Kapitel VI

wickius_forts_cover_2.jpg

Was bisher geschah: Die Ereignisse spitzen sich zu. Nach dem Tod eines berüchtigten Krimibloggers, dem Auffinden einer merkwürdigen Liste sowie dem Verschwinden von sieben herausragenden Vertretern des SYNDIKATS, der Vereinigung deutschsprachiger Krimischaffender, beginnt Horatio Wickius, zwei und zwei zusammenzuzählen. Das Ergebnis: vier. Es wird Zeit, dass die Geschichte endlich auf Handlungstouren kommt!

Während sich Anna Beller in Wickius Bett liegend von ihrer Nachtschicht erholte, saß der Besitzer der Ruhestatt am Rechner und hielt sich auf dem Laufenden. Blogger Menke, der sich im Zuge mehrerer Vorstrafen recht gute Beziehungen zur Polizei erarbeitet hatte, berichtete in bekannt sensationsgeiler Manier von dem Fall der sieben entführten Syndikatsmitglieder und sparte nicht mit Häme, die notdürftig von gekünstelter Betroffenheit kaschiert wurde. Menke, dein zweiter Vorname ist Notdurft, dachte Wickius bitter, er duldete grundsätzlich keinen Konkurrenten neben sich, mit Ausnahme des Saarländers, der aber weit über ihm stand. Wickius las nur flüchtig, er war nervös, denn er wartete auf eine Nachricht aus dem Polizeipräsidium.

In den langen Jahren, die er dort dienstlich verbracht hatte, waren Freundschaftsbande geknüpft worden, die auch durch Intrigen von höherer Stelle nicht zu zerreißen gewesen waren, und obwohl es Wickius verabscheute, diese in gegenseitiger Achtung gewachsenen Verhältnisse auszunutzen, war ihm an diesem Morgen nichts anderes übrig geblieben, als es doch zu tun. Er hatte dem Krimioberwachtmeister Griffel zwei in Plastikfolie verpackte Objekte zukommen lassen – einen frankierten Briefumschlag sowie eine Visitenkarte – und gebeten, Griffel möge durch Sicherung der DNA an der Briefmarkenrückseite (Speichel!) und der auf der Visitenkarte befindlichen Fingerabdrücke die Identität der dazugehörigen Personen feststellen.

Da er seit Monaten sein Haus nicht mehr verlassen hatte und nicht gewillt war, es jetzt zu tun, obwohl die Dinge wichtig genug gewesen wären, hatte Wickius am Morgen das Fenster zum Hof geöffnet und in diesen schrill hineingepfiffen. Sofort war ein zerlumpter Mann zwischen zwei Mülltonnen hervorgekrochen, hatte eine Hand gehoben und sich dann torkelnd in die Wickiussche Wohnung verfügt, wo eine Tasse Kaffee und ein belegtes Brötchen auf ihn warteten und heißhungrig konsumiert wurden.

Dieses bedauernswerte Geschöpf war kein Geringerer als der einstmals hochverehrte und gepriesene Krimikritiker Wörtche, den ein grausames Schicksal in Elend, Wohnungslosigkeit und berufliches Prekariat gestürzt hatte. Er hauste nun im Hof des Wickiusschen Hauses, in einem zwischen den Mülltonnen aufgestellten großen Pappkarton, welcher einstmals den Klappsessel MANKELL der schwedischen Möbelfirma IKEA beinhaltet hatte und nun dem Wörtche als leidlicher Wetterschutz diente.

Nachdem Wörtche gefrühstückt und versucht hatte, Wickius eine „prima Rezension“ anzudrehen, „nur 10 Euro!“, hatte der Expolizeibeamte dem Unglücklichen gar Euro 20 in Aussicht gestellt, so dieser auf schnellstem Wege die beiden Objekte ins Polizeipräsidium transportieren und sicher zu Händen des Griffel abliefern würde. Wörtche hatte unter lautem „Hurra!“ zugestimmt, seine Zuverlässigkeit versichert und war auch sofort mitsamt der Beförderungsmasse von dannen gezogen. Das war jetzt zwei Stunden her; mit Griffels Antwort war jeden Moment zu rechnen.

Fünf Minuten und ein Telefonat später stürzte Wickius in an ihm selten zu registrierender Verwirrung und Hast in sein Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und entnahm diesem wahllos einige der Jahreszeit angemessene Anziehsachen. Anna Beller, die seit einer halben Stunde vor sich hin döste, beobachtete dies mit einigem Erstaunen.

„Was ist denn los?“ fragte sie endlich und schälte sich aus dem Laken, welches ihren nackten Körper umhüllt hatte.

„Zieh dir was an, schnell, ich brauche deine Hilfe, alles Weitere erzähle ich dir auf dem Weg.“

„Und wohin fahren wir?“

„Ins gerichtsmedizinische Institut.“

„Zu Barbra?“

Wickius hielt für einen Moment in seinen Bewegungen inne, schaute zur Beller, die mit ihrer Unterwäsche kämpfte, sagte dann:

„Ja. Zu Barbra. Beeil dich.“

Barbra Reinhardt betrachtete die Leichenteile nicht ohne Abscheu. Dann griff sie zum Skalpell, zerschnitt das Fleisch in mundgerechte Stücke und warf sie in das spritzende Fett. Nein, sie mochte den Anblick von rohen Kalbsschnitzeln nicht, Fleisch überhaupt, das ekelte sie an. Es war schon schlimm genug, in menschlichen Leichen herumzuschneiden, aber es ging auf Mittag zu, Barbra Reinhardt hatte Hunger und die winzige Küche des Instituts erlaubte die Zubereitung kleinerer Mahlzeiten wie zum Beispiel Kalbsragout auf Gemüsereis, letzterer aus der Tiefkühltruhe des Discounters, sei’s drum.

Sie war so in ihre Arbeit vertieft, dass die Stimme hinter ihr sie in augenblickliche Panik versetzte.

„Hm, das duftet aber lecker!“

Anna Beller, die nette Kommissarin, beruhigte sich Barbra, nachdem sie sich blitzartig zur Tür gedreht hatte, in der neben der Beller ein älterer distinguierter Herr stand, von irgendwo her kannte sie ihn — genau, sein Porträt hing in der Ruhmeshalle des Polizeipräsidiums, wenn auch in einer abgelegenen Ecke, irgendeine Intrige, so raunte man es sich hinter vorgehaltenen Händen zu, aber kein Zweifel, das war Wickius himself, die große Legende der saarländischen Kriminalpolizei.

„Das ist Wickius“, bestätigte die Beller auch gleich, ihren Begleiter vorstellend, der sich galant verbeugte und ein durchaus verführerisches Lächeln zur Reinhardt schickte. Die nahm die kleine Pfanne mit dem brutzelnden Fleisch vom Herd und stellte sie auf die Spülablage.

„Es ist leider nicht genug für drei, fürchte ich“, bedauerte Barbra Reinhardt, doch Anna Beller winkte lachend ab.

„Ich hab noch nicht einmal gefrühstückt! Mit Fleisch kannst du mich im Moment jagen!“

„Seid ihr beruflich hier?“ wollte die Reinhardt wissen, doch Wickius schüttelte den Kopf. Nein, zufällig. Er habe hier in der Nähe zu tun, „Frau Beller war so freundlich, mich mitzunehmen“, ja, und dann habe sie vorgeschlagen, doch einmal „die Barbra“ zu besuchen, doch anscheinend komme man ungelegen.

Barbra Reinhardt schüttelte resolut den Kopf.

„Ganz und gar nicht! Ich wollte schon immer einmal den berühmten Kriminalisten Wickius kennenlernen! Ihr Ruf ist selbst in Kanada enorm!“

Wickius verbeugte sich.

„Sie schmeicheln mir, Madame. Ich selbst war einmal in Französisch-Kanada, genauer gesagt: In Toronto, der Hauptstadt von Quebec. Schöne Stadt.“

Barbra Reinhardt bestätigte dies. „Ja, Toronto ist wunderbar. Das Paris des Westens.“

„Mindestens“, lächelte Wickius. „Und so nah am Nordpol. Im Winter kommen die Pinguine bis in die Vorgärten.“

„Und fressen die Mülleimer leer, genau!“ lachte die Reinhardt.

Anna Beller schaute von Wickius zur Reinhardt, von der Reinhardt zu Wickius. Die unterhielten sich weiter. Über die französisch-kanadische Krimizeitschrift „Simenon“ etwa, über „Quebecer Klopse“, das Nationalgericht, über den König von Kanada, Georges IV – und dann richtete sich Wickius auf und sagte mit emotionsloser Stimme:

„Genug der Worte gewechselt, Frau Meysel. Sie waren ebenso wenig in Französisch-Kanada wie ich. Was haben Sie mit der echten Barbra Reinhardt angestellt und wozu diese ganze Komödie?“

Frau Reinhardt alias Meysel erbleichte. Dann begann sie hysterisch zu lachen, verstummte abrupt und schaute spöttisch in Wickius’ Augen.

„Wie haben Sie es rausgefunden?“

„Ich habe Sie schon einmal gesehen, Frau Meysel. In Frankfurt. Damals hießen Sie noch Bettina und nicht Agnes, sie durften das Täschchen von Frau Paprotta tragen und hatten sich auf graue Maus geschminkt. Eine Schande, wenn ich Sie jetzt so anschaue…Die Visitenkarte von Astrid Paprotta, Sie erinnern sich? Sie haben eine aus dem Täschchen geholt und mir gegeben. Ihre Fingerabdrücke sind immer noch drauf. Agnes Meysel, 27 Jahre, ohne Beruf, achtmal vorbestraft wegen Beischlafdiebstahls, Erpressung, Sodomie und Hochstapelei. Eine Kleinkriminelle.“

Anna Beller ging auf die Meysel zu, „Schluss jetzt mit den Hasengesprächen! Wo ist Barbra die Echte? Was hast du mit ihr gemacht?“

Anstatt zu antworten, tat die Meysel zwei Schritte zurück, griff nach hinten zur Spülablage, fasste die kleine Pfanne mit den Fleischstücken im kochenden Fett.

„Komm mir nicht zu nahe! Ich schütte dir das hier in deine hübsche Visage, da freuen sich die plastischen Chirurgen! Geh mir aus dem Weg! Und du alter Sack auch!“

Beide wichen zur Seite, die Meysel wie der Blitz zwischen ihnen hindurch, die Tür hinter sich zuziehend, ein Schlüssel wurde gedreht, Schritte entfernten sich eilig.

„Scheiße!“ schimpfte die Beller, „die ist uns entkommen!“

„Eine Ahnung sagt mir, dass wir sie bald wiedersehen…“, entgegnete Wickius und versank in seinen Gedanken.

Es war schon fortgeschrittener Nachmittag, als Wickius und Anna Beller in einem kleinen Café in der Fußgängerzone von den Turbulenzen des Tages ausruhten. Natürlich hatte die Beller mit ihrem Handy sofort Hilfe geholt und die Fahndung nach der flüchtigen Agnes Meysel angeleiert. Bisher ohne Erfolg. Bei der Durchsuchung der Wohnung der Verbrecherin waren Hinweise gefunden worden, dass man die echte Barbra Reinhardt in einer Gelsenkirchener Klitsche festhielt, wo sie gezwungen war, Pornohefte einzutüten und zu frankieren. Die nordrhein-westfälischen KollegInnen waren bereits unterwegs, das Martyrium der Gerichtsmedizinerin zu beenden.

„Armer Giorgio“, lachte die Beller gehässig, „er war voll in diese Tussi verknallt! Aber ich verstehe immer noch nicht, warum…“

Wickius lehnte sich entspannt zurück.

„Ist doch naheliegend. Sie war ein Maulwurf. Sie wurde eingeschleust, um die Ermittlungen im Fall des ermordeten Bloggers „Der Sagenhafte“ und der sieben verschwundenen SyndikatsautorInnen auszuspionieren. Instinktiv hat sie sich den geistig Kleinkalibrigsten der Ermittler ausgewählt und becirct“. Wickius hatte diesen Giorgio noch nie leiden können.

„Und die Paprotta? Ist sie die Drahtzieherin?“

„Kaum. Hier stochere ich noch im Nebel.“

„Und die DNA-Spur auf der Briefmarke? Der Speichel?“

„Das klären wir in der nächsten Folge. Für heute ists genug. Auch keine Krimifrage, die LeserInnen können sie ja eh nicht beantworten.“

„Och“, machte die Beller scheinheilig entrüstet, „eine klitzekleine leichte Frage, bitte!“

Wickius seufzte.

„Also gut. In welcher deutschen Krimiserie spielte Inge Meysel in mehreren Folgen mit? Das wissen sogar die LeserInnen von wtd. Hoffe ich wenigstens.“

8 Gedanken zu „Kapitel VI“

  1. Bist du die echte Barb? Oder…Jedenfalls: Die echte Barbra wurde inzwischen aus den Händen der Gelsenkirchener Pornoheftemafia befreit und befindet sich auf dem Flug nach Saarbrücken. Nach einer Woche Erholungsurlaub wird sie ihren Dienst beim gerichtsmedizinischen Institut antreten. Nach Agnes Meysel wird noch gefahndet.

    bye
    dpr

  2. Ich dachte, die heißt Inge Meysel?

    Und, dpr, da ist bei den Klopsen noch ein Druckfehler drin: Statt Q musst du ein L schreiben.

  3. Die echte barb mit einem echten Ischias, der sich Samstag verklemmt hat. Deshalb nur Hinternet in homeopathischen Dosen…
    *froh, daß Barbra wiedergefunden wurde

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert