Crime School: Lektion 10

Das „weltweite Netz“ verdankt seinen Namen der Möglichkeit, auf Servern abgelegte Dokumente miteinander zu verknüpfen. Diese vermittels der Seitenbeschreibungs-(nicht Programmier-)Sprache HTML leicht zu erlernende Technik ist Grundlage fast aller Krimi-Online-Projekte. Betrachten wir uns dazu ein exemplarisches Beispiel in Bild und Kommentar (die gelben Pfeile wurden von mir nachträglich eingefügt).

Ende des vorigen Jahrhunderts begann der saarländische Autor und Webdesigner Bernd Nixdorf (nicht identisch mit unserem fleißigen Schüler Bernd!) mit der Publikation seines Krimis →„Who killed Johnny Blueswing?“ als, Zitat, „interaktives Projekt“. Inzwischen, wir befinden uns aktuell im 3. Jahrtausend, sind immerhin schon drei Kapitel davon im Netz (über das Problem der „Romanruinen“ – schönes Wort, übrigens! – werden wir auch noch bei Gelegenheit reden müssen).

Neben Grafiken und zaghaften Animationen kommt vor allem ER zum Einsatz: der Link. Zumeist öffnet er, im „Fließtext“ verborgen, wie in der ersten Abbildung, ein neues Fenster und gibt zusätzliche Informationen zu einem Stichwort:

Was als „Bonusinfo“ offeriert wird, könnte ohne weiteres in den eigentlichen Text integriert werden. Der Leser wird genötigt, ein separates Fenster zu öffnen, die Information zu lesen, das Fenster zu schließen.

Etwas anders ist es beim nächsten Link, den wir betrachten wollen: Auch er öffnet ein neues Fenster, steht zwar nicht im Fließtext, bezieht sich aber auf eine Erwähnung dort selbst. Er führt aus der eigentlichen Handlung hinaus auf eine, nun ja, Metaebene. Hier führt uns der Autor in seine „Pulptheorie“ ein.

Dass der Leser natürlich auch hier genötigt wird, den Text zu verlassen, erwähne ich jetzt zum letzten Mal. Es ist bei dieser Form von „Hypertext“ stets der Fall. Eine solche „Pulpgesetzsammlung“ auszulagern scheint mir zwar legitim, aber nicht zwingend. Sie ließe sich, peu à peu, ebenfalls in den eigentlichen Text integrieren.

Die dritte Linkart führt uns nun vollends ins world wide web. Eine Gemäldesammlung wird im Text erwähnt. Man klickt den dazugehörigen Link, erhält eine Meldung (siehe unten), klickt sie weg und landet tatsächlich bei der Tate Galerie.

Natürlich sollte man die Möglichkeiten des Netzes nutzen. Eine wirkliche Neuerung bedeutet dies indes nicht. Es erinnert mich vielmehr an den guten, alten Anmerkungsapparat, wo eine simple Bemerkung à la „Weil es regnete, betrat Herr X. die Tate Galerie und blieb so lange, bis es aufgehört hatte zu regnen“ in einer Fußnote uns die Tate Galerie näherbringt.

Ein wahres Fensterfestival startet, wenn wir nun auf ein harmloses Buch-Icon klicken. Es öffnet sich ein Fenster, das uns den Monitor des Computers des Mordopfers präsentiert, auf dem wir eine Liste mit Namen erkennen, von denen einige ausgewählte anklickbar sind und ihrerseits Fenster nach draußen öffnen, sei es nun zur Bild-Zeitung, zum William-Blake-Multimedia-Project und so weiter.

Wenn das die Welten sein sollen, die mir die Lektüre eines Krimis eröffnet, dann danke. Erinnert mich stark an Computeranfänger, die zum ersten Mal die Fülle der Schriftarten von WORD kennenlernen und davon ausgiebig Gebrauch machen, bis der Seitenspiegel zu einer besonders schlimmen Form von Augenkrebs führt.

Zu guter Letzt das: Wieder drücken wir einen Link, doch diesmal öffnet sich kein neues Fenster. Stattdessen wird am unteren Rand der Seite ein Hinweis sichtbar, der u.a. davor warnt, einen bestimmten Knopf zu drücken (die entsprechende HTML-Technik heißt „Frames“ und vor ihr sei ausdrücklich gewarnt). Natürlich drückt man den Knopf und gelangt auf eine neue Seite (kein neues Fenster!), das uns darüber aufgeklärt, natürlich sei das nur ein Filmzitat gewesen, mithin ein kleiner Scherz.

Ich habe nichts gegen Scherze. Kann sein, dass der Autor seinem Text nicht mehr getraut hat und deshalb eine kleine interaktive Stimmungsaufhellung für notwendig hielt.

Betonen wir, dass es hier nicht um eine Kritik des Romans von Bernd Nixdorf geht. Er steht wirklich nur pars pro toto, und es gibt weit schlimmere „Krimi-Projekte“ im Netz. Fragen wir uns lieber: Was bietet uns dieses Projekt, was uns ein herkömmlich auf Papier angelieferter Text nicht böte? Grafiken. Ein paar animierte Bildchen. Zusatzinformationen, die man im Text unterbringen könnte. „Textfremdes“ Streunen in anderen Sujets. Einiges davon ist verzichtbar, einiges nur eine andere, mediengemäßere Darstellungsform. Ergo: Nichts Neues, nichts, was die Semantik des Textes tangieren könnte, nichts, was auch nur im Entferntesten danach riecht, hier werde „eine Grenze überschritten“, „ein Genre aufgebrochen“.

Charakteristisch ist der Versuch, einen „informativen Mehrwert“ anzubieten. Man nutzt die Möglichen des Mediums – aber nicht die Möglichkeiten des Textes.

Zur Entlastung von Bernd Nixdorf und allen anderen Linkern sei allerdings gesagt, dass wir uns noch immer in einer Experimentierphase befinden. Noch ist alles erlaubt, noch lernen wir aus jedem Beispiel.

Schülerkommentare wie immer hier. Schön wäre es auch, wenn ihr mir Links zu Online-Krimis jeglicher Spielart zukommen lassen könntet. Einfach so, mit oder ohne Kommentar, wie ihr wollt.

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