Was ist Krimi? Neues aus der Zettelwirtschaft 14

Heiße Themen diesmal. Über Moral und Kommunikation, das Triviale an sich und, ganz klar, die üblichen Regungen der Einzeller.

Zettel 131: Wer mit GUT und BÖSE hantiert, ist per se moralisch. Wer das Gute nicht vom Bösen unterscheidet, ist es auch. Selbst wer nur zeigt ohne zu werten, fällt ein moralisches Urteil in Auswahl und Darstellung des Gezeigten. Wer dies im Rahmen von „Was ist Krimi?“ zu ventilieren gedenkt, muss sich mit der Frage „Was ist Moral?“ befassen. Moral ist eine ethische Wertung, die als Botschaft daherkommt. Das Spektrum reicht von Kitsch bis Kunst, vom reflexartigen Einsatz moralischer Parameter bis zu ihrer mutwilligen Zertrümmerung. Spätestens hier können wir „Moral“ durch „Krimi“ ersetzen. Moral und Krimi als Richtschnur, als Stabilisatoren von Recht und Ordnung. Für viele Leser ist „Moral“ eine unverzichtbare Krimiingredienz, ebenso wie „Unmoral“, was natürlich auch eine moralische Kategorie ist…

Zettel 132: Stichworte. Moral bei Dürrenmatt: Die böse Tat wird zur guten Tat. Moral bei Glauser: Das Moralische ist das Unmoralische. Moral bei Chandler: Moral macht das Unmoralische erträglich. Moral bei Simenon: Moral gibt es nicht, aber dafür überall. Moral bei Ani: Kitsch.

Zettel 133: Der Krimi als Gesellschaftsroman? Ein weiterer schüchterner Legitimationsversuch, das verpönte Textkind am Katzentisch in den Dienst einer höheren Sache zu stellen? Natürlich handelt ein Krimi von Gesellschaft. Von was sonst? Auch ein „Handbuch Windows für Anfänger“ lässt sich als Zustandsbeschreibung von „Gesellschaft“ lesen. Systematisch vorgehen: Krimis handeln von Verbrechen. Krimis als Gesellschaftsromane handeln demnach von Verbrechen in der Gesellschaft oder an der Gesellschaft oder der Gesellschaft selbst Am Ende jedoch wird die Gesellschaft entkriminalisiert (wir reden gerade vom Gros der Spannungsproduktion), die Verhältnisse, die Maßstäbe werden zurückgerückt. Warum wird aber die Gesellschaft nicht also solche kriminalisiert? Die versteckten Strukturen von Verbrechen im Alltag, ihre konstitutive Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von „Gesellschaft“. Weil es keinen Grund dafür gibt? Weil Verbrechen Metastasen am ursprünglich gesunden Körper sind? Glaubt kein Mensch. Ein Kriminalroman, der die Gesellschaft als solche nicht kriminalisiert, ist wie ein kitschiger Liebesroman, der von Liebe handelt, ohne das Triebhafte des Zeugungsaktes wiederzugeben. Frau und Mann (die Hetenvariante) treffen sich, Pünktchenpünktchenpünktchen, neun Monate später kräht der Spross in der Wiege.

Zettel 134: Wenn zwei Menschen miteinander kommunizieren, verabreden sie sich automatisch zu einem Verbrechen.

Zettel 135: Die Geschichte des Krimis als Geschichte kommunikativer Absichten erzählt. Sherlock Holmes kommuniziert mit Watson, um ihn zu belehren, die Dialoge vermitteln die Früchte von Erkenntnissen dank deduktiver Logik. Der Hardboiled verfährt soziolektisch, seine Dialoge errichten dadurch (und mit ihrem lakonischen Gestus) eine Welt aus Sprachschichten. Im Noir ist jeder Austausch von Sprache destruktiv. Bei George V. Higgins sind Dialoge ALLES, vor allem aber eines: Das Röhrenwerk, das Normalität und Verbrechen miteinander verbindet.

Resonanzzettel: Es ist schon beruhigend zu wissen, dass wenigstens die Meinungsmultiplikatoren aufmerksam in diesem kleinen Zettelkasten blättern…“Nur engstirnige Kleingeister mit betoniertem Weltbild können Kitsch bei Ani vermuten, wo er den human factor in seiner ganzen vertrackten Vielschichtigkeit beschreibt.“

Zettel 136: Man fragt sich, warum Menschen Krimis lesen, wo sie doch selbst in Krimis mitspielen. Man fragt sich, warum sie die Inszenierungen anderer den eigenen vorziehen. Fühlen Sie sich zu unbegabt? Überlassen sie es lieber den Profis, so wie sie ein verstopftes Rohr auch lieber von Profis freipumpen lassen? Wir wandern durch eine Welt, in der die Bruchstücke krimineller Plots wie Glasscherben unter unseren nackten Fußsohlen knirschen. Eine Welt voller Thriller, für die sich niemand interessiert, die man nur zusammensetzen müsste, ein Puzzle eben. Das Dumme: Wenn das Puzzle dann fertig wäre, würden wir uns selbst darauf erkennen. Irgendwelche Randfiguren im vagen Hintergrund.

Zettel 137: Vergessen Sie Zettel 136. Es ist ganz anders. Verbrechen gibt es überhaupt nicht, sie sind eine Erfindung phantasieunbegabter AutorInnen. Alles ist normal, das Grauen ist normal, das Morden ist normal, es gibt für alles eine Ratio, die jede Ungeheuerlichkeit dorthin zurückbringt, wo sie begonnen hat: in die Trivialität des Daseins.

Zettel 138: Was ist Krimi? Wenn man gelebt wird.

Zettel 139: Passen Sie mal auf, mein Herr! Weil Sie sich über „Trivial“-Literatur mokieren: JEDE auch nur im Ansatz ernstzunehmende Literatur ist trivial! Was Sie „literarisch“ nennen, betrifft die Form, nicht den Inhalt. Es geht um Liebe und Nichtliebe, das Böse und das Gute, Sehnsucht und Resignation, Aufstieg und Fall, um ein paar Snapshots aus der verlorenen Jugend (lesen Sie „Lolita“!), um ein Horrorgemälde aus der Zukunft – und das ist trivial! Trivial, Definition 1: naheliegend, altbekannt, banal. Und die Form ist Kunst, aber wenn man ihr das anmerkt, ist sie trivial, Trivial lt. Definition 2: verschwurbelt, blaupausig, aufsatzmäßig, gebärdenprall. Das ist die Trivialität der gebildeten Banausen und, so, mehr gibt es zum Krimi eigentlich nicht zu sagen und jetzt gehen Sie und lesen Sie Trivialliteratur, bis Ihnen die Hochliteratur aus dem Arsch rauskommt.

Zettel 140: Bescheidener Vorschlag zur Verbesserung der Krimikultur: Per Dekret (Bundesrat sollte zustimmen) muss jedem Krimi ein SPOILER vorangesetzt werden (noch besser: auf dem Backcover in großen Buchstaben). Etwa so; „Die in diesem Whodunit begangenen Morde gehen auf das Konto von Marius Preslau, dem unauffälligen Nachbarn der Protagonistin. Er mordet, weil ihn seine Mutter enttäuscht hat, deshalb sind seine Opfer weiblich, über 40 und dunkelblond.“ Damit die ewige Rätselei endlich mal ein Ende hat. Damit wir uns den wesentlichen Dingen zuwenden können.

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