Kapitel VIII

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Was heute passiert: Gemäß Paragraph 139a der SYNDIKATS-Anleitung „Wie man einen Krimi schreibt“, müssen wir heute eine der verdächtigen Personen in Gefahr für Leib und Leben bringen. Frau Paprotta hat sich durch Überweisung einer größeren Summe ebenso erfolgreich diesem undankbaren Schicksal entzogen wie Frau Anne Chaplet, die mit ihren Anwälten drohte, sollten wir ihr fiktiv auch nur ein einziges Haar krümmen. Die Herren Bottini und Horst beherrschen Kampfsportarten und wurden deshalb ebenfalls verschont, weil Paragraph 139a nicht verlangt, dass sich der AUTOR in Gefahr für Leib und Leben bringt. Die Wahl fiel folglich auf das schwächste Glied unserer Verdächtigenkette. Aber lesen Sie endlich selbst…

KHK Anna Beller hatte beschlossen, sich eine ausgiebige Haar-Wellnesskur zu gönnen. Nach den Turbulenzen der vergangenen Tage war ihr innerer Akku leer, selbst der Drang, sich vor Wickius nackig und fußnägellackierend zu präsentieren, hatte nachgelassen. Jetzt hockte sie im bequemen Frisierstuhl bei ihrem Lieblingscoiffeur, dem stockschwulen Exilrussen Igor Michailowitsch Smarfovjew und lauschte amüsiert, wie der Friseur, während seine Schere lustige Muster in das seidige, weiche Haar der Kommissarin schnitt, sehnsüchtig die Weisen seiner Kindheit im fernen Novosibirsk vor sich hin trällerte.

„Er gehört zu mir, so wie mein Porsche vor der Tür. Lala-lala-lalaaaaaa!“

Sie wunderte sich selbst, dass sie lächeln konnte, denn zum Lächeln gab es eigentlich keinen Grund. Immer mehr Autoren und Autorinnen von Kriminalliteratur verschwanden auf mysteriöse Weise, tauchten, fadenscheinige Gründe vorschiebend, in den letzten Winkeln der Welt unter. Oliver Bottini? Hatte sich ins chinesische Shaolin-Kloster zurückgezogen, von 12 Kungfu-Kämpfern streng bewacht. Norbert Horst? Wandelte angeblich „auf den Spuren von James Joyce in der afrikanischen Serengeti“. Henrike Heiland? Durchwanderte barfuß die mongolische Wüste Gobi, um „innere Reinigung zu erlangen und endlich das mit dem Konjunktiv richtig hinzukriegen“. Und so weiter. Es war ein Graus, es war richtig grausig.

„Kopfwäsche!“, jubilierte Smarfovjew und drückte das Haupt der grübelnden Beamtin in das mit warmem Wasser gefüllte Becken.

„Fönen!“, verkündete er sodann und stülpte die Haube über Anna Bellers triefenden Kopf. Dann entfernte er sich unter dem Absingen seiner melancholischen Melodien zur nächsten Kundin, während eine weitere direkt neben Anna Beller Platz nahm. Die Kommissarin betrachtete sie aus dem Augenwinkel. Irgendwoher…

„Erschrecken Sie nicht!“ flüsterte plötzlich eine Stimme ganz nah am Ohr der Beller, und die Beller erschrak.

„Schauen Sie nach vorne! Ich möchte Ihnen ein Angebot machen.“

Jetzt fiel es der Beller wie Schuppen aus den Augen: Die Frau neben ihr war Anobella! Die Wiesbadener Krimischaffende! Die hinter Wickius her war wie der Teufel hinter der armen Seele, die den hilflosen, weil in sexuellen Angelegenheiten vollständig seinen Trieben ausgelieferten Mann mit ihren erotischen Angeboten bedrängte, ihm Schokolade schickte und „ganz aktuelle Nacktaufnahmen“, die in Wirklichkeit jedoch aus den frühen siebziger Jahren stammten.

„Was wollen Sie? Sie sind festgenommen! Rühren Sie sich nicht!“ Resolut stellte Anna Beller die Trockenhaube aus.

„Seien Sie nicht so zickig!“ giftete Anobella, „der arme, arme Wickius, was muss er bei Ihnen nur durchmachen – und wie gut hätte er es doch bei mir!“

Ja, du blöde Schlampe, dachte Anna Beller, hast ja schon mehrmals versucht, ihn nach Wiesbaden zu locken, um ihn endgültig unter deine erotischen Fittiche zu nehmen. Das aber würde sie, die Beller, nicht zulassen!

„Beruhigen Sie sich“, flüsterte Anobella weiter, „Ich bin bereit auszupacken, alles, was ich über den Fall der verschwundenen Autorinnen und Autoren weiß. Und glauben Sie mir: Ich weiß eine Menge! Meine Forderung: Straffreiheit nach der Kronzeugenregelung, eine neue Identität einschließlich neuer Ausweispapiere – sowie eine umfangreiche kosmetische Operation!“

Die hast du auch nötig, zischte Anna Beller in sich hinein, wer nicht weiß, was ein Faltenrock ist, muss dir dummem Luder nur ins Gesicht sehen!

„Das kann ich nicht entscheiden“, sagte sie mit möglichst neutraler Stimme. „Ich bringe Sie zum Präsidium, telefoniere mit der Staatsanwaltschaft – und dann sehen wir weiter.“

Anobella lachte hysterisch. „Das ist ein fieser Trick! Ich verlange Sicherheiten! Ich will mit Wickius sprechen! Bringen Sie mich zu ihm! Lassen Sie mich fünf Minuten mit ihm allein! Nur ihm werde ich alles anvertrauen!“

„Du durchtriebenes Biest!“ konnte sich Anna Beller nun nicht mehr beherrschen und drehte ihren noch nassen Kopf zur zornesgeröteten Anobella hin. Es war das letzte, was sie für die Dauer der nächsten fünf Minuten zu sehen bekam. Denn plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen, verschwammen sämtliche Konturen – schlief sie ein, fiel der Kopf nach vorne ins Becken, geriet gottlob nur mit der Stirn ins nun lauwarme Wasser.

Als sie erwachte, hörte sie eine aufgeregte Stimme. Es war die des Coiffeurs Smarfovjew, der keine russischen Volksweisen mehr sang, sondern jammerte.

„Huch! Was ist denn hier passiert? Bist du eingeschlafen, Schätzchen? Mir war auch so komisch, es riecht hier auch irgendwie…Huch! Wieso hat denn die Kundin neben dir die Trockenhaube auf? Die solltest doch du… Und wieso ist der Regler am Anschlag? Huch! 700 Grad! Hallo, hören Sie mich? Huch! Der sind ja sämtliche Haare abgesengt worden! Huch, die hat ja plötzlich so ein knallrotes Gesicht! Huch! Wo ist denn der Puls? Huch! Ruft mal jemand schnell einen Krankenwagen?“

Anna Beller kam langsam zu sich. Irgend etwas war schiefgelaufen, das ahnte sie. Wickius würde im Dreieck springen.

*

Wickius sprang im Dreieck. Wickius raste. Die Beller, eine erfahrene Polizistin, hatte sich durch Betäubungsgas unschädlich machen lassen! Gottseidank hielten sich die Schäden an Anobellas samtweichem Körper in Grenzen. Sie hatte sämtliche Kopfhaare verloren, ihr Gesicht eine Art schweren Sonnenbrand erlitten, „sie sieht aus wie ein alter Rettich!“, jubilierte die Beller und fügte hinzu: „Das Beste aber: Sie kann sich an nichts mehr erinnern! Amnesie! Hält sich jetzt für eine kurhessische Prinzessin und spricht so geschraubt wie die Typen bei Goethe! Weiß nicht mal mehr, wer Wickius ist!“

Wickius sah sie streng an. Diese verdammte Eifersucht! Kein Mitleid mit dieser hochtalentierten Krimischaffenden, einer Meisterin der kleinen Form, aber auch im Roman zu unverächtlichen Klasseleistungen fähig. Wickius dachte an „Rheingauer Spitzen“, den von Gohlis bis Wörtche euphorisch gelobten Erstling mit dem unglaublichen Kommissar….ja, wie hieß der noch? Ob es wohl einer der Leser, der Leserinnen weiß? Kleiner Tipp: Vorname Ludwig…

„Schade“, feixte die Beller weiter, „dass wir die hohle Nuss jetzt nicht mehr ausquetschen können. Aber wahrscheinlich hat sie eh nur geblufft.“

Wickius hörte nur mit einem Ohr zu. Er wusste ja eigentlich, was da gespielt wurde. Aber wer steckte dahinter?

„Wie ein verschrumpelter Rettich!“ freute sich abermals die Beller. Und Wickius fuhr sie an: „Du mit deiner ewigen Eifersucht! Du treibst mich noch in den Wahnsinn! Und zieh dir endlich was an!“

32 Gedanken zu „Kapitel VIII“

  1. Wo ist denn die Frage?

    *sucht
    **lacht
    ***kringelt sich (Smarfojew!)

    kleine textkorrektur:

    „Oliver Bottini? Hatte sich ins chinesische Shaolin-Kloster zurückgezogen, von Georg Patzer streng bewacht.“

  2. Respekt! Nur wenige Krimispezialisten hierzulande hätten diese Frage beantworten können! Leichhardt – inzwischen eine Kultfigur in Australien, wann endlich auch in Deutschland?

    bye
    dpr

  3. honey, wie recht du hast. ich hab zwei kultkommissare. echt, ja, yep.
    ich muss ihnen nur noch eine gescheite story an die stirn pappen.

    *kommt an ihre grenzen

  4. Prächtig! Überbordend! Barock!
    Weniger wäre vielleicht mehr …
    (Unfug! Mehr ist mehr!) dennoch …
    Warum stockschwul? Schwul reicht eigentlich. In der Realität ist es ein Kontinuum, ich weiß, aber als Beschreibung ist es entweder-oder. Man schriebe wohl auch nicht stockhetero, hm?

    mfg
    Smarf

  5. Wenn es eine Automarke gibt, die heterosexuell besetzt ist, dann ist es Porsche (von wegen Schwanzverlängerung etc.). Ganz abgesehen davon dass kein schwuler Mann heute f-r-e-i-w-i-l-l-i-g „Er gehört zu mir“ (in welcher Version auch immer) trällern wurde. Ergo: Igor Michailowitsch Smarfovjew ist weder stock noch schwul und vermutlich auch gar kein Exilrusse….

    Ludger

  6. Stockschwul = Schwul wie ein Stock. Das ist wie: stocknüchtern. Beides war ich in meinem Leben noch nicht, aber ich stelle es mir aufregend vor, schwul wie ein Stock und gleichzeitig nüchtern wie ein Stock zu sein.
    @Ludger: Du hast die gesellschaftskritische Metaebene des Textes wieder vortrefflich herausgearbeitet. Gerade WEIL Porsche nicht schwul ist, impliziert die Gleichung schwul = Porschefahrer eine gesellschaftlich relevante SOLLBRUCHSTELLE. Hier gehört nicht zusammen, was auch nicht zusammengehört! Hier wird der Finger auf die Wunde gelegt!
    @Georg: Eh, wieder da? Eine Woche nur? Ich hatte mich auf mindestens zwei Wochen Georglosigkeit gefreut, Anobella auch. „Wenn der heimkommt, kleckert er mir wieder den Blog voll“, hat sie geseufzt.
    @Smarf: Barock. Das trifft es genau. Ich könnte auch noch mehr. Zum Beispiel habe ich auf die Symbiose „Schwuler Friseur bedient sich des verschärften Konjunktivs“ verzichtet. Zu gesellschaftskritisch.

    bye
    dpr

  7. wovon SPRICHST du denn?

    *wirft die arme hoch

    vorne hast du vergangenheit, dann brauchst du auch hinten vergangenheit.
    also müsste + hätte.

    aber was WILLST du?

    **versteht nicht

  8. Nun, verehrter Haarkünstler, „schriebe“ geht durchaus. „Müsse schreiben“ desgleichen. „Würde schreiben müssen“ ein ganz klein wenig bedenklich, aber noch akzeptabel. — Aber meine kleine Anmerkung bezog sich nicht einmal auf DICH, sondern die reizende Idee, dich quasi mit Georg, dem letzten Ritter des Konjunktivs, zu VERSCHMELZEN. Ein schwuler KARLSRUHER Friseur: das ist der Höhepunkt der kriminellen Komik.

    bye
    dpr

  9. Danke für die Modizifierung, Liebste. Hat sich der Bursche ja fein ausgedacht, IST ABER NICHT! Eine schwule Buchhändlerin aus Wiesbaden, die früher mal ein schwuler Friseur war und keinen Konjunktiv kann, darauf hat die literarische Welt gerade gewartet!

    bye
    dpr

  10. Würde man Georg und mich verschmelzen, nein anders: Verschmölze man Georg und mich – so wäre es nicht komisch, sondern ehrfurchtgebietend. Trotzdem bliebe ich lieber allein.
    Smarf
    * gewöhnt sich gerade an die Möglichkeitsform

  11. Mal etwas ganz anderes: Das Wort „Bursche“ lese ich fast nur noch bei dpr, womit Deutschlands bester Krimikritiker auch seinen Beitrag für bedrohte Wörter leistet. Deswegen darf er, der dpr, auch gerne schwule Buchhändlerinnen in Wiesbaden erfinden.

    Ludger
    * wünscht sich einen Burschen-Krimi von dpr

  12. Hallo Ludger, der Urlaub scheint deinen Verstand tatsächlich wieder erleuchtet zu haben (…Deutschlands bester Krimikritiker…), und du scheinst seit neuestem tatsächlich die Bücher auch zu lesen, die du rezensierst…Aber ja: Ich mag das Wort „Bursche“. ICH werde es nicht sterben lassen! Ich bedauere das Hinscheiden des wunderbaren Wörtchens „sintemalen“. Sofort wiederbeleben! Das wäre löblich / unverächtlich (auch zwei tote Wörter!)
    @SMARF: Wer hier wie verschmolzen wird, entscheidet der Dichter, nicht die Figur. Tut mir leid.

    bye
    dpr

  13. @dpr:
    „Dichter“ … jetzt geht’s aber mit Dir durch, gell? Ist Dir das Lithium ausgegangen oder was?
    @Georg: „Betörend“ ist auch sehr schön.

  14. @Smarf: Es ist nicht neu, dass sich meine Geschöpfe gegen mich wenden und mich furchtbar beschimpfen. Es spricht für die Qualität meiner Arbeit. Aber jetzt is gut, Alter! Oder du fliegst raus! Schwule Friseure gibts wie Sand am Meer. Du bist AUSTAUSCHBAR!

    bye
    GOTT

  15. Burschen ist übrigens ein Wort, welches im Bayerischen (gaanuso wie „Knaben“) häufiger verwendet wird.

    Beste Grüße

    bernd

  16. Es täte mir leid, wenn ich Dich verärgert hätte! Ehrlich. Beschimpfungen liegen mir fern. Ich zöge es allerdings vor, ausgetauscht zu werden, sollte sich meine Rolle in dem Roman sich darauf beschränken, Frauen die Haare zu ondulieren.
    * konziliant

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