Was ist Krimi? Neues aus der Zettelwirtschaft 12

Und weiter gehts beim lustigen Fragenbeantworten. Diesmal von NOIR bis MAGGI, von Glauser bis Manierismus. Ein Ende? Nicht abzusehen.

LeserInnen-Beschimpfungszettel: Das eigentlich Erschreckende an all den kriminalliterarischen Hundsmiserabligkeiten ist nicht, dass sie geschrieben wurden, sondern dass sie gelesen werden. Keine Kritik an der ungelenken Sprache, den abgegriffenen Metaphern, den schiefen Bildern, der piefigen Attitüde moralischer Autorität. All das wird durchgewunken, es liest sich „flüssig“, es durchquert das Hirn des Lesers folgenlos wie Gammelfleisch anscheinend den Magen. Oder der Tomatenvergleich: Nur wer noch nie richtige Tomaten gegessen hat, hält spanisch-holländische rote Wasserbomben für Tomaten.

Zettel 111: Noch was mit Banken und Spekulationen und üblen Spielchen auf politischer Ebene, Ulrich Ritzels „Schlangenkopf“. Überhaupt: Der Krimi als Spiegel der gesellschaftlichen Befindlichkeiten oder doch eher als Abbild der Nachrichten von Tagesschau und Printmedien? Befürchtung: letzteres. Plötzliche Sehnsucht nach einem irritierenden Text, der mir nicht nur erzählt, was ich schon weiß.

Zettel 112: Was wäre Friedrich Glauser, würde er heute leben und schreiben, für Publikum und Kritik? Geisteskrank, kriminell, arbeitsscheu, Hartz IV-Empfänger. Allenfalls ein bunter Hund, „interessanter Typ“, den man für den Wimpernschlag einer Saison durch das Feuilleton jagen könnte. Die Geschichte der Kriminalliteratur „in Echtzeit“ unterscheidet sich gewaltig von der nachträglichen Kriminalliteraturgeschichtsschreibung. Langes Wort für einen Kurzschluss.

Zettel 113: Warum tut sich der intellektuelle Diskurs so schwer mit dem Trivialen? Weil ihm das Kreuz wehtut, weil er immer nach unten schaut, der Gegenstand nicht auf der vielzitierten „Augenhöhe“ ist. Es ist keine Kunst, die Maßstäbe an das anzulegen, aus dem man die Maßstäbe selbst geschnitzt hat, das Hohe und Hehre. Es ist eine weitaus größere Kunst, diese Maßstäbe, sobald sie sich als untauglich erweisen, über Bord zu werfen.

Zettel 114: Gibt es, als Kontrast zum allgegenwärtigen „noir“, eigentlich auch einen „blanc“? Den Krimi, der die Welt schönschreibt? Kann es nicht geben, weil dort, wo Verbrechen geschehen, immer auch Schatten sein muss? Andererseits: Wo „Aufklärung“ ist, waltet immer auch Weißwaschen.

Aktualienzettel: Die „Eurokrise“ ist ein Roman Noir, in dem ein Roman Blanc seziert wird. Oder umgekehrt. Egal. Jedenfalls: Ein Roman Gris.

Zettel 115: Wer sich über das Schwarz/Weiß in der Kriminalliteratur mokiert, darf am NOIR nicht vorbeihuschen, als sei er ein sakrosankte Phänomen jenseits der Kritik. Wer von der natürlichen Verderbtheit der Welt ausgeht, ist nicht automatisch auf der besseren Seite des Krimis. Er ist momentan wohl auf der sicheren, denn einem Noir unterstellen wir instinktiv höhere Einsichten in den Zustand der Welt. Aber auch nur, weil er sich als Antipode der antiquierten Philosophie von der grundsätzlich möglichen Wiederherstellung eines Alltagsidylls geriert.

Zettel 116: Zu den größeren Missverständnissen zählt die Auffassung, Kriminalliteratur habe sich aus den Trivialmustern des dichotomischen Gut/Böse-Universums zu immer differenzierteren Formen von Welt-Betrachtung herausentwickelt / veredelt. Es stimmt einerseits nicht, weil am Anfang keineswegs das Triviale stand. Und andererseits: Weil Kriminalliteratur sui generis trivial sein muss. (Muss? Hm. Drüber nachdenken). Man könnte aber auch einfach sagen: So lange der Begriff „trivial“ in der Diskussion negativ besetzt ist, kann er auf Literatur nicht angewendet werden.

Subsubgenrezettel: Regionalkrimi? War gestern. Heißt ab sofort „schauplatzorientierte Spannungsromane“ (laut EMONS-Katalog). Immerhin besser als „kundenorientiertes Fremdenverkehrsmarketing mit Literaturklecks“.

Zettel 117: Wir befinden uns im Zeitalter der Lehr- und Lernkrimis. Interessantes über Ibbenbüren, die Weimarer Republik, die Bankenkrise, die südafrikanischen Verhältnisse. Der Krimi als Infotainment, in der Luxusausführung mit integrierter moralischer Entrüstung. Und was lernen wir? In Ibbenbüren ist es langweilig, in der Weimarer Republik tanzten Inflation und Dekadenz bis in die Puppen Charleston, die Bankenkrise kriegt uns alle und die südafrikanischen Verhältnisse sind mies. Abhaken. Krimis, die wie durchgearbeitete Schulbücher im menschenleeren Raum schweben.

Zettel 118: Traum von Kriminalliteratur, die in uns explodiert, die Ur-Teilchen (nicht: Urteil-chen) freisprengt: menschliche Hybris und menschliche Erbärmlichkeit, das Idyll Armageddons, wie wir gefressen werden, während wir fressen. Was tut das Kunstwerk? Es verbindet zwei Gehirne miteinander und schafft ein drittes.

Zettel 119: Literatur ist wie KNORR Gemüsebrühe oder MAGGI. Ein künstlicher Geschmack, der etwas Natürliches von A nach B transportiert. Mal ehrlich: Wer löffelt KNORR Gemüsebrühe aus dem Glas? Wer trinkt – außer Arno Schmidt – MAGGI pur? Warum liest man Kriminalromane, als seien sie schon die Gemüsesuppe? Literatur ist das zu Geschichten vereinfachte Leben, das von einem Hirn zum nächsten gereicht wird. Beispiel: Glauser.

Zettel 120: Wieder einen Krimi abgebrochen, der seine schlichte Story im Ton eines oberflächlichen Manierismus erzählt. Einen anderen begonnen, der noch manieristischer ist. Beide stehen auf einer „Bestenliste“. Skelette unter wallenden Gewändern. Der letzte große Manierist war Thomas Mann, der konnte das. Aber das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man „literarisch“ schreiben möchte. Man landet im Museum.

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