Ein ruhiger Morgen in den Redaktionsräumen von Hinternet. Fräulein Katja wiegt den Kronprinzen, Nachwuchskraft Jochen König büffelt für den Jagdschein, Kollege Bernd Kochanowski grübelt über seiner neuen Doktorarbeit, „Bakterienkrimis im Wandel der Zeiten“. Dass sich Fräulein Anobella die Fußnägel lackiert, ist inzwischen zum festen Anblick eines jeden beginnenden Arbeitstages geworden und wird nur noch von dpr, dem Fahnenträger des guten Anstands, bemängelt. Was aber ist mit dem Chef los? Walter tigert durch die Räumlichkeiten, dann bleibt er am Redaktionstisch stehen und flucht in die Runde: „Und welchen Krimi schenke ich meinem Onkel Erwin zu Weihnachten? Hä?“
Ach, es ist wieder soweit, der Geschenketerror hat begonnen, Tragödien bahnen sich an, wenn Oberstudienrätin Walburga David Peace unterm Weihnachtsbaum findet und unsereiner mit Landhauskrimis zugeworfen wird. „Was ist denn Ihr Onkel Erwin so für einer?“ fragt Abteilungsleiter dpr den verzweifelten Chef. Der überlegt kurz. „Na, mein Onkel Erwin… er trägt ständig altmodische Hochwasser-Hosen und gondelt mit seinem Opel Kadett durch die Landschaft.“ „Na“, grinst dpr, „für den Mann ist Donna Leon genau das Richtige!“ – „Meinen Sie?“ Chef Walter scheint noch nicht zur Gänze überzeugt. Eine Minute lang hört man nur das rhythmische Pusten Fräulein Anobellas, die ihre Zehennägel subito „auf Vordermann“ bringen will, weil sie gleich Wolf Haas auf seinem Hotelzimmer interviewen wird. Dann schlägt Chef Walter plötzlich und heftig auf den Tisch.
„Ich habs!“ — Keine Reaktion der Redaktion. — „Die meisten Krimis sind weder gut noch schlecht — sie werden nur entweder von den richtigen oder den falschen Leuten gelesen! Also keine Rezensionen mehr, die doch nur den Geschmack und die literarische Bildung des Rezensenten wiedergeben! Stattdessen: Herausfinden, welcher Menschentyp zu welchem Krimi passt! Eine Weihnachtsserie draus machen, denn damit wäre auch das alte Menschheitsproblem der unpassenden Geschenke gelöst! Dpr, Sie übernehmen das! Ab nächster Woche jeden Freitag stellen Sie Neuheiten der Krimiproduktion vor und entwerfen prägnante Porträts des idealen Geschenkempfängers!“
Wieder mal die Arschkarte gezogen, denkt dpr, während Kollegin Anobella in ihren Ledermini springt und – „Tschüssjen, ich geh jetzt zu Woooholf!“ – durch die Tür fegt, Jochen „Crazy“ König zu „Catch 22“ greift und Bernd ergriffen murmelt: „Virus, Virus, gib mir meine Krimis wieder…“ Also passgenaue Krimitipps. Maßgeschneiderte Thriller für jeden Menschentypus. Welches Buch könnte man einem Mitglied der Toskana-Fraktion schenken? Veit Heinichen? Nö. Was liest der kinderhassende Büroangestellte mit Gewinn, abgesehen vom Säuglingsmord in Bethlehem? Das wird wieder Stress, denkt dpr, aber Chef Walter sitzt derweil völlig stressbefreit neben Fräulein Katja, die noch immer den Kronprinzen wiegt. „Sieben Kilo schon!“, ruft sie entzückt aus, und Chef Walter nickt erfreut. „Wenn er zehn Kilo draufhat, können wir ihn als Türstopper verwenden.“
dpr