(Wieder ist Hausschlachtung angesagt, diesmal mit fünf Damen. Vier liegen im brodelnden Kessel der Krimikritik, die fünfte rührt gekonnt in der Blut- und Buchstabensuppe. Anna Veronica Wutschel inmitten von Wellfleisch (Jenny Siler), Leberwurst (Anne Holt), Leberknödel (Kathy Reichs) und Schweinefüßchen (Val McDermid). Wohl bekomm’s.)

Welt im Großen
und im Kleinen literarisch zu erfassen, ist eine Kunst, die Jenny Siler brillant beherrscht. Ein Junge, viel zu jung, wird in einem afghanischen Gefängnis, wo er nicht sein sollte, als Informant zwangsrekrutiert. Verstrickungen sollen vertuscht werden, und eine gefährlich undurchsichtige Jagd beginnt. Offene, uralte Rechnungen werden beglichen, wobei jede menschliche Regung den Tod herauszufordern scheint. “Verschärftes Verhör” erzählt von Kriegsschauplätzen, von Vietnam, Marokko, Afghanistan, von Folter, Terror, Demütigung, Liebe und von Hoffnung. Was sich runterliest wie ein Reißer, ist vielmehr eine komplex feinsinnige Studie über Überlebenskämpfe. In fast karger, dabei enorm effektvoll inszenierter Sprache führt Siler durch einen knallharten Albtraum, der schonungslos genial Welt(-Politik) schildert. Chapeau!
Jenny Siler: Verschärftes Verhör
(The prince of Bagram Prison, 2008).
Roman. Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg.
Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch 2010. 311 Seiten. 8,95 Euro.
Religiöser Fanatismus
kennt seine Feinde genau und hat bisweilen durchaus kein Problem damit, diese zu eliminieren. In “Gotteszahl” liquidiert ein derart unbekehrbarer Trupp, der sich aus Christen und Muslimen zusammensetzt, einen gemeinsamen Erzfeind. Warum diese Gruppe ihr Jagdrevier von den USA geradewegs nach Norwegen verlegt, erklärt der verdrehte finale Clou. Doch bis Kommissar Stubø einen Zusammenhang zwischen den Morden an einer Bischöfin, einem Künstler und einigen anderen vermeintlichen Unfallopfern erkennen kann, hat seine Frau, die über Hassverbrechen recherchiert, den Fall praktisch gelöst. Anne Holt verfolgt sehr liebenswerte Absichten, doch driftet die bös erdachte Verschwörung auf dünner Logik, recht spannungsarm in breiter erzählerischer Beklommenheit alsbald einer seltenen Fadenscheinigkeit entgegen.
Anne Holt: Gotteszahl.
Piper 2010 (Pengemannen, 2009.
Deutsch von Gabriele Haefs). 463 Seiten. 19,95 Euro.
Ein übermütig ausgelebter
Fall von Aquaerotik und ein doppelt Verstorbener führen die forensische Anthropologin Tempe Brennan von Montreal nach Hawaii. In der dort ansässigen Behörde zur Auffindung vermisster US-Soldaten sortiert die fesche, blitzgescheite Tempe eine Menge alter Knochen um und stellt so die Identität einiger bislang unidentifizierter Toten fest. Nebenbei erzürnt sie einen Drogenboss und findet doch immer genügend Zeit für neckische Spielchen mit ihrer für auf ewig Jein-Beziehung Ryan. “Blut vergisst nicht” startet viel versprechend, stockt aber bald zwischen kokettem Geplänkel und vielen Mätzchen, um letztlich vornehmlich im Knochen-Identifizierungs-Karussell zu kreiseln. Das ist forensischer Jahrmarktzauber mit einer Prise hawaiianischem Aloha-Feeling. Unterhaltsam ist es nicht.
Kathy Reichs: Blut vergisst nicht
(Spider Bones, 2010). Roman.
Deutsch von Klaus Berr. München: Blessing 2010. 383 Seiten. 19,95 Euro.
Stolz den Kindern
beim Großwerden zuschauen – das ist die Freude aller Eltern. Val McDermid scheint bei ihrem Zögling, dem eigenwilligen klinischen Psychologen Tony Hill, alles richtig gemacht zu haben: Kaum erfunden, machte sich der Bub rasch selbstständig und feierte Erfolge mit seiner TV-Serie “Hautnah – Die Methode Hill”. Da die nun wegen zu hoher Produktionskosten nach der 6. Staffel eingestellt wurde, eilte Muttern McDermid herbei, um den Kränkelnden wieder aufzupäppeln. Und das ist ihr aufs Prächtigste gelungen: Tony Hill und Carol Jordans Team ermitteln in einem Fall, in dem ein Psychopath Teenager entführt, tötet und entsetzlich verstümmelt. Doch eine sexuelle Motivation für die Morde schließt der Profiler, der durch seine eigene Vergangenheit enorm abgelenkt wird, gänzlich aus. Verquere Taten, verquere Motive gewähren abgründige Blicke auf Lädiertheiten der Seele und die Pathologie von Normalität. Nach dem schwachen Vorgänger “Schleichendes Gift” überrascht “Vatermord” mit einer klugen Story, perfektem Timing und viel Spannung. Und so kommt die Serie mordsmäßig gut wieder auf Kurs.
Val McDermid: Vatermord
(Fever of the Bone, 2009). Roman. Deutsch von Doris Styron.
München: Knaur 2010. 523 Seiten. 9,99 Euro.