Der Krimi reagiert wie kaum ein anderes Genre auf gesellschaftlichen Veränderungen. Klar, als realistisch angelegte Erzählung ist er auch darauf angewiesen eine populäre Rahmenhandlung zu bieten, um neues, ungewöhnliches, kriminelles Potential zu entwickeln. Ein solches Potential hat beispielsweise die Wiedervereinigung und die fünf Minuten danach erfundene Wiedervereinigungskriminalität geboten. Es lassen sich aber auch marginalere Trends festmachen. Auf der Hip-Liste der deutschen Städte in Kriminalromanen ist neben Berlin und Hamburg inzwischen auch die boomende Medienhauptstadt Köln im Kommen, siehe Kakonis, Karr & Wehner. Aber auch die Provinzen sind im Kommen: Berndorfs Eifel, aber auch die Urlaubsinsel der Schönen und Wohlriechenden – Sylt.
Nachdem schon Jörn Ingwerson als Einheimischer seinen Krimi „Schafsköpfen“ dort angesiedelt hat, läßt nun Urban Blau, ein weiterer gestandener Insulaner, seine Leichen dort anspülen. Die wird von dem Journalisten Max Heller gefunden, der dort auf Geheiß seines Chefredakteurs einen ‚echten Insider-Artikel‘ schreiben soll, wie sich das Leben der Sylter in der winterlichen Nachsaison darstellt, nachdem die Touris sich den Rücken wieder an der heimischen Heizung wärmen.
Nicht gerade das prickelnde Thema schlechthin für eine Gestalt wie Heller: kaum größer als ein aufgeklappter Klodeckel und ausstaffiert mit der Garderobe von Helge Schneider. Zur Zeitung gekommen war er wie die Jungfrau zum Kinde, wie das passieren konnte, darin hüllt sich der Autor in Schweigen. Blau gibt nur soviel Preis, daß Heller „Ende der sechziger Jahre zwei Semester Psychologie und Soziologie studiert (hatte). Es dann aber vorgezogen hatte, bei Geschäften mit Haschisch und Mädchen schnelles Geld zu verdienen.“ Nach einer Solinger Aussprache mit der ortsansässigen Patenschaft und dem nachfolgenden mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt zog es Heller dann doch vor, ins journalistische Gewerbe umzuschulen.
Wie dem auch sei, Heller ist auf Sylt gelandet, läßt sich eine unangenehm feucht-steife Brise um die Nase wehen, ohne was nennenswertes für seinen Artikel in die Maschine zu tippen, wie gesagt, bis er in einem angespülten Kutter die enthauptete Leiche einer ortsansässigen Mätresse findet. Der Blick, hinter die betulich, bürgerlichen Sylter Kulissen, der sich ihm bei den Hintergrundrecherchen bietet, ist der übliche Sumpf, der sich von Oberammergau bis, ja eben bis Sylt bietet: Korruption, Spekulation, zweifelhafte politische Meinungsmache, käufliche Liebe, Eifersucht und so weiter. Und in diesem Tenor entwickelt sich denn auch die Tätersuche. Bekannte Kost vor Nordseeambiente. Aber aus Sylt-Ambiente und einer kuriosen Figur wie Heller hätte Urban Blau etwas mehr machen können. Eine Liaison mit der ortsansässigen Pfarrerin reißt das nicht raus.
Urban Blau
SALOMES LETZTER SOMMER
Goldmann 9,90 DM
ISBN 3-442-05971-2