Elke Schwab: Kullmanns letzter Fall

Wahlweise morgens oder abends. Du enterst einen Nahverkehrszug, der dich in fünfundzwanzig Minuten zur Arbeit / nach Hause bringen soll (aber nur, wenn der Chauffeur nicht mittendrin mal wieder „dringend aufs Klo“ muss, wo er dann gemütlich die Bildzeitung liest und eine qualmt). Du bist dem Schülergeschrei / dem Omaschnattern hilflos ausgesetzt, der Blick aus dem Fenster bietet weder Ablenkung noch Trost. Also: Buch her. Krimi bevorzugt. Deine Ansprüche sind gering.

Auf das Wohlgedrechselte der Sprache kommt es dir ebenso wenig an wie auf psychologische Feinheiten, einigermaßen glatt muss sich das Ding lesen lassen, ein wenig Spannung, etwas Action schaden auch nicht. Mehr wird nicht verlangt. Aber das ist meistens schon zuviel.

Dabei scheint Elke Schwabs „Saarlandkrimi“ „Kullmanns letzter Fall“ die moderaten Erwartungen vordergründig zu erfüllen. Der Plot ist nicht spannender oder langweiliger als die meisten Plots, die logischen Brüche sind nicht auffälliger als anderswo, und das Personal besitzt die gleiche holzschnittartige Beschaffenheit wie in ca. 90% der Produkte dieses Genres. Für die Bahn sollte es also reichen.

Wären da nicht zwei Dinge, die selbst dem bescheidensten Leser irgendwann so mächtig auf den Senkel gehen, dass er Schülergeschrei / Omaschnattern den Vorzug gibt. Zum einen die ungeheure Geschwätzigkeit der Autorin, die alles, aber auch wirklich alles ausplaudert, was der Leser am besten nicht wissen sollte beziehungsweise sich mit etwas Phantasie selbst zusammenreimen könnte.

Schon beim Eintritt in den Roman, noch bevor die erste Leiche (ein Polizist namens Walter Nimmsgern) zu beklagen ist, teilt uns die Autorin mit, was Sache ist:

„Walter Nimmsgern konnte seine Freude kaum zügeln, weil er schon seit Monaten an dem Fall Luise Spengler gearbeitet hatte. Zäh hatte er seine Idee verfolgt, der Weg zur Lösung lag ihm klar vor Augen, es fehlte nur dieses Ergebnis.“

Einmal ganz davon abgesehen, dass von „Zähigkeit“ und „Weg zur Lösung“ keine Rede sein kann, wie wir im Verlauf des Buches erfahren, ist es einfach unvernünftig, dem Leser bereits zu Anfang brühwarm aufzutischen, warum jemand ins Gras beißen muss. Aber es kommt noch schlimmer. Jede Gemütsregung der „Heldin“ Anke Deister wird uns genauestens beschrieben:

„Nach Feierabend beschloss Anke kurzerhand, in den Stall zu fahren. Sie hoffte, Robert wieder zu sehen. Seit sie den gutaussehenden Mann kennen gelernt hatte, wollte er nicht mehr aus ihrem Kopf. Schon lange hatte sie dieses Gefühl nicht mehr gekannt, das Kribbeln im Bauch, als seien dort tausend Schmetterlinge zum Leben erwacht.“

Hier nun begegnen wir auch der zweiten Unzumutbarkeit des Romans: seiner Sprache. Diese ist völlig ohne eigenen Charakter und besteht aus Versatzstücken – „gutaussehender Mann“, „Kribbeln im Bauch“, „tausend Schmetterlinge“ -, immer wieder durch Schludereien aufgelockert. Man kann nichts „schon lange nicht mehr gekannt“ haben. Entweder man kennt es schon (was hier der Fall ist) oder man lernt es zum erstenmal kennen. Korrekt müsste es wohl heißen: „Schon lange hatte sie dieses Gefühl nicht gespürt…“.

Solche Passagen findet man in Schwabs Buch erschreckend häufig, und meistens sind sie Ausdruck der bereits beklagten Geschwätzigkeit:

„Nach diesem enttäuschenden Intermezzo fuhr sie wieder zurück in ihre kleine Wohnung. Kaum war sie dort angekommen, geschah genau das, was sie mit dieser Reitstunde zu vermeiden versucht hatte. Der Sturz vom Pferd hatte ihr inneres Chaos verstärkt. Während sie sich auszog und in die Duschkabine stieg, spürte sie tiefe Niedergeschlagenheit. Dieser Abwurf passte genau in ihre derzeitige Verfassung, dachte sie zerknirscht.“

Hier wird es dem Leser nicht einmal zugemutet, eine Verbindung zwischen Reitunfall und psychischer Situation herzustellen. Und natürlich ist, wie in jedem Pennäleraufsatz, die Niedergeschlagenheit „tief“ und das Denken „zerknirscht“.
Da verwundert es nicht, dass auch sämtliche Figuren dieses Romanes reden, als hätten sie einen Stock verschluckt. Der Titelheld, Kommissar Kullmann, etwa so:

„Es ist immer wieder schön, von einer jungen Frau wie Ihnen so nett aufgemuntert zu werden; trotzdem merke ich meine Jahre.“

Dass man Jahre „merken“ kann, mag ja umgangssprachlich noch angehen, sollte aber in einem Werk vermieden werden, das vorgibt, „Literatur“ zu sein und seine Protagonisten nicht selten so gestelzt daherreden lässt, als wankten sie nicht durch Saarbrücken, sondern durchs Elysium.

Manchmal kulminiert das Ganze, wie z.B. in einem zwölfzeiligen Absatz auf Seite 23, der uns nicht weniger als siebenmal Wörter mit dem Stamm „Reit-“ zumutet (Reiter, Reitplatz, Reitanlage) und fünfmal „Pferde“ erwähnt. Ich bin wahrlich kein Erbsenzähler, aber hier wird die sprachliche Phantasielosigkeit der Autorin einfach zu offensichtlich. Und gibt es beim Conte Verlag eigentlich einen Vertreter / eine Vertreterin des ehedem in solchen Etablissements gepflegten Berufs des Lektors / der Lektorin? Scheinbar nicht.

Fazit: Wem die Sprache wurscht ist und wer viel in lärmenden Zügen fährt, dem sei Elke Schwabs Buch empfohlen. Wir anderen starren lieber aus dem Fenster.

Elke Schwab: Kullmanns letzter Fall. Ein Saarlandkrimi.
Conte 2004, 355 Seiten, 9,90 €

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