Peace, 1977, Notizen eins

Also lesen wir „1977“, durchaus mit einer gewissen Beklemmung. Beklemmung, weil man die Stimmen derjenigen im Ohr hat, die das Buch im Original gelesen haben, positive wie negative Stimmen, die aber, so oder so, auf eines hinauslaufen: „1977“ ist eigentlich wie „1974“.

Und genauso scheint es zu sein. Das erste Kotzen, den ersten brachialen Geschlechtsverkehr begrüßt man wie gute alte Bekannte und hofft inständig, man möge Ihnen – gute alte Bekannte eben – ab sofort nicht auf Schritt und Tritt begegnen. An die Stelle des tragischen Helden Edward Dunford ist in „1977“ gleich ein Duo getreten, der Polizist Robert Fraser und der Journalist Jack Whitehead, beide selbstverständlich keine good guys, eher Ge- und Beschädigte, traumatisiert, von bösen Geistern aus der Vergangenheit und der Gegenwart nicht nur durch die dunkle Handlung gejagt, sondern auch durch die Sprache.

Als Leser erwartet man jetzt, bei zwei Ich-Erzählern, auch zwei Perspektiven, aber die bietet Peace nur ansatzweise. Fraser und Whitehead sind von der gleichen Sorte wie schon Dunford im ersten Band, Höllenbewohner mit vager Aussicht aufs Fegefeuer.

So beginnt man zu lesen, vierzig Seiten, fünfzig Seiten, diesmal werden keine kleinen Mädchen, sondern Prostituierte ermordet, die Polizei ist eher noch brutaler als in „1974“, es gibt, wie erhofft, ein paar sprachliche Leckerbissen, aber die Hauptelemente diese finsteren Welt sind die aus „1974“, die Polizei noch ein bisschen brutaler, die Hoffnungslosigkeit der Protagonist noch etwas hoffnungsloser, alles natürlich „sehr hart“, für manchen Rezensenten denn doch zu hart, so hart, dass es ihm gleich den Verstand raushaut: „Hier macht einer Schluß mit der ganzen Kreuzworträtselei eines zutiefst bürgerlichen Genres, das sich zur Wiederherstellung der Ordnung gern so niedlicher Charaktere wie Hercule Poirot oder der Miß Marple bedient.“ Willkommen im 20. Jahrhundert, → Herr Rezensent, schauen Sie sich um, wir gehn dann schon mal vor ins 21.

Jetzt ist er da: Der Verdacht, „1977“ sei lediglich die 2. Stufe auf dem Weg zum „härtesten Krimi aller Zeiten“, wo doch, → laut SPIEGEL, Peace schon „der härteste Krimiautor der Gegenwart“ ist, und wenn Fraser / Whitehead bei solcher Aussicht auf Weltrekord das Kotzen käme, es wäre nur zu verständlich.

Aber wenn man dann weiterliest und plötzlich keine Lust mehr hat auf Blut und Kotze und Tränen und Hirn an der Wand, wenn der männliche Schwanz einmal zuviel in eine weibliche Öffnung gesteckt wurde – dann hat man die Wahl. Entweder man klappt das Buch zu und sagt „Kenn ich schon“. Oder man liest weiter und studiert Peaces Sprachdramaturgie. Oder: Man fragt sich: Über welche Welt lese ich da eigentlich?
Alternative eins ist zu deprimierend; Alternative zwei nicht wirklich das, was man tun möchte. Bleibt Alternative drei. Die Welt von „1977“.

wird fortgesetzt

3 Gedanken zu „Peace, 1977, Notizen eins“

  1. Ja, das ist schön. Richtig. Das bestätigt genau meinen Verdacht, den ich schon bei seinem ersten Buch hatte. Dass da nämlich ein Autor möglichst hart sein möchte. Auffallen möchte. Vielleicht auch mit einem gewissen Recht gegen die ganzen schönen geruhsamen, genugsamen, süßen kleinen Krimis anschreiben wollte.

    Und da seine Strategie aufging, er mit Preisen bedacht wurde, weil er so schön hart und politisch unkorrekt war, schickte er gleich ein noch härteres Buch hinterher. Das ich nicht lesen werde. Weil mir Strategiebücher nicht gefallen.

    Alternative drei a: Ist das nicht eine ganz eigens eingeschränkte scheugeklappte Welt, die Welt von 1977? Muss ich mir diesen winzigen, eingeklappten Ausschnitt wirklich zu Gemüte führen?

    Nee, muss nicht. Nicht, weil er zu hart ist für mein Gemüt. Sondern weil er vielleicht doch zu scheugeklappt ist.

    Gruß
    Georg

  2. Peace ist gewiss ein lesenswerter Autor, keine Frage. Aber die blanke Gewalt droht alles zu überdecken, was durchaus sonst noch in seinen Büchern ist. Man kann als Rezensent gar nicht anders, als sich damit zu beschäftigen, und dann kommen halt auch diese hirnrissigen Superlative zustande. Aber es ist schon noch mehr drin bei Peace, die Frage ist nur, ob es sich lohnt, sich durch die laute Oberfläche zu graben, um dranzukommen. Mal sehen.

    bye
    dpr

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