Ob er nun ein Ei zerbricht, nach Bollywood geht, auf sein Herz hört, oder, wie im vorliegenden Fall, 1. Klasse Zug fährt: Inspector Ghote aus Bombay bleibt immer Inspector Ghote aus Bombay. Ein Beamter zwischen der Sicherheit des Subalternen und dem Aufrührerischen des eigenen Denkens, was ebenso lustig wie traurig wie alltäglich sein kann.
Ghote also fährt 1. Klasse. Mit dem Zug von Bombay nach Kalkutta, wo er den Meisterbetrüger A.K. Bhattacharya in Empfang nehmen und nach Bombay zurückbringen soll, damit man ihm dort den Prozess machen kann. Die Aussicht auf eine ruhige Fahrt quer durch Indien wird schon durch den ersten Mitreisenden zunichte gemacht. Es ist kein anderer als Bhattacharya selbst, der natürlich nicht in Kalkutta einsitzt. Weitere merkwürdige Reisebegleiter gesellen sich zu den beiden: ein Hippiepärchen samt Guru (der Roman erschien 1971 im Original), ein Verwalter von Formularen und Schreibpapier bei der indischen Eisenbahn steigt später zu.
Dem Leser ist die Konstellation von vornherein klar und zunächst bewegt er skeptisch den Kopf in den Waagerechten, scheint doch Keating hier ein schönes Stück suspense unüberlegt aus der Hand gegeben zu haben. Wäre es nicht klüger gewesen, den Leser im Zweifel über die Identität des Reisebegleiters zu lassen? Wäre es nicht, wie sich zeigt, denn die folgenden 100 Seiten der Fahrt nach Bombay erhalten ihre Würze gerade durch die Tatsache, dass WIR alles wissen, Ghote jedoch alles nur AHNT, sich aber niemals sicher sein kann, ob sein geschwätziger Mitfahrer tatsächlich Bhattacharya ist. Der macht Fehler über Fehler, ja, er legt es geradezu darauf an, von Ghote erkannt zu werden. Ghote indes wägt ab und findet zu jedem Argument ein Gegenargument. Er wartet auf den eindeutigen Beweis – und als er den, man fährt gerade in den Bahnhof von Kalkutta ein, geliefert bekommt, zögert er nicht lange.
„Inspector Ghote reist 1. Klasse“ ist ein Krimi ohne Mord und Totschlag, ein Büchlein, das man mit einem beständigen Lächeln im Gesicht liest. Keine Brachialkomik, natürlich nicht. Situationskomik in des Wortes schönster Bedeutung, auch auf der Rückfahrt. Wird der nun enttarnte Bhattacharya entkommen? Wer sind seine Helfershelfer? Wieder das Hippiepärchen? Oder der Formularverwalter? Wird es Ghote gelingen, Bhattacharya zu einem Geständnis zu bewegen, so wie es seine Vorgesetzten von ihm erwarten?
Überhaupt ist „Inspector Ghote reist 1. Klasse“ ein dauerndes Frage-und-Antwort-Spiel im Kopf des sympathischen Titelhelden, ein lockeres Alltagspsychogramm, das, liest man es einigermaßen nüchtern, so locker eben nicht ist, sondern von den Verwirrungen berichtet, in die einer kommt, der zwischen den Stühlen sitzt und sich verzweifelt in den Schoß des Eindeutigen zu retten versucht. Hervorragende Unterhaltung, wenn es mehr nicht sein soll, eine Geschichte mit eingebauter Falltür, wenn man vor Stürzen ins wirkliche Leben nicht zurückschreckt. Solch edle Mischungen werden nicht nur in den Laboratorien der Kriminalliteratur selten gebraut.
H.R.F. Keating: Inspector Ghote reist 1. Klasse.
Unionsverlag 2007
(Original: „Inspector Ghote goes by Train“, 1971, deutsch von Mechtild Sandberg-Ciletti).
190 Seiten. 9,90 €