Emmanuel Bove: Der Mord an Suzy Pommier

bove.gifDas Verbrechen lauert überall, zwischen den Buchdeckeln zumal, aber nicht immer ist es Krimi oder heißt so. Handelt es sich um „anspruchsvolle Literatur“, dienen die Blaupausen des Genres vor allem dazu, die Unterlegenheit des letzteren zu beweisen. Oder aber, andersrum, das Scheitern des Hochliteratentums an den trivialen Versatzstücken zu belegen.

Klingt alles negativ, ist es aber nicht unbedingt. Es kann sehr fruchtbar sein, die künstlerischen Potentiale des Kriminalromans dort zu suchen, wo überhaupt kein Kriminalroman geschrieben werden sollte, in Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ etwa oder bei Albert Drach, William Faulkner, selbst Ernst Hemingways „Fünfte Kolonne“ ermöglicht uns einen Blick über die Grenzen des Genres und macht im günstigsten Falle klar, dass es diese Grenzen nie gegeben hat, dass sie so unnatürlich sind wie die zwischen zwei afrikanischen Staaten, von den Kolonialmächten mit dem Lineal auf der Landkarte gezogen.
Mit einiger Verspätung hat es der französische Autor Emmanuel Bove in den illustren Kreis der „literarischen Moderne“ geschafft, dorthin also, wo gemeinhin Hochliteratur erwartet wird. Dass Bove für deutsche Leserschaften von Peter Handke entdeckt wurde, kommt nicht von ungefähr. Beide sind in dem, was sie zu erzählen haben, eher unauffällig, keine Bilderstürmer oder freiflottierenden poetischen Radikale. Trotzdem: In dieser Geistesklasse gibt es Anforderungen, die zu erfüllen sind. Tiefe Gedanken, technische Brillanz, Experimentierfreude – und wenn es denn ein Krimi sein soll, bitteschön. Aber etwas vom Standard des Trivialen absetzen sollte er sich denn doch.

Das ist die erste Überraschung bei der Lektüre von „Der Mord an Suzy Pommier“, dem einen von zwei Krimis, die Bove 1933 schrieb (der andere trägt den hübschen Titel „La Toque de Breitschwanz“ und ist meines Wissens noch nicht ins Deutsche übersetzt worden). Es ist nämlich wirklich ein Krimi. Suzy Pommier, gefeierte Schauspielerin, wird nach der turbulenten Premiere ihres neuesten Films ermordet in der Badewanne ihrer Wohnung aufgefunden. Pikant: In diesem Film starb sie den gleichen Tod, getötet nach einem Streit von ihrem Liebhaber, dessen Ehre sie „in den Dreck“ gezogen hatte. Für den jungen Inspektor Hector Mancelle, der den Fall ein wenig eigenmächtig an sich gezogen hat, kommen nur zwei Personen als Täter infrage: der Filmliebhaber und der tatsächliche Liebhaber. Letzterer gesteht die Tat sogar, doch wie erwartet widerruft er bald sein Geständnis.

Wer sich ein wenig im Werk Boves auskennt, ahnt sofort, dass auch in „Der Mord an Suzy Pommier“ jenes große Thema des Autors ventiliert wird, das Ineinanderfließen von Wirklichkeit und Fiktion, dem was IST und dem was SEIN KÖNNTE. Mit allen Konsequenzen: Aus dem was ist, entwickelt sich die Fiktion, die wiederum ist die bessere Wirklichkeit – und so dreht sich das weiter bis in alle Ewigkeit. Das herauszufinden ist nicht schwer und man merkt auch gleich, warum Bove hier die Form des Kriminalromans gewählt hat. Der nämlich ist ein fortwährendes Ineinandergreifen von (re-)konstruierter Wirklichkeit, die Fiktion ist immanent, eine Folge von Mutmaßungen, die sich aus Fakten entwickeln und selbst wieder Fakten generieren. Das zeigt sich schön in der Person Hector Mancilles, eines unbekümmerten Grüblers, der die Wirklichkeit von berufswegen ständig neu erfinden muss und sie am Ende, ganz auf koschere Krimiart, festklopft und seinen Fall löst.

Ansonsten liest sich das Büchlein mit seinen knapp 170 Seiten – nett. Ein Krimi eben, wie die 30er Jahre viele hervorbrachten, gelegentlich mit Dialogen, die dem Theater entsprungen zu sein scheinen (sind sie ja auch, das Theater heißt nur jetzt Film), schön dosiertem Witz und überhaupt allem, was es braucht, um hübsche altmodische Krimispannung zu erzeugen. Gut, es wieder einmal in den Tiefen meiner Regale entdeckt zu haben.

Emmanuel Bove: Der Mord an Suzy Pommier. 
Fischer 1993
(Le meurtre de Suzy Pommier. 1933. Deutsch von Barbara Heber-Schärer.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Bettina Augustin).
174 Seiten, zur Zeit nur antiquarisch erhältlich

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