Beifang. Der Fischer schippert übers Meer, das Schleppnetz sammelt ein, was sich einsammeln lässt. Eigentlich steht ihm der Sinn nur nach Heringen. Aber wenn er dann das Netz an Bord hievt, zappelt alles Mögliche in den Maschen. Jede Menge Kleinfisch, aber auch Delphine, Rochen, Haie, Autoreifen… Was er nicht braucht, wirft der Fischer zurück ins Meer, lebendig oder tot oder so gut wie tot. Eine besonders ökonomisch-ökologische Fangmethode ist das nicht.
Ulrich Ritzels neuester Krimi heißt „Beifang“ und das aus gutem Grund. Berndorf, Expolizist, jetzt privater Ermittler, hat einen Auftrag in der alten Heimat Ulm angenommen. Für einen „Staranwalt“, der gerade einen Bundeswehrsoldaten verteidigt, dem man die Ermordung seiner Frau mittels Handkantenschlag zur Last legt, soll er ein Schmuckstück des Opfers finden. Dass dieser Schmuck mit einer anderen Geschichte verknüpft ist, hat der Leser schon aus dem Prolog erfahren, der während des Zweiten Weltkriegs spielt, als in der Nähe von Ulm ein „jüdisches Altersheim“ existierte.
Doch Berndorf ist noch nicht richtig angekommen, da wird sein Auftraggeber selbst ermordet. Irgendwer hat ihn vor einen Zug geworfen, so lassen sich jedenfalls die Indizien und Zeugenaussagen deuten. Unser Protagonist, der eigentlich nur nach dem verschwundenen Schmuck fischen wollte, muss nun doch mit den großen Schleppnetz arbeiten, und auf 462 Seiten wird sich darin einiges verheddern.
Vorweg: Man liest Ritzels Buch mit großem Vergnügen. Der Mann schreibt weit über bundesdeutschem Durchschnitt, seine Sprache ist durchdacht und in ihrer Stilistik eine gekonnte Mischung aus Protogonisten- und Autorenreflektionen. Gegenwart und Vergangenheit werden von Ritzel in souveräner Weise abgefischt, die aktuellen Schweinereien und die längst historisch gewordenen, ein paar Helfershelfer sind an Bord, die leicht nymphomanische Anwältin, der in Bibelsprüchen parlierende Gerichtsprozess-Junkie.
Aber kommen wir noch einmal zurück zum Titel des Buches, „Beifang“. Der suggeriert ja nicht allein, dass die Berndorfschen Ermittlungen sich von Seite zu Seite ausweiten und sich im Netz des Detektivs am Ende so mancherlei verfangen haben wird, womit man gar nicht hatte rechnen können. „Beifang“ heißt auch: Berndorf ist von Anfang an gezwungen, aus den vielen Möglichkeiten genau die richtige herauszusuchen und die anderen zu verwerfen. Und was sich Berndorf dabei offenbart, ist eine einzige Wimmelei.
Ein Beispiel: Die Ermordete hat unmittelbar vor der Tat Geschlechtsverkehr gehabt und 180 Kilometer mit ihrem Wagen zurückgelegt. Weder der Intimpartner noch die gefahrene Strecke lassen sich ermitteln. 180 Kilometer in Ulm und um Ulm herum also. Für Berndorf jedoch steht fest, dass die Tote nach Stuttgart gefahren und dort ein Hotelzimmer gemietet haben muss. Eine kleine Zeitungsrecherche genügt, um zudem herauszufinden, wer der Frau beiwohnte. Das alles liest man mit vor Verblüffung offenem Mund. Berndorf wird hier zum Fischer, der mit verbundenen Augen ins volle Netz greift, weil er einen ganz bestimmten Hering fassen will – und es gelingt ihm auf Anhieb. All die anderen Möglichkeiten – und es dürfte unzählige geben – fallen von vornherein weg.
Damit nicht genug. Im Verlauf der Handlung wird Berndorf seine wirklich übersinnliche Methode, stets das Richtige zu denken und zu tun, noch einige Male strapazieren. Einen flüchtigen jungen Mann etwa, der sich im Umkreis von fünf Kilometern aufhalten könnte, steuert Berndorf mitten in der Nacht zielsicher an. Den Schmuck findet er natürlich auch – und zwar an einem Ort, an dem ihn keiner vermutet hätte. Ebenso geht es mit dem Mörder der Frau. Irgendwann kennt ihn Berndorf einfach – da kann ihm der Leser aber schon längst nicht mehr folgen.
– und bleibt am Ende zwischen Lob und Tadel hin und her gerissen zurück. Noch einmal: „Beifang“ steht stilistisch und in der Bearbeitung des Themas weit über dem Durchschnitt. Die Methoden des Ermittlers jedoch sind dermaßen unglaubwürdig, dass es einen ärgert. Nichts gegen Zufälle und Eingebungen. Wer jemals einen Krimi geschrieben hat, weiß, wie schnell mal als Autor in die Bredouille geraten kann. Etwas muss endlich ans Tageslicht, aber wie? Ritzel übertreibt es aber, sein Berndorf fischt hier im wahrsten Sinne des Wortes im Trüben. Aber nun; das ist eben der Beifang dieses Buches. Man kann ihn aussortieren und zurückwerfen, bis genau das im Netz übrig geblieben ist, was man haben wollte: ein weit ausholender und spannender Kriminalroman.
Ulrich Ritzel: Beifang.
Btb 2009. 462 Seiten. 19,95 €