Roberto Alajmo: Mammaherz

Man lernt doch immer wieder was dazu. Ein sizilianischer Autor, eine eloquent-vertrackte, durchaus humorvolle Sprache, aha: Camilleri. Den der Verlag auch umgehend diesen Autor Roberto Alajmo als besonderes Erzähltalent preisen lässt. Tja. Recht hat er. Aber ganz anders als man zunächst vermutet.

„Mammaherz“ wartet zunächst mit einer für Kriminalromane typischen und vielversprechenden Ausgangssituation auf. Cosimo betreibt in seinem verschlafenen Dorf eine Reperaturwerkstatt für Fahrräder. Leider halten ihn seine Mitbewohner für einen, der das Unglück anzieht und wollen daher nichts mit ihm zu tun haben. Schlecht fürs Geschäft, schlecht für Cosimos soziales Leben. Dann kommen einige Leute vorbei und lassen ein Kind zurück. Cosimo soll es für eine paar Tage in seine „Obhut“ nehmen, ein kleines Honorar winkt und dann ist die Geschichte ausgestanden. Leider lassen sich diese Leute – nennen wir sie „Mafia“ – nicht mehr blicken, das Kind erweist sich als bockig und Cosimos Lage wird immer verzweifelter. Was tun? Als dann La Mamma hinter Cosimos Aktion kommt und bei ihm einzieht, keimt Hoffnung auf. Eine trügerische allerdings.

Nein, das ist kein klassischer Kriminalroman, bereits die Erzählweise bringt jeden potentiellen Spannungsbogen zum Einsturz. Alajmos Sprache ist pointenreich, abschweifend und detailliert bis zu Skurrilität, die Camilleris nicht unähnlich. Als Leser genießt man das durchaus, zumal dann, wenn man es wie der Rezensent in den letzten Wochen eher mit Erzeugnissen eingeschränkter Sprachkompetenz zu tun hatte.

Das Psychogramm eines liebenswerten, in einer heillosen Situation gefangenen Aussenseiters, typisch italienisch zudem in den ewigen Fängen der Mamma, die mit allerlei leckeren Gerichten zu punkten versteht. Über allem, hinter allem das organisierte Verbrechen etc., auch das typisch italienisch oder was man dafür hält. An einen „Kriminalfall“ glaubt man von Anfang an nicht. Das Kind ist das Kind (erst später erfährt man beiläufig sein Geschlecht), warum es entführt wurde – wurde es überhaupt entführt? – wird man nicht erfahren, schon gar nicht von wem und warum und – tja. Frage einen also keiner nach dem „Subgenre“, man hat, bei allem Lesevergnügen, schon Mühe genug, „Mammaherz“ überhaupt ins Genre zu argumentieren. Und dann ist der Roman aus und man weiss: Etwas, das eindeutiger „noir“ ist, hat man selten gelesen.

Denn dieses sprachlich Elegante, hübsch Gewundene, diese Geschichte um den ebenso liebenswerten wie erbarmungswürdigen Cosimo entpuppt sich zu ihrem Ende hin als so ziemlich das Heimtückischste, zu dem Menschen in ihrer Alltäglichkeit fähig sind, ganz ohne das obligatorische Gemetzel und den hinausgeblasenen Weltenhass, so gewöhnlich wie Essen kochen und einen defekten Fahrradschlauch flicken. Mit vielem war zu rechnen, damit aber nicht. Obwohl man, wenn man ehrlich ist, es hätte frühzeitig erkennen müssen, wäre man nicht von der Sprache abgelenkt worden, von den geradezu zwangsläufig im Leserhirn gestrickten Mustern.

So endet die Lektüre mit einer Täuschung, die keine ist. Es gibt, man weiss es jetzt, witzig daherkommende, sentimentale Noirs, sehr weich in Szene gesetzt, die gibt es bekanntlich auch bei Camilleri, doch Alajmo toppt den Meister wenigstens in dieser Beziehung noch um einiges. Allein dafür gebührt ihm Hochachtung, ebenso dem Übersetzer für die gute Arbeit.

Roberto Alajmo: Mammaherz. 
Unionsverlag 2010 
(Cuore di Matre. 2003. Deutsch von Kurt Lanthaler). 
252 Seiten. 9,90 €

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