wollen. Z.B. weil, wenn der Hunger nach Selbsterkenntis gesättigt ist, hinten nichts als das Selbst rauskommt.

  3. Wobei „Selbsterkenntnis“ wohl in erster Linie „Selbstbestätigung“ bedeutet. Und eine wunderbar harmlose Literatur entstehen lässt. Von Selbstverwirklichern für Selbstversicherer.

    bye
    dpr

  4. Hm: „Es gibt keinen großen Roman, der nicht auf einem gesunden Fundament aus Trivialität stünde.“

    Die Frage ist doch selbst eine auf Stelzen gestellte Trivialität…“Gesundes Fundament“ – meine Güte! Damit ist dann wahrscheinlich Blooms Lokus gemeint.

  5. Genau das wäre das Interessante. Was man so unter Feuilletonisten unter „Trivialität“ versteht. Oder gar „Urmythen“. Oder generell „Erzählformen“. Da kämen wahrscheinlich putzige Sachen raus…

    bye
    dpr

  6. Sehr schön, welche Blüten dieser unsägliche Arttikel unterm Asphalt hervor lockt:
    „in der ddr gab es für so einen dreck (und dazu gehörten auch pornos etc. ) aus dem ach so tollen westen nur einen ausdruck:
    schund- und schmutzliteratur des imperialismus – und wenn man heute, 20 jahre nach ende des sozialismus, mal ehrlich das betrachtet, was so in den kiosken und auch buchläden an bedrucktem papier rumliegt: es ist einfach nur mist“,

    schreibt lilo, ehrlich entrüstet. Lee Child und Karin Slaughter in einem Atemzug genannt ist schon starker Stoff, aber dann auch noch die komplette Pornographie mit einpflegen – Respekt vor solch globalem Blick;-)

  7. Ihr habt ja wohl alle keine Angst vor Unruhe. Deshalb könnt ihr gar nicht würdigen, wie enorm beruhigend das ist, sich an sauber getrennte Kategorien zu klammern. Dann weiß man nämlich, wo oben und unten ist, und kann sich von unten schön distanzieren. Und wenn man einen gewissen Namen hat, bringt es auch noch Kleingeld, alte Schubladen wie Mantras runterzubeten. Vielleicht ballen sich deshalb auch im heutigen Feuilleton noch so viele ranitzkypapistische Allüren. Aus meiner trivialliteraturverlegischen Sicht sind „…gestelzte Dialoge, dämliche Klischees …“ einfach miese Schreibe, ob hoch oder tief. Aber aus derselben trivialliteraturverlegischen Sicht ist längst alles laaangweilig, was keine Grenzen überschreitet und mir nichts zumutet – das aber ist natürlich keine feuilletontaugliche Haltung.

  8. >stillt nicht das, was echte Literatur stillt: „den Hunger nach Selbsterkenntnis“>
Es gibt nirgends soviel Selbsterkenntnis wie in Groschenheften. Ständig erkennen die Leute da, wer sie sind und was in ihrem Leben falsch läuft.
>“Gesundes Fundament“ – meine Güte! Damit ist dann wahrscheinlich Blooms Lokus gemeint.< 
Wahrscheinlich wäre Blooms banaler Alltag gemeint, in dem sich jeder Leser trivial widerspiegeln kann. Oder der von Emma Bovary. Aus dem darf dann der kluge Leser intelektuelle Schlüsse ziehen, ohne zu merken, dass Bloom keinen Leser bräuchte um sein Tun zu reflektieren. Bloom könnte es auch selbst, wenn er wollte, nur fände er es schlicht zu blöd und sinnlos. Dieser Mangel an "Selbterkenntnis" macht es in meinen Augen zu Literatur. Müsste ich es analysieren, wäre es langweilig.

  9. Wahrscheinlich wäre Blooms banaler Alltag gemeint, in dem sich jeder Leser trivial widerspiegeln kann. Oder der von Emma Bovary. Aus dem darf dann der kluge Leser intelektuelle Schlüsse ziehen, ohne zu merken, dass Bloom keinen Leser bräuchte um sein Tun zu reflektieren. Bloom könnte es auch selbst, wenn er wollte, nur fände er es schlicht zu blöd und sinnlos. Dieser Mangel an „Selbsterkenntnis“ macht es in meinen Augen zu Literatur. Müsste ich es analysieren, wäre es langweilig.
    (ich kann hier komischerweise nur noch scheibchenweise)

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