Von selbstgetretenen Hintern und einem Song der „Ärzte“, mit Serienhelden und anderen Hohlblocksteinen: das Hirn schafft immer neue Zettel – hier sind sie. So. Und jetzt noch schnell die Frau Biermann in den Senkel stellen.
Zettel 31: Nicht nur Zettelwirtschaft, jetzt auch noch Collage. Wehe dem Verlag, der dieses Buch veröffentlicht! Manchmal schreibt es sich im Fiktiven leichter als im Faktischen, gerade Krimi über Krimi als Krimi and so on. Bloß nicht „wissenschaftlich“, das versprechen schon die anderen. Der Krimi als Herrschaftsinstrument. Aber was wird NICHT zum Herrschaftsinstrument? Zuviel Manotti gelesen, wie?
Off-top zum frühmorgendlichen Auf- und Abregen: Wenn ich wissen will, was Dummheit ist, rufe ich eine bestimmte Seite im Netz auf. Ob-jek-ti-vi-tät. Fünf Silben, die sich zu einer Faust ballen und jeglicher Form natürlicher Intelligenz ins Gesicht hauen. Langsam wieder topisch werden: Der Krimi unter dem Schmiedehammer, die Form wird erkennbar, das Langschwert der belanglosen Geschichten geschmiedet.
Zettel 32: Über Erich Wulffen, den Wissenschaftler, mag man sich trefflich streiten. Der Kriminalschriftsteller Wulffen ist aber allemal präsentabel. „Die geschlossene Kette“, 1919, sollte lesen wer an die Existenz des objektiven Beweises glaubt. Dem ein ganzes Kapitel widmen, Wulffen und Landsberger, kennt auch keine Sau mehr.
Zettel 33: Die Kriminal- lief der „Hoch“-Literatur immer einige Schritte atemlos hinterher, ohne sie jemals einzuholen. Wo hechelt sie heute? 1950? Nach dem Gespräch mit R. noch einmal an das Verhältnis Krimi – Film gedacht. Landsberger, wie so viele seiner Kollegen in den Zwanzigern zugleich Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler. Dialogkrimi. Apropos: George V. Higgins, „Die Freunde von Eddie Coyle“, mal reingeschaut, sehr nett. Nicht ausschließlich Dialoge, aber beinahe doch.
Zettel 34: Noch einmal Landsberger. Es ist eine Schande! Alles! Die grenzenlose Ignoranz! Der deutsche Krimi strebt nach Weltgeltung? Hach! Er HÄTTE SIE HABEN KÖNNEN!!! Zwanziger Jahre, Herrschaften! Stattdessen: Lieber einem Wahnsinnigen hinterhergelaufen. Heute? Nicht besser, eher schlechter. Meine Nichte würde sagen: Fastfood-Suchtis. Und mir DIE ÄRZTE vorspielen: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist, es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ Also doch Landsberger im Selbstverlag? Lange genug tot ist er ja.
Zettel 35: „Eine Mordsgeschichte wird recherchiert“ ist fertig. 13 Seiten, aparteste Collage, gleich die nächste Story im Hirnkasten, „Blow Up 1844“. Wer das „Kurzkrimi“ nennt, wird langsam über offenem Feuer geröstet. Aber Dummheit wird auch nicht schmackhafter, wenn sie wie ein Spanferkel zubereitet ist. Heute Morgen aggressiv, dpr? Ach wo. Aggressiv? Ich? Das ist nur meine morgendliche Katharsisdusche für die Kollerader.
Zettel 36: Das Phänomen des Sympathieträgers ist zwar ein allgemein literarisches, in der Kriminalliteratur jedoch besonders rigide gehandhabtes. Der Sympathieträger ist das Floß, auf dem wir durch die Handlung treiben. Nun ist aber der Sympathieträger / das Floß in der Kriminalliteratur kein homogenes Objekt. Er vereinigt in sich höchst widerstreitende Kräfte / Fliehkräfte, Ordnung und Chaos. Also ist seine Konstruktion in aller Regel sehr robust. Verfolgen, wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt hat.
Zettel 37: HEUREKA! Na, wenn ich das SO mache, es wäre höchst umsatzschädlich. DAS erwartet hierzulande niemand. Wir leben im Land der herbeigesehnten Neuerungen, die aber hübsch zum alten Mobiliar passen müssen.
Zettel 38: Sein „erster literarischer Thriller“: Formulierungen wie Hohlblocksteine. „Ein Frauentorso mit Ziegenkopf“: reicht der / dem Mimi wirklich der hundsgewöhnliche Mord nicht mehr? Ist Krimilesen die überkandidelte Heilige Messe der Phantasielosen, die sich die Nervenenden freiwillig veröden lassen? Um danach – Weihrauch, Orgel, Hostie –ihre perversen Rituale vor dem Altar des Genres zu feiern? In China stürzt sich eine Arbeiterin aus dem 8. Stock der Fabrik, in der sie unter viehischen Bedingungen iPods zusammenschraubt. Unten angekommen, hat sie Steve Jobs zerschmettert. Mit wessen Tod machen die Nachrichten auf? Richtig.
Zettel 39: Wenn mit Poe das „Genre“ beginnt (gute Gründe dafür, gute dagegen), dann ist der erster Mörder der Kriminalliteratur – ein Affe, für seine Taten nicht verantwortlich. Der letzte Mörder wird konsequenterweise die Menschheit-als-solche sein. Ein auf ihre Instinkte abstrahierte Masse, affenähnlich. Verantwortlich für ihre Taten?
Zettel 40: Der Serienheld als Instrument zur Kundenbindung. Früh bereits ausgeprägt (der „Criminalrichter“ bei Temme, Detektiv Müller bei Groner etc.), heute beinahe nur noch mit den Termini des Marketings zu fassen. Identifikationsfigur, Win-Win, wer einen Teil gelesen hat, will „wissen, wie es mit dem sympathischen Helden weitergeht“. Nebenbei: Zwei der brillantesten Krimis der Saison sind Standalones von SerienschreiberInnen (Geier, Horst). Zitat Geier: „Es sollte alles wackeln. Nichts sollte sicher sein. Und das geht besser mit neuen Personen, die noch kein Leser kennt.“ Jo.
Weisheitszettel, überflüssig: (Kriminal-) Literatur entwickelt sich als unregelmäßige Folge gezielter Tritte in Autoren-Leser-Kritikerhintern. ABER: den eigenen nicht vergessen.