Ein saarländischer Regionalkrimi

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Was sich am 30. August 2009 im Saarland ereignete, schien so vorhersehbar wie jeder rasch gelesene Krimi. Ein Prolog, der die Spannung anzuheizen gedenkt, im Grunde aber schon das Ende vorwegnimmt, falsche Spuren und endlich, innerhalb von wenigen Zeilen, die nicht überraschende Auflösung. Wahlsonntag eben. Käme es zu einer rot-rot-grünen Koalition, gar mit den Linken als stärkster Partei? Würde es die arg gerupfte CDU schaffen, ihre erwartbaren Stimmenverluste in Grenzen zu halten und wäre die FDP wieder einmal in der Lage, genügend strategische Stimmen aus dem schwarzen Lager zu generieren, um in den Landtag zu kommen?
Für ersteres sprach viel, für letzteres wenig. Immerhin hatte die Wirklichkeit als Autorin ein Talent für Personal. Der legendäre saarländische Volksheld Lafontaine schickte sich an, im Saarland für ostdeutsche Verhältnisse zu sorgen, die SPD, seit Lafontaines Rücktritt von allen Ämtern (wozu er nicht einmal eine Doktorarbeit zu türken brauchte) nicht gut auf den einstigen Vormann zu sprechen, ein immer blasser werdender Ministerpräsident Peter Müller, als auch bundesweit gefürchteter Tiger gestartet und regionaler Bettvorleger gelandet, dazu, als obligatorischer Dunkelmann, Grünen-Chef Hubert Ulrich, Anführer einer Truppe, die zu wählen man im Saarland entweder die Grünen schon sehr, sehr lieb haben muss oder infolge falscher Ernährung an intellektuellen Mangelerscheinungen leidet.

Allerlei munteres Beiwerk sorgte für vordergründige Spannungseffekte. Linke und SPD attackierten sich, ebenso Linke und Grüne, nicht zuletzt, weil die meisten der linken Spitzenkandidaten bis vor nicht allzu langer Zeit noch in den jeweiligen Konkurrenzparteien zugange gewesen waren. Lafontaines Satz „Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern“, ärgerte die Grünen, erwies sich allerdings als sehr weise.

Zunächst jedoch sah es so aus wie erwartet: Es reichte für rot-rot-grün. Erste Verhandlungen begannen, sie zogen sich hin, doch am Ergebnis konnte nicht gezweifelt werden. Weder die SPD noch die Grünen konnten mit der CDU koalieren, zu kontrovers die Programme und Absichten. Das Ende des Krimis war also unglaubwürdig, denn die Grünen verbanden sich gegen alle Wahrscheinlichkeit mit CDU und FDP, die ach so kritischen Delegierten waren schnell auf Vordermann gebracht, als Ulrich den Buhmann Lafontaine heraufbeschwor – und der Krimi, scheinbar zu Ende, begann nun erst richtig.

Darüber, wie sich all das entwickelte und wie es weiterging, hat nun Wilfried Voigt ein Buch geschrieben. Es heißt „Die Jamaika Clique. Machtspiele an der Saar“ und versucht auf gut 200 Seiten eine Zusammenfassung der Fakten sowie die Offenlegung der Fäden zwischen den einzelnen Akteuren. Es ist eine wirre Geschichte, was nicht an ihrer Darstellung liegt, sondern Teil ihrer selbst ist. Saarländern sind die Fakten weitgehend bekannt, nicht zuletzt wegen der Skandale, die sich um einige der Personen ranken. Die „zweifelhafte Persönlichkeit“ (Daniel Cohn-Bendit) Hubert Ullrich, von seinem Parteifreund gar als „Mafioso“ tituliert, merkwürdige Begebenheiten bei den Grünen (Karteileichen, die sich nur dann aus ihren Gräbern erheben, wenn Herr Ulrich Stimmen braucht etc.), vor allem jedoch der FDP-Strippenzieher Hartmut Ostermann, Chef des Seniorenheim-Dienstleisters „Pro Seniore“, ehemaliger Präsident des 1. FC Saarbrücken (ein saarländischer Mythos) und auch sonst überall dort zu finden, wo es glänzt und nach Profit riecht, dazu die aparte Tatsache, dass Ulrich in einem Unternehmen angestellt war, an dem Ostermann eine Beteiligung hält… das ist guter Stoff für Mutmaßungen, wie denn diese überraschende Koalition von FDP und Grünen zustande gekommen sei.

Voigt schildert diese Zusammenhänge detailliert. Das meiste ist, wie gesagt, nicht neu, aber hilfreich in seiner nun vorliegenden Kompaktheit. Dass Ostermann auch in den sogenannten „Berliner Bankenskandal“ verwickelt war sowie die mögliche Rolle einer vielumworbenen rechten Burschenschaft sind Aspekte, die man bislang so noch nicht kannte, ebenso das im Vorfeld der Wahl geradezu penetrante Werben Ulrichs um gute Worte für die Grünen durch den SPD-Vorsitzenden Maas. Dass sich das politische Saarland als reichlich verfilzt darstellt – geschenkt. Wo ist es anders? Verblüffend jedoch, wie sich dieser Filz nicht nur in bekannter Manier einfarbig präsentiert (roter, schwarzer, grüner, gelber…), sondern als buntes Gemenge, in dem sich die Intrigenlandschaft als geradezu überparteilich erweist. Jeder mit jedem also, wenn es opportun erscheint, natürlich auch jeder gegen jeden. Was nicht verwundert, wenn man in einem Bundesland lebt, in dem jeder jeden kennt. Das Saarland ist eben nicht nur historisch ein Land mit Besonderheiten. Es ist auch ein Land der Minderwertigkeitskomplexe (zumeist waren es Auswärtige, die hier das Sagen hatten, sowohl politisch als auch ökonomisch), der Nähe zu Frankreich und dem dortigen „Savoir Vivre“ (eine immer wieder zu Fremdenverkehrszwecken kolportierte Legende, wie sie in einem zünftigen Regionalkrimi nicht fehlen darf), ein Land im Umbruch auch (Ende der Kohleindustrie, Niedergang der Stahlindustrie) und, natürlich, ein Land der kurzen Wege, auf denen es nicht ausbleiben kann, dass man sich über den Weg läuft, in gerade angesagten Lokalen zufällig am selben Tisch sitzt oder, so wird gemunkelt, in Bordellen die selben Dienstleisterinnen präferiert.

Saarländer, so könnte man sagen, sind harmoniebedürftige Leute (die meisten…), locker im Umgang miteinander, nicht sehr nachtragend und mit anspruchsloser Kost (Bier, Lyoner, Weck) zufrieden. Das verbindet – und in der Verbindung liegt nun einmal das Gefühlige, und dieses Gefühlige, diese Nähe ist der Bodensatz des Mauschelns, der Intrige. Wilfried Voigts Verdienst ist es, genau diese Atmosphäre in seinem Buch zu beschreiben, als eine Abfolge von Skandalen, die, jeder für sich, meist glimpflich für die Betroffenen ausgehen, wo aus einer Steuerhinterziehung in Millionenhöhe auf wundersame Weise ein nicht mehr sonderlich justizrelevanter Streit um Kleckerbeträge wird, wo die Liebe zum örtlichen Fußballverein noch idealistisch und ökonomisch einträglich zugleich sein kann und das Stehlen einer Badematte zum Politikum wird. Typisch saarländisch eben. Regionalkrimi, wie wir ihn lieben.

Wilfried Voigt: Die Jamaika Clique. Machtspiele an der Saar.
Conte 2011. 204 Seiten. 14,90 Euro

(Hinweis: Der Rezensent steht in geschäftlichen Verbindungen zum Conte Verlag)

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