Du Opfer

„Aus Unzufriedenheit über ihre Opferrolle hat sich eine bestohlene Berlinerin erfolgreich für die Aufklärung der an ihr begangenen Straftaten engagiert.“
(Mitteilung der Polizeipressestelle Berlin vom 28.09.10, mit Dank an P.B.)

Hm, denkt man spontan, das ist aber doof. Opferrolle? Ist diese Frau nicht schlicht ein Opfer, nämlich von Kreditkartenbetrügern? Und was heißt „Unzufriedenheit“? Kann man auch damit zufrieden sein und sitzt man vielleicht am Küchentisch und überlegt sich, ob mans ist oder nicht?

Aber die Sache ist komplizierter. Nicht nur, dass „duuu opfa!“ im aktuellen Jugendjargon nichts Gutes über den so Angesprochenen verheißt. Das Wort „Opfer“ macht auch einsam, das bist DU und kein anderer. Ganz anders die „Opferrolle“. Rolle werden bekanntlich gespielt, sie sind Teil größerer Inszenierungen, man ist also nicht wirklich Opfer, sondern der Darsteller eines Opfers. Nehmen wir die Arbeitslosen. Opfer? Nein, sie spielen doch nur. Und weil sie das tun, spielen die anderen auch, aber bitte nicht Täter. Wer jeden morgen brav um 7 aus dem Haus geht, um als Leistungsträger sein Tagwerk abzuarbeiten, wird in der großen gesellschaftspolitischen Inszenierung selbst in der Opferrolle besetzt. Die Arbeitslosen steigen damit in die Täterrolle auf, in Kriminalromanen immer schon die dankbarere Charge. Da schaffst du und hast am Ende nur 100 Euro mehr als diejenigen, die nichts schaffen, nein, Korrektur, jetzt nur noch 95 Euro.

Ja, schon recht, die Rollen in dieser Inszenierung sind variabel. Wer diesen Politikerdummschwätz in Talkshows wohlwollend beklatscht und sich in der Opferrolle sieht, steht tatsächlich in einer solchen, nur dass die Täter woanders agieren und die eigentlichen Regisseure der schäbigen Inszenierung sind.

Dass nun die Täterrollenspieler in der Opferrolle stecken, ist ziemlich wahrscheinlich. Denn: „Den entscheidenden Hinweis gab jedoch der Verkäufer eines Designer-Bekleidungsgeschäftes, der über einen sozialen Netzwerkservice mit dem männlichen Tatverdächtigen flüchtig bekannt war. Eben dieses Internetportal verlieh den beiden Tätern auch ein Gesicht, so dass das fachlich zuständige Kommissariat für Kreditkartenbetrug beim Landeskriminalamt anschließend auf der Internetpräsenz wie in einem Buch lesen konnte.“

Die Täter wurden also Opfer sozialer Netzwerke, aber sie wurden es natürlich aus totaler Blödheit. Denn Netze, das merke man sich, werden nicht nur geknüpft, um weich fallen zu können, wenn denn schon der Absturz droht, nein, sie halten einen auch gefangen. Das ist bei allen sozialen Netzen so, nicht nur bei Facebook et al., auch bei der Arbeitslosigkeit und Hartz IV. Die Netze fangen dich auf und halten dich fest, wenn du versuchst, wieder nach oben zu klettern. Dumm gelaufen, du Opfer. Wir lesen in dir wie in einem Buch, und dieses Buch ist bereits gedruckt und deine Rolle kann leider nicht mehr verändert werden. Also spiel sie einfach weiter.

dpr

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