„Man sollte keine Frau auch nur in die Nähe einer Flasche Bleichmittel lassen. Es ist genauso wie mit dem Feuerwasser bei den Indianern. Sie wissen einfach nicht, wann sie aufhören müssen.„ Charles Revson, 1961 |
Hunderttausende von Jahren ist es bereits her, seit die Evolution beschlossen hat, im Stammbaum der Primaten eine Abzweigung einzufügen und ein zweibeiniges Lebewesen auf den Weg zu schicken, das sich in seinem Verhalten zuweilen nur geringfügig von seinen Brüdern und Schwestern unterscheidet: den Menschen. Vieles ist geblieben, beispielsweise die Vorliebe für Bananen und der Hang zu zeitaufwendiger Körperpflege. Obwohl der Hang zur Hygiene bei bestimmten Bevölkerungsschichten bis in die Gegenwart erfolgreich unterdrückt wurde, blieb ein Rudiment aus den Primatenzeiten der Zweibeiner unablässiger Quell für Ärgernisse aller Art: Haare.
Am Anfang ist das ja alles gut und schön, spätestens jedoch mit der Pubertät tauchen die Probleme auf: Haare sprießen an Stellen, wo sie definitiv nicht hingehören und fallen an Stellen aus, wo sie hingehören. Unumstrittene Problemzone Nummer eins ist die Kopfbefellung. Schöne Haare sind Ausdruck von Erfolg, Gesundheit und senden eindeutige, zuweilen auch zweideutige, sexuelle Signale. Wessen Haare diese Ausstrahlung nicht rüberbringen ist schlicht und ergreifend durchgefallen im Streben nach Glück. Die Folgen sind weitreichend und nicht weniger dramatisch: Frauen riskieren lieber eine Scheidung, als es sich mit dem Friseur ihres Vertrauens zu verscherzen, Staatsoberhäupter färben sich ihre Haare bis ins hohe Alter, nur um jugendlich frisch zu wirken, auch wenn der Alzheimer bereits angeklopft hat und der lachende Dritte ist die Kosmetikinustrie, die die Ängste aller Haartragenden in klingende Münze zu verwandeln versteht.
Diese Beobachtung machte neben Millionen Betroffener auch der US-amerikanische Anthropologe Grant McCracken. Statt wie viele zu resignieren oder einfach ’na und?‘ zu denken, nahm er dies als Anlaß, den ‚Kult um die Frisur‘ näher zu beleuchten. Das Ergebnis dieses Projekts ist eine 250 Seiten starke Studie mit dem Titel BIG HAIR.
McCracken beschloß eine Reihe von Interviews zu führen und die Aussagen der Befragten in einen frisurhistorischen Kontext zu stellen. Dabei stieß er jedoch schon zu Anfang auf ein unüberwindliches Problem. Während Frauen bereitwillig Auskunft über ihre Frisur gaben, weigerten sich die Herren der Schöpfung hartnäckig, damit herauszurücken. Kein Wunder, welcher Mann gesteht schon im Land der unbegrenzten Ausbeutungsmöglichkeiten, daß seine Haarpracht aus der Sprühdose kommt?
BIG HAIR ist deshalb eine Studie geworden, die vorrangig die Beschäftigung von Frauen mit ihrer Frisur in den Mittelpunkt stellt und dies aus dem Blickwinkel des Haarverständnisses der USA. Einiges was an Stylingidealen beschrieben wird, ist für europäische Geschmäcker doch etwas zu hausbacken und einfallslos, dennoch gelangt McCracken zu einer Erkenntnis, die auch für Europäer amüsant nachzulesen ist: Früher, in den fünfziger und sechziger Jahre galten mittels Chemie gebändigte Haare in Form von betonharten Dauerwellen als Nonplusultra und unabdingbar zur Erfüllung der Schönheitsnorm. Heute hingegen ist dank des Revolutionärs Vidal Sassoon Individualität gefragt. Frisuren sind nicht mehr Werkzeug der Normierung, heute sollen sie den Charakter der betreffenden Person unterstreichen. Das Erschaffen einer neuen Frisur wird zum Erschaffen eines neuen Ichs. Über diese Erkenntnis hinaus hat McCrackens Buch eine soziale Komponente: Es hilft die Kluft zwischen Menschen und Friseuren zu überwinden.
Grant McCracken
Big Hair - Der Kult um die Frisur
dtv 28,- DM
ISBN 3-423-24110-1