Wie einem der Kopf so wirr wird… wie sich die Zeit in den Schwanz beißt… dazu und zu vielem mehr zehn neue Zettel zum Was-ist-Krimi?-Projekt. Wie immer eine Zusammenfassung der Facebook-Präsentation.
Zettel 41: Manche Krimis lesen sich wie umständliche Beschreibungen der Standbilder aus TV-Thrillern. Da parkt ein Polizeiauto in der zweiten Reihe und ein anderes auf der Straßenseite gegenüber etc… Sind die Köpfe der LeserInnen wirklich so unfähig zu eigenen Bildern geworden, dass man ihnen selbst die größten Belanglosigkeiten von außen zuführen muss? Steht zu befürchten.
Zettel 42: Apropos Bilder: Kardinar / Schlechts Graphic Novel „Das Fräulein von Scuderi“ lesen, um zu erkennen, wie anders Bilder sprechen als Wörter. Hernach sogleich den mit abgedruckten Text von ETA Hoffmann lesen, um wahrzunehmen, welche anderen Bilder Wörter erzeugen als Bilder Wörter.
Zettel 43: Die Entwicklung der Kriminalliteratur ist die Ablösung alter Klischees durch neue. Ist das Krimikulturpessimismus? Ach was!
Zettel 44: Gramsci erkennt in der Trivialliteratur die Indikatoren gesellschaftlicher Verhältnisse. Was auch bedeutet: Die gesellschaftlichen Verhältnisse formen die Trivialliteratur. Schöne Bestätigung der Theorie, wonach das 19. Jahrhundert den Krimi und der Krimi das 19. Jahrhundert erfunden hat.
Zettel 45: Intellektualisierung des Krimis. Gleichzeitig: Der Krimi als Manifest der fatalen menschlichen Neigung zum Verblöden. Oder: Verblöden als intellektuelle Leistung.
Zettel 46: Kolumbus (oder wer auch immer) entdeckt die Indianer. Die Indianer entdecken dabei die Europäer, waren aber schlauer. Sie haben einfach gewartet. Was das eventuell mit Krimi zu tun hat? Wird mir schon noch einfallen.
Zettel 47: „Einst kategorisch als Trivial- und damit bloße Unterhaltungsliteratur eingestuft, disqualifizierte sich das Genre lange Zeit für jede ernstzunehmende literaturwissenschaftliche Untersuchung.“ (Alexandra Krieg, Der Kriminalroman und seine Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2002) Aha. Das bedeutet logischerweise: Da sich das Genre selbst disqualifiziert hat, muss es sich auch selbst eingestuft haben. Hätten es nämlich andere eingestuft, hätte es sich nicht selbst disqualifizieren können, sondern wäre disqualifiziert worden. Hm. Jetzt müsste man Fußballschiedsrichter sein und genügend rote Karten im Sack haben.
Zettel 48: Wie schließt Sherlock Holmes von der Beschaffenheit eines Spazierstocks auf die Biografie seines Besitzers (Deduktion)? Indem zuvor der Autor Conan Doyle von der Biografie seines Besitzers auf die Beschaffenheit des Spazierstocks geschlossen hat (Induktion). Man steckt in eine Geschichte das, was man aus ihr herausholen will. Die Wirklichkeit ist das, was ich als Wirklichkeit deklariere. Jeder ist Conan Doyle. Jeder erschafft sich seinen Holmes. Jeder löst einen Fall. Es ist immer der eigene.
Zettel 49: Einen belesenen Mann getroffen, der sich nicht für Krimis interessiert und sich dafür entschuldigt. Er wisse eh nie, wer am Ende der Täter gewesen sei. Aha. Krimi als Wer-wars-Rätselkiste. Ist ungefähr so, als würde man Rockmusik ablehnen, weil das ja nur diese vier pilzköpfigen Buben sind, die immer „yeah yeah“ schreien.
Zettel 50: Déjà vu: Vor über zehn Jahren beim Joni-Mitchell-Buch, als man nur englische und amerikanische Quellen gefunden hat und feststellen musste, dass hierzulande keine kompetente Popmusikliteratur existierte. Entweder abstruses Theoriezeug oder Flachsinn auf Fanzine-Niveau. Jetzt beim Krimi: genauso. In den USA Leute wie Daniel Stashower, „The beautiful cigar girl. Mary Rogers, Edgar Allan Poe, and the invention of murder.“ Informativ, konzentriert. In Deutschland? Akademische Kacke oder peinliches Liebhabergewäsch (Ausnahmen, ja, aber wenige). Kein Markt, kein Interesse auf beiden Seiten der Registrierkasse.