Wenn einem Autor nichts mehr einfällt, wird er moralisch. Damit kriegt er sie alle. Und wenn einen nicht, dann ist der eben unmoralisch. Das Wort „Moral“ ist das Pflaster auf den Wunden eines Textes, die billige Blitzheilung siecher Plots, das Placebo gegen Sätze mit Sinn-Alzheimer, das Dach, unter dem sich die intellektuell obdachlose Aussage vor sich selbst versteckt. Naja, eben ein Scheißkrimi, aber er thematisiert wenigstens den Fremdenhass. Schon tausend Mal gelesen, den ungelenken Mist, aber immerhin geißelt er den Ehrenmord. Schon wieder Nazi-0815, aber wir erfahren doch, wie schlimm es damals war und dass es auch gute Deutsche gab. Moral eben. Unangreifbar, mit eingebautem Applaus.
Und verwundert nicht. Wer die Talkshows während der „Finanzkrise“ verfolgte, hörte es aus den Mündern von hilflosen Politikern: Moral. Wir brauchen wieder Moral. Applaus. Als klar war, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen hortete, befreite man das Land eben aus moralischen Gründen. Wer wird schon gerne zum Fürsprecher eines Diktators. Wem es jetzt dämmert, dass Deutschland nicht am Hindukusch verteidigt wird, tröstet sich vielleicht mit den Mädchenschulen, für die sich das Hinwegfegen der Taliban nebst etlicher Kollateralschäden moralisch lohnt.
So hängen die Dinge, wie immer, zusammen. Moral ist ein Wort mit großer Wirkung, im Krimi wie im Leben. Sie lauert überall, sie ist das riesengroße Honigglas, das seinen Inhalt über die Scheisse kippt. Der Kommissar ermittelt, weil es sein Job ist, aber natürlich ist er auch persönlich „betroffen“, moralisch tangiert. Man muss das Böse auslöschen, wo man es findet, aber man darf nicht zu penibel suchen, sondern findet man es auch im Guten und köpft am Ende die Moral selbst, was immer schlecht ist, weil man sie doch so gut gebrauchen kann. Wer gegen die Moral und für, sagen wir, das solide Handwerk ist, entlarvt sich als herzlos und technokratisch. Wen die Bibelzitate und Gleichnisparaphrasen in Kriminalromanen (der verlorene Sohn, die zehn Gebote…) nerven, der wird moralisch fragwürdig. Also immer weiter so. Am Ende wird eh alles gut.
dpr