Jan Burke: Bloodlines

Mit 637 Seiten in der amerikanischen TB-Ausgabe kann Jan Burkes „Bloodlines“ als außergewöhnlich umfangreich gelten. Die in den USA erfolgreiche Autorin, die u.a. 2000 den Edgar für ihr Buch „Bones“ bekam und von der alle Bücher ins Deutsche übersetzt vorliegen, gruppiert ihre Serie um die Journalistin Irene Kelly, die bei einer kleineren Zeitung arbeitet und, da ihr Mann Polizist in der Gemeinde ist, nicht die Kriminalgeschichten für die Zeitung bearbeitet, aber dennoch immer wieder auf solche stößt.

„Bloodlines“ ist ein ambitioniertes Buch, in welchem die Autorin nicht nur, wie häufig, die Verbrechen der Gegenwart auf ihre Wurzeln aus der Vergangenheit zurückführt. Stattdessen erzählt sie in dem epischen Werk eine Geschichte von Verbrechen, die über sieben Jahrzehnte reichen und von vielfach verflochtenen Beziehungen zwischen Menschen. Manche dieser Menschen sind inzwischen alt geworden, andere mittlerweile gestorben und einige sind noch jünger und geraten (der beziehungsreiche Titel des Originals deutet es an) in dieses Beziehungsgeflecht über Freunde oder Verwandte. Kelly steht dabei noch nicht einmal im Zentrum des Buches, sondern ihr früherer Lehrmeister und Mentor Cork O`Connor.

„Bloodlines“ ist in drei Teile aufgebaut. Der erste Teil ist zwischen 1936 und 1958 angesiedelt und erzählt, wie O´Connor schon als kleiner Zeitungsjunge vom Reporter Jack Corrigan ans Zeitungsgeschäft herangeführte wurde. Nach einer Party wird Corrigan zusammengeschlagen aufgefunden. Die Gastgeber bleiben nach einer nächtlichen Yachtfahrt verschwunden und ihr kleines Kind wird zeitgleich entführt. Mittlerweile mit Corrigan befreundet, schreibt O´Connor als junger Reporter über diese Vorkommnisse.

Letztlich bleiben sie ungelöst und 1978, im zweiten Teil, stoßen O´Connor und Kelly, ihrerseits nun junge Reporterin, zufälligerweise auf Hinweise zu diesen alten Geschehnissen. Die beiden Journalisten und die Polizei nehmen die Nachforschungen wieder auf und können einiges Licht in die damaligen Ereignisse bringen.

Und als dann Kelly im Jahr 2000 einen Teil des schriftlichen Nachlasses O´Conners erhält und in diesem stöbert, findet sie Informationen, die ihr zuvor unbekannt waren und ein weiteres Mal werden die früheren Ereignisse aufgerollt. Nun versucht Kelly alleine das Vermächtnis des Mentors ihres Mentors aufzuklären.

„Bloodlines“ ist nicht nur ein Buch, in dem Verbrechen komplex aufgearbeitet wird, sondern es ist auch ein wunderbar gefügtes Buch mit interessanten Menschen und den vielfältigen Beziehungen zwischen ihnen. Es ist ein Vergnügen, mit den Personen durch die Zeiten zu reisen und zu sehen, wie sie und das Zeitungsmetier sich ändern. Das Rätsel wird mit wechselnden Personen, neuen Informationen und zunehmender Kriminaltechnik immer wieder aus anderen Blickwinkeln angegangen und letztlich gelöst.

Jan Burke schreibt mit einer geradezu federnden Leichtigkeit. Direkt provokant unangestrengt, aber nie schal liest sich das Buch. So manche Metapher, so manches Motiv, so manches Empfinden transportiert sie gekonnt durch die Zeit und greift diese immer wieder auf. Das einzige was mich ein wenig stört, sind die verschiedenen Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird. Irene Kelly erzählt grundsätzlich in der ersten Person, anderen Personen blickt der Leser über die Schulter. So dass der erste Teil des Buchs grundsätzlich in der dritten Person und der dritte Teil überwiegend in der ersten Person geschrieben ist. Im zweiten Teil, in dem Kelly zunehmend in den Mittelpunkt rückt, wechselt die Erzählung immer wieder von der ersten zur dritten Person. Da Kelly hier noch nicht Hauptfigur des Buches ist, stört die Verwendung der ersten Person in meinen Augen ein wenig den Erzählfluss; sie ist aber aus Gründen der Serienkonsistenz unumgänglich.

Dennoch: Jan Burke ist auch so eine Autorin, die ein wenig mehr „Öffentlichkeit“ in Deutschland verdient hätte.

Jan Burke: Bloodlines. 
Simon & Schuster 2006. 637 Seiten. 8.50 €
(deutsch: Totenruhe. Goldmann 2005, 671 Seiten. 8.95 € )

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