Wie jedes Jahr am ersten Juli-Wochenende verwandelte sich auch in diesem Jahr wieder die naturgeschützte Halbinsel Malsaucy, nahe der ostfranzösischen Stadt Belfort gelegen, in eines der wichtigsten Mekkas der französischen und grenznahen Festivalgänger. Die Hinternet-Starreporter Kai Florian Becker und Peter Meyer sind vor Ort und berichten täglich über Erwähnenswertes rund um das dreitägige Event.
01.07.2011 (Tag 1)
Die Anreise war interessant, weil irgendwer aus unserer Reisegruppe beschloss, man könne doch eine Abkürzung übers Land nehmen. Statt drei Stunden brauchten wir über vier Stunden. Nun denn. Die Unfreundlichkeit der Hotelrezeptionistin mal missachtet, erreichten wir am frühen Abend doch noch erwartungsfroh das riesige Gelände. Zur Überraschung hatte sich im Vergleich zu den Vorjahren einiges geändert: Die Zeltbühne (Chapiteau) war einer Open Air-Bühne namens „Espalande Green Room“ gewichen. Auch sonst wurde einiges neu positioniert und der Pressebereich wurde stark eingedämmt. Der erste Eindruck: Hier wurde Geld eingespart – oder musste gespart werden. Aber es geht ja um die Musik. Ein erstes Highlight waren The Ting Tings. (kfb)
The Ting Tings
Yep, lieber kfb, Highlight in jeder Hinsicht. The Ting Tings funzen von der ersten Sekunde an. Katie White kommt mit ihrem Bandpartner Jules De Martino auf die Bühne, stellt sich mit ihren langen Beinen und im White-Trash-Collegegirl-Outfit neben die Drums auf das Drumpodest, stampft die ersten fetten Beats aus der Konserve mit einem Bein in den Boden, als ob sie gerade dem letzten Ork dieser Welt die dunkle Seele aus dem Leib kicken will, streckt den Zeigefinger in die Höhe und nickt, dass ihre wilde, blonde Mähne ihr bei jedem Takt ins Gesicht klatscht. Sie macht damit klar: „Ich bin hier die verdammte Chefin und in der nächsten Stunde gehört euer Arsch mir!“ Und geschätzte 25.000 Ting Tings-Fans vor der Hauptbühne lassen sich gerne an der Hand nehmen und ins Reich des unverschämt besten, präsentesten, sexiesten Indie-Elektrorock führen, den es zur Zeit auf den Bühnen gibt.
Seit dem Debutalbum des Duos aus Salford ticken im Elektrorock die Uhren sowieso anders. Die Ting Tings vereinen die guten Eigenschaften des Pop: Tanzbarkeit, Catchiness, Coolness, Raserei, Sexyness, Verachtung, Rohheit, Spass. Die Basis: die Schlagzeugarbeit von De Martino und die Brazzgitarrenriffs von White. Den Rest macht das Geplucker, Geschmurgel und Gekicke aus der Konserve. Zusammen ergibt das den verdammt besten Festivalgig, den man sich auf Sommerbühnen überhaupt nur vorstellen kann. Ob die Kracher der ersten Veröffentlichung „We Started Nothing“, wie „Shut Up And Let Me Go“ oder „That´s Not My Name“ oder das Material des neuen Albums, das eigentlich bereits für Juni versprochen war und leider immer noch nicht erschienen ist, alle Songs erreichen Bauch und Beine der Fans binnen Sekundenbruchteilen. Und für die optische Präsenz sorgte eben Katie White. Vergesst Gaga, Madonna oder Debbie Harry: Katie ist fucking cooler!!!!!! Kick me, Kate!
(pm)
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Wu Lyf
Nicht weniger cool: Wu Lyf. Mitten im Hypefieber machten sie Station bei den Eurockéennes. Auf der Insel wird schon seit Monaten eifrig über das Quartett berichtet, das auf den ersten Bandfotos mit weißen Bandanas vor dem Gesicht aussah wie ein paar Western-Fans kurz vor dem Banküberfall. Ein Mythos entstand, der, was in UK je nach Auslegungssache, auf die Pfiffigkeit der jungen Burschen oder die ihres renommierten Managements zurückgeht. Ebenso werbewirksam wie die Fotos ist auch die Stimme von Sänger Ellery Roberts. Er klingt wie Caleb Followill (Kings Of Leon) nach fünf Jahre Isolationshaft in der Gummizelle, während der er sich heiser schrie.
Live klingen Wu Lyf genau wie auf dem Album, wobei sich der Orgel spielende und am rechten Bühnenrand positionierte Sänger gerne mal unterstützend mit der Faust auf den Brustkorb schlug. Ihr progressiver Indierock mit Kirchenorgelklängen, der leichte Verwandtschaft zu Vampire Weekend offenbart, aber keineswegs so schlaumeierisch rüberkommt, ist aktuell konkurrenzlos. Kein Wunder, dass vor der Bühne reges Treiben herrschte.
(kfb)
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Paul Kalkbrenner
Nachts um zwei betrat zum Abschluss des ersten Tages Paul Kalkbrenner die Hauptbühne – neben Atari Teenage Riot der einzige deutsche Vertreter in diesem Jahr. Er elektrisierte mit seinem kommerziellen Electro-Gewummse die Massen. Er selbst schien auch recht elektrisiert gewesen zu sein. Ob und wie sehr er „druff“ war, ist reine Spekulation. Aber seine Gestik und Mimik ließen kaum Zweifel an seiner Unnüchternheit aufkommen. Jedem das Seine. Und den Fans eben ein elektronisches Klangfeuerwerk vom Feinsten. Er ist zu Recht dort oben: auf der Bühne wie auch in den oberen Popsphären.
(kfb)
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