ETA Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi (Graphic Novel)

cover_scuderi.jpg ETA Hoffmann? Über den ließen sich erbauliche Dinge berichten. Ein „Klassiker der Romantik“ (sofort denken wir an idyllische Landschaften und dekorative Vollmonde), „Erfinder des Krimis“ (und sein „Fräulein von Scuderi“ die vornehmere Version der Miss Marple), des Regionalkrimis gar (Paris!), des „literarischen Krimis“ also sowieso. Das könnten wir alles behaupten, ohne groß Gefahr zu laufen, von Hoffmann, der aufbrausend gewesen sein soll, Jurist eben, körperlich sanktioniert zu werden, denn der Mann ist tot und „gemeinfrei“, sein Werk nicht nur nach Belieben interpretier-, sondern auch druckbar, neuerdings als Graphic Novel. Weltliteratur in Sprechblasen! Oh weh! Gut, dass ER das nicht mehr erlebt hat! Ach was. Gefreut hätte er sich.

Schon diese Einleitung mag illustrieren, worum es in „Das Fräulein von Scuderi“ – unter anderem – geht. Um die Frage, was mit einem Kunstwerk geschieht, wenn es seinen Schöpfer verlassen hat, hinaus in die literarische Welt geschickt, in die Bücher, in die Köpfe, zwei delikate Dinge, bei denen schon Lichtenberg nicht genau zu wissen vorgab, welcher von ihnen am hohlsten klingt (aber geahnt hat er’s wenigstens). Jemand stellt etwas her und jemand anderes macht davon Gebrauch, arbeitet damit, benutzt es für seine Zwecke, die ehrbar sein können oder das Gegenteil, darauf hat man keinen Einfluss mehr, ist bei den Juwelen um die Hälse der Damen nicht anders als bei den Juwelen zwischen zwei Buchdeckeln. Das kann einen verrückt machen, darüber konnte man schon im Paris des 17. Jahrhunderts zum Mörder werden.

Besonders schlimm wird das, wenn die im Wortsinne entfremdete Arbeit des Künstlers als „klassisch“ kanonisiert, verharmlost, angebetet oder zur flüchtigen Betrachtung in literarhistorischen Vitrinen deponiert wird, aus lauter „Respekt“ natürlich. Da wird einer zum „Romantiker“ oder „Krimiautor“, weil die Begriffe selbst so sinnentleert geworden sind, dass sie nur noch Unsinn schwätzen. Respekt ist das Zweitschönste, was man der Literatur entgegenbringen kann, das Schönste aber bleibt die Respektlosigkeit aus Liebe.

So gesehen ist Alexandra Kardinars und Volker Schlechts Graphic-Novel-Adaption von ETA Hoffmanns „Das Fräulein von Scuderi“ ein Liebhaberstück. Die Künstler-AG „Druschba Pankow“ verwandelt den Text über den Künstler, der seine Arbeit nicht hergeben möchte, in eine Welt aus kommentierenden, ironischen, zeigenden und deutenden Bildern, in dem sich der hohe Ton des Originals bisweilen neckisch im Tümpel der Jetztzeit badet. Es gibt versteckte Details, die „nicht zur Geschichte gehören“, aber den abschweifenden Gedankenfluss nachahmen, dem man beim Nur-Lesen unweigerlich ausgesetzt ist. Ein Höhepunkt ist die Verwandlung des Dichterwortes in selbsterklärende Piktogramme, Wörter zu Verkehrszeichen sozusagen. Das hat nichts mit „Der Faust in fünf Minuten“ oder „Hamlet für Lesefaule“ zu tun. Hier werden Edelsteine umgeschliffen, neue Facetten herausgearbeitet, ohne die alten zu zerstören. Die Bilder sagen dabei nicht MEHR als die Worte, sie sagen auch nichts ANDERES, sie sagen es nur ANDERS – und mehr kann man nicht erwarten. Im Anschluss findet sich Hoffmanns Originaltext, der genau dieses Phänomen noch einmal nachvollziehen lässt, diesmal eben andersrum.

Für den einzigen ärgerlichen Lapsus sind Kardinar und Schlecht nicht verantwortlich zu machen. Denn der auf dem Backcover deklarierte „Ur-Krimi der Weltliteratur“ ist „Das Fräulein von Scuderi“ natürlich nicht. „Krimi“ ist ein formales, kein inhaltliches Phänomen, sein Leben beginnt mit der Geburt des Klischees. Der Geburtshelfer mag Poe heißen, Poe wurde von ETA Hoffmann beeinflusst – aber sei’s drum. Kardinar und Schlecht jedenfalls können weiterhin beruhigt durch die nächtlichen Straßen Berlins wandern, kein erzürnter Dichter, Komponist und Jurist wird ihnen mit gezücktem Messer auflauern. Höchstens →Pieke Biermann, die ihnen mal freundschaftlich auf die Schultern klopfen möchte.

ETA Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. 
Graphic Novel von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht.
Edition Büchergilde 2011. 158 Seiten. 24,99 €
(Anmerkung: Das abgebildete Cover unterscheidet sich von dem der mir vorliegenden Ausgabe.)

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