Minnesota, USA; hoch im Norden an der kanadischen Grenze. Viele Seen, hohe Berge. Im Winter eine Landschaft voller kristalliner Schönheit, im Sommer die Seen ein Spiegel des Himmels. Das ist die Welt des Autors William Kent Krueger und der Personen um den ehemaligen Polizisten Corcoran O’Connor. Dieser lebt in Aurora, einer kleinen Gemeinde, in der Weiße und Ojibwe-Indianer nicht immer spannungsfrei nebeneinander her leben. Corcoran O’Connor, der eine indianische Großmutter hat und in der Gemeinde früher Sheriff war, musste diese Spannungen vor Jahren am eigenen Leibe erfahren.
Ausgangspunkt der Geschichte in „Blood Hollow“, dem vierten Buch der Serie um Corcoran O’Connor, ist der Tod einer jungen Frau. Der Täter scheint schnell ausgemacht. Ein junger Mann indianischer Abstammung, der im Ort wiederholt wegen kleinerer Vergehen von der Polizei festgehalten wurde und als schwierig gilt. Seine Fingerabdrücke wurden auf Gegenständen am Tatort gefunden. Endgültig entschieden scheint die Frage dann, als er untertaucht. Corcoran O’Connor glaubt dennoch an die Unschuld des jungen Mannes. Er überzeugt seine Frau, die Anwältin ist, die Verteidigung des Mannes zu übernehmen; wobei er ihr als Ermittler zur Seite stehen will.
Nachdem der Verdächtige eine mystische Erfahrung hatte, stellt er sich schlussendlich der Polizei. Und während Corcoran O’Connor Schicht für Schicht die Geheimnisse rund um die Person der Toten abträgt, passiert plötzlich Wundersames im Ort und immer mehr Menschen sehen den Verdächtigen als Wunderheiler an und sammeln sich allmorgendlich vor dem Untersuchungsgefängnis.
Vom Aufbau her sind die Bücher Kruegers um Corcoran O’Connor klassische Whodunits mit regionalistischen Elementen. Und doch ist „Blood Hollow“ (wie alle Bücher des Autors) alles andere als gewöhnlich, es hat das gewisse Etwas, welches z.B. → Robert Ferrignos Büchern bisher noch fehlt. Außergewöhnlich ist der ungeheure hohe Druck, der auf Corcoran O’Connor lastet. Dieser erinnert an die Dave-Robicheaux-Bücher von James Lee Burke. Wobei der Druck der auf Robicheaux liegt, noch etwas intensiver wirkt. Außergewöhnlich ist auch die Atmosphäre, in die das Buch uns eintauchen lässt. Die Landschaft, die sozialen Spannungen zwischen Weißen und Indianern, die Riten und Gebräuche der Ojibwe-Indianer … was er darstellt, wirkt dicht und stimmig. Wie er darstellt, ist lesenswert. Anders als Heinrich Steinfest (siehe das Interview des Autors durch Frank Rumpel im Krimijahrbuch 2006) schreibt Krueger Sätze die man zweimal liest; nicht weil man muss, sondern weil man mag. Mit leichter Hand skizziert er glaubwürdig eine hohe Zahl von Personen und schafft durch zahlreiche Bezüge zwischen den Personen und ihren Lebensgeschichten eine hohe Komplexität.
Besucher die von weit her kommen, um den „Wunderheiler“ zu sehen, die fromme Schwägerin, die im Haushalt Corcoran O’Connors lebt und plötzlich ins Pfarrhaus zieht, der plastische Chirurg, der sich seine Tochter neu erschafft und (ohne zu viel zu verraten) der Täter. „Blood Hollow“ ist ein Buch, welches sich mit den metaphysischen Bedürfnissen der Menschen beschäftigt [ohne dass es selber ein metaphysisches Buch ist]. Um diese Bedürfnisse darzustellen, entwickelt es eine hohe Emotionalität. Vermutlich ist das auch der Grund, weswegen das Buch in den USA mit großer Begeisterung aufgenommen worden ist und als weiterer Meilenstein des Autors gefeiert wird. Ohne Zweifel ist es ein erstklassiges Buch eines Autors ,von dem man über die Übersetzung seines ersten Buchs hinaus (übrigens auch eine Empfehlung wert), gerne weitere übersetzt sähe. Aber es ist ein „weicheres“ Buch als die vorangegangenen Werke dieser Serie. Der emotionale Stress mit dem Corcoran O’Connor fertig werden muss, reduziert sich, die Person und ihre Darstellung wird spannungsfreier. Ich bin sehr gespannt, wie Krueger in den weiteren Folge der Serie diesbezüglich vorgeht.
William Kent Krueger: Blood Hollow.
Pocket Star Book 2005. 512 Seiten, 7,49 €