Rob Alef: Kleine Biester

alef.jpg Darf ein Krimi, in dem reihenweise Kinder ermordet werden, lustig sein? Kann ein Krimi, der grässliche Monster durch die Berliner Unterwelt rumoren lässt, die Wirklichkeit widerspiegeln? Er darf, er kann. Hängt, wen wundert’s, vom Können des Autors ab und das ist im Falle von Rob Alef beneidenswert groß. „Kleine Biester“ heißt das Buch, was, hat man es zu Ende gelesen, durchaus doppelsinnig ist und dennoch einen sehr eindeutigen Blick auf die Verhältnisse erlaubt.

Gemeint sind mit den „kleinen Biestern“ zunächst einmal Kinder. Wer sie in die Welt gesetzt hat, sieht das naturgemäß anders und wünscht ihnen das Beste, tut auch alles für sie, sorgt für gute Startchancen und hier besonders für die optimale Schulausbildung. Was ja, gerade in Berlin, nicht so einfach ist. Integration? Gut und schön. Aber bitte nicht auf dem Rücken UNSERER Kinder. Leider nimmt die Politik darauf keine Rücksicht, Kinder müssen dort eine weiterführende Schule besuchen, wo sie wohnen, doch Eltern sind erfinderisch, sie melden ihre Kinder einfach um, besorgen für ihren Nachwuchs provisorische Schlafplätze, was streng verboten ist und von einem Sondereinsatzkommando der Polizei sanktioniert wird, das immer wieder zu Razzien ausrückt. Ein weiteres Problem sind die Dealer. Jene schlechten Menschen, die an Kinder gefälschte Schulbücher mit unnützem und falschem Wissen verkaufen. Sie nutzen die grenzenlose Lernbereitschaft der Kids gnadenlos aus und machen sie abhängig.

Man sieht schon: „Kleine Biester“ ist ein satirischer Roman. Er spielt an zwei benachbarten Schulen, eine Grundschule und einem renommierten Gymnasium. Die Schüler der ersten streben danach, Schüler der zweiten zu werden, es gibt eine Warteliste – und genau die kommt auf ziemlich unnatürliche Weise in Bewegung. Zunächst wird ein Mädchen, das im Sandkasten eines Spielplatzes sitzt, von einem Krater verschluckt. Man findet ein unterirdisches System von Gängen, undeutbare Spuren eines großen Tieres, aber keine Spur von dem Kind. Hauptkommissar Pachulke und sein Team sind ratlos. Dann stirbt ein Junge im Chemielabor. Was wir ein Unglück aussieht, entpuppt sich als kaltblütiger Mord. Und das Sterben geht weiter…

Eines haben die Opfer gemeinsam: Sie standen alle auf der Liste für die weiterführende Schule ganz weit oben. Schrecklicher Verdacht: Ist der Täter unter denen zu suchen, die ganz unten auf der Liste stehen? Bei ihren ehrgeizigen Eltern? Und was hat es mit dem Monster auf sich, das unter Berlin sein Unwesen treibt?

Von Anfang an ist das alles sehr witzig, mit vielen überspitzten Situationen inszeniert. Das Leben ein immerwährender Kampf um die besten Bildungschancen, bei dem die Schwächsten auf der Strecke bleiben oder die Stärksten zur Strecke gebracht werden. Es geht schließlich um unsere wichtigste Ressource für den künftigen Wohlstand, um Kinder. Kinder? Nein, sorry, wirkliche Kinder kommen bei Alef gar nicht vor. Es sind elf- bis fünfzehnjährige Erwachsenenimitate, die schon so reden wie ihre Eltern, deren Lebensmittelpunkt die Schule ist, wo sie sich um Insektenaufzucht kümmern, weil das eben von ihnen verlangt wird. Wenn also Kinder ermordet werden, dann werden in Wahrheit hochgezüchtete Wissensmonster ermordet, die schon sehr viel früher eines unnatürlichen Todes gestorben sind, als man ihnen das Kindsein aus dem Leib pädagogisierte.

Wie jeder satirische Roman ist auch „Kleine Biester“ eine Typen-Geschichte, die das scheinbar Normale zum Grotesken hoch schreibt, um es zu enthüllen. Alef gelingt das prächtig, seine Figuren sind erfreulich mehrdimensional, gerade weil viele von ihnen an ihrer Eindimensionalität zu ersticken drohen. Mit dem allgegenwärtigen „Krimihumor“ hat das gar nichts zu tun, hier setzt einer die Waffe Lachen ein, um das Grauen bloßzustellen, das wir im sogenannten wirklichen Leben Bildung nennen, wenn wir eigentlich Karriere meinen. Man lernt nicht für die Schule, sondern für das Leben? Weiterträumen, Leute. Oder: Zu lesen anfangen. „Kleine Biester“ ist ein idealer Einstieg in die Wirklichkeit.

dpr

Rob Alef: Kleine Biester. 
Rotbuch 2011. 349 Seiten. 14,95 €

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