Was bisher geschah: Also…diese merkwürdige Liste, ja? Mit den Namen drauf. Den Namen von den Krimischaffenden und den Personen des öffentlichen Lebens, ihr erinnert euch? Und dass die Krimischaffenden allesamt irgendwie zu verschwinden scheinen. Dass ein Krimiblogger ermordet, dass die reizende Gerichtsmedizinerin Barbra Reinhardt entführt und durch eine zwielichtige Frau ersetzt wird, dass Wickius ir-gend-wie eine Ahnung hat und die Beller wie immer ahnungslos, aber ganz scharf auf Wickius ist, der seinerseits scharf auf Anobella zu sein scheint, die beim Friseur beinahe verbrutzelt worden wäre, tja, und heute lassen wir diesem zwielichtigen Friseur seiner gerechten Strafe entgegenfahren.
Igor Michailowitsch Smarfovjew steuerte seinen Heteroporsche nervös stadtauswärts. Die Turbulenzen der letzten Stunden hatten seinen Verstand in arhythmische Schwingungen versetzt, und auch die Süße der kommenden Stunden vermochten dies nicht auszugleichen. Komm, Igor Michailowitsch, motivierte sich der exilrussische Haarkünstler selbst, denk an IHN.
Denn Dieter Bohlen wartete. Jedenfalls hatte ihm das die merkwürdige Frau gestern versprochen, die merkwürdige Frau, die mit Sonnenbrille und Kopftuch kurz vor Geschäftsschluss seinen Laden betreten und ihm diesen Handel vorgeschlagen hatte. „Sie verpassen dieser Tussi eine heiße Überraschung, und im Gegenzug wird Ihnen kein geringerer als Dieter Bohlen jeden ihrer Wünsche erfüllen. JEDEN!“
Er hatte nicht „Nein!“ sagen können. Sollte ja auch nur ein Spaß sein. Die kleine Portion Lachgas für die Kommissarin, die Trockenhaube für die Kundin, die neben ihr saß, ein wenig über normal, vielleicht würde sie sich ein paar Haare versengen, mehr nicht. Zu spät hatte Smarfovjew erkannt, dass er Komplize eines Mordversuchs geworden war. Da musste er sich Dieter Bohlen schon mit ledernem Suspensorium vorstellen, um nicht verrückt zu werden.
Endlich der Feldweg. Er fuhr an den immer dichter stehenden Bäumen vorbei, sah dann das Gasthaus „Zur Waldeslust“ unter schwarzen Tannen auftauchen, seit Jahren stand es leer, früher war hier die Post abgegangen, tempi passati. Stand Dieters Ferrari schon vor dem Gebäude? Smarfovjew bremste vor dem Haus und sah sich um. Kein Ferrari. Ein schwarzer Lieferwagen mit der Aufschrift „Elektro Meyer“. Klar, Dieter war inkognito. Allmählich verschwanden die dunklen Grübeleien aus Smarfovjews Gehirn. Dieter Bohlen. Im Stringtanga. Auf dem Lotterbett. Smarfovjew wurde vor lauter Lust schwarz vor Augen.
Anna Beller erreichte den Tatort fluchend. Diese verdammten Feldwege! Vor dem heruntergekommenen Gasthaus parkten bereits die Autos der Spurensicherung, ein Notarztwagen stand daneben. Anna Beller löste den Sicherheitsgurt und sah zu Wickius, der neben ihr saß. Er wirkte etwas geistesabwesend, stieg dann aber mit entschlossener Miene aus dem Wagen und trottete hinter der Beller her, die in beamtenunüblicher Geschwindigkeit dem Haus zusteuerte.
„So etwas ist mir in dreißig Jahren als Polizeiarzt noch nicht untergekommen!“ sagte Dr. Kuno Willebrandt und wies auf den zerschundenen Körper, der mitten im ehemaligen Schankraum der Wirtschaft auf dem Boden lag, nein: im dort ausgiebig vergossenen Blut zu schwimmen schien.
Die Beller stöhnte auf. „Das ist…Igor! Mein Friseur!“
Dr. Willebrandt nickte. „Ja. Meine Frau gehörte auch zu seiner Kundschaft. Mysteriös, mysteriös. Irgendjemand muss ihn furchtbar gehasst haben.“
„Wie ist es passiert?“ fragte Wickius bemüht sachlich. Auch ihm hatte der Anblick des malträtierten Coiffeurs den Magen herumgedreht.
„Nun“, begann Willebrandt mit seinen in Polizeikreisen gefürchteten, weil schier nicht enden wollenden Ausführungen, „soweit ich das bisher feststellen konnte, wurde das Opfer zunächst mit brennenden Zigaretten gequält. Sehen Sie mal auf seine Brust. Können Sie das lesen? Man hat den Schriftzug ‚Schützt den Konjunktiv’ eingebrannt.“
„Pervers!“ stöhnte die Beller, und Willebrandt lachte.
„Pervers? Das war erst der Anfang, meine Liebe. Danach hat man den Friseur nach draußen geschleppt – es gibt entsprechende Spuren – und mit einem Fahrzeug mehrmals überrollt. Aber so, dass er nicht starb, sondern ihm nur sämtliche Knochen im Leib gebrochen wurden. Anschließend wieder rein in die gute Stube. Dort wurden ihm sämtliche Finger- und Fußnägel gezogen sowie mit einem scharfen Gegenstand die Eier aus dem Sack geschält, wenn ich das mal so flapsig sagen darf. Zu diesem Zeitpunkt dürfte Smarfovjew noch gelebt haben, sehr zu seinem Nachteil. Denn nun kam das Perverseste. Schauen Sie sich mal seinen Kopf an oder besser gesagt: das, was von ihm übrig geblieben ist.“
Beller und Wickius traten, wenn auch widerwillig und zögernd, ganz nah an den leblosen Körper.
„Nein!“ schrie die Beller auf und kippte Richtung Wickius, der sie beherzt ergriff und festhielt.
„Genau“, lachte Dr. Willebrandt. „Man hat die Gesichtshaut vollständig entfernt, auf der Innenseite mit Klebstoff bestrichen und dann wieder aufs Fleisch geklebt. Sehr sorgfältig. Anschließend ein Streichholz drangehalten. Es gab das, was die Feuerwehr ein Schwelbrand nennt. Ganz langsam. Von den Petitessen reden wir gar nicht: den abgeschnittenen Ohren, der mit einem Bolzenschneider fachmännisch abgeklemmten Nase, den beiden in die Hirnschale gerammten Zimmermannsnägeln, dem wie eine Banane geschälten Penis, mit einem neckischen blutroten Schleifchen aus Lungengewebe versehen. Das muss, könnte ich mir vorstellen, hübsch wehgetan haben. Bis der Friseur vor Schmerzen das Bewusstsein verlor.“
„…und starb“, ergänzte Wickius.
Jetzt lachte Dr. Willebrandt schallend.
„Nein, nein, mein Bester. Er lebt nämlich noch. Sehen Sie – gerade jetzt bewegt er das, was von seinen Lippen geblieben ist!“
Eisige Finger fuhren über die Rücken von Beller und Wickius. Kein Zweifel, der Friseur weilte noch unter ihnen. Versuchte etwas zu sagen. Entschlossen kniete sich Anna Beller zu ihm hinunter, hielt, wenngleich von Brechreiz geplagt, ihr Ohr an seinen Mund.
„Sagen Sie…“ begann der Friseur mühsam und sehr undeutlich, „sagen Sie Anna Beller…dass ich sie….liebe!“
„Aber ich BIN Anna Beller!“ belehrte ihn Anna Beller.
„Sagen Sie es ihr trotzdem“, beharrte Smarfovjew.
„Wer hat Ihnen das angetan?“
Der Friseur stieß einige unverständliche Laute aus, die verbrannte Haut über dem verbrannten Fleisch zuckte.
„Wer, Igor?“
„Dieter…Bohlen“, kam es aus dem nur noch schwach am Faden des Lebens hängenden Smarfovjew.
„Dieter Bohlen?“
„Suspensorium…auf dem Bett…die Frau…die Männer…“
„Er phantasiert schon“, stellte Willebrandt professionell fest, „Es geht zu Ende.“
Und er behielt Recht. Der Friseurkopf wurde von einer unsichtbaren Macht noch einmal gehoben, die blutunterlaufenden Augen starrten in die vor Schrecken geweiteten der Kommissarin – dann fiel er zurück, Igor Michailowitsch Smarfovjew, Sohn eines ehemaligen Offiziers der Roten Armee, unter Stalin in Ungnade gefallen, 1936 nach Shanghai geflüchtet, dort Ludmilla Brzinskaya geehelicht, vier Kinder in die Welt gesetzt (eine spätere Primaballerina der Volksbühne Wuppertal, eine Sozialarbeiterin im brasilianischen Dschungel, einen an Opium zugrunde gegangenen Dichter und einen schwulen Friseur), 1976 als Kleinrentner in Kiel verstorben, Igor Michailowitsch Smarfovjew also, jüngster Sohn dieses von den politischen Unbillen seiner Zeit aus der Gleichförmigkeit des bürgerlichen Daseins geworfenen Mannes, Igor Michailowitsch Smarfovjew, täglicher Leser der „Süddeutschen Zeitung“, seit zwanzig Jahren Besitzer eines Abonnements der Schallplatten-, später CD-Reihe „Alle Songs des European Song Contest“, einziger Mensch, der es jemals geschafft hatte, sämtliche Einträge in Ludgers Krimiblog bis zum Ende zu lesen – war nicht mehr. Der Tod musste eine Erlösung von diesem erbärmlichen Leben für ihn gewesen sein.
Anna Beller stürzte aus dem Raum und kotzte ins nächste Gebüsch. Horatio Wickius entnahm seiner Jackentasche mit zitternden Händen Block und Bleistift und hielt die letzten Worte des nun Verstorbenen für die weiteren Ermittlungen fest. Dr. Kuno Willebrandt lächelte versonnen und stellte sich vor, wie er in einem zünftigen Kriminalroman die reizende Kommissarin flachlegen würde. Aber dies war kein zünftiger Kriminalroman. Es war die schmutzige Wirklichkeit.*
* Genüsslich zündete sich Dr. Kuno Willebrandt die Zigarette-danach an und ließ seinen Blick über den erschöpften Körper Anna Bellers schweifen. Die Wirklichkeit des Textes, in dem sich seine Existenz vollzog, war einfach viel geiler als die Wirklichkeit, in der ein geplagter Autor diesen Text hatte schaffen müssen. Während der Autor seit 350 Tagen keinen guten Sex mehr gehabt hatte, erlaubten es die selbstreferentiellen Eigenschaften der Literatur dem guten Doktor, die schwülen Phantasien des Autors stellvertretend auszuleben. Natürlich verwies auch hier der Text immer wieder auf sich selbst zurück, hatte mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Aber das war Dr. Kuno Willebrandt in diesem Moment herzlich egal, er war schließlich kein Literaturwissenschaftler.
**Und die Frage des Tages wird heute von der textexternen Autoreninstanz gestellt: Welches ist die widerlichste Todesart, der ihr in Kriminalromanen bisher begegnet seid? Antworten wie „dprs Blog lesen“ werden als kindisch und nicht zweckdienlich betrachtet.
widerlichste todesarten: splatterkindermorde (verschiedene varianten) bei stephen king.
*s c h r e i b t
dprs Blog vorgelesen bekommen
Ansonsten vergesse ich immer die widerlichen Todesarten. Ist mir alles zu gruselig. Bin ich wohl zu sensibel dafür. Vielleicht die Foltereien in van Guliks Krimis.
Ich wusste es, du völlig kindischer, völlig zweckundienlicher Georg!
bye
dpr
zweckundienlicher georg …
*lacht
**findet georg meistens ganz nützlich
Sorry, aber bei der Schilderung der Folterung bist Du zu ausschweifend. Du musst dem Leser ein bißchen Platz lassen für die eigene Phantasie. Es ist originell, gewiss. Auch liebevoll ausgedacht; das Schleifchen aus Lungengewebe bspw. Aber ohne Maß wie von einem sechszehnjährigen, der sich an seinen Einfällen und seinem Wortschatz berauscht.
Wahrscheinlich hast Du deshalb noch so keinen richtigen Durchbruch auf dem Markt gehabt … aber das wird schon …
Dranbleiben! Ich drücke die Daumen!
Smarf
ja, es hat splatterelemente … aber das war der grund, weswegen auch WIR, smarf, unsere space-odyssee nicht zusammen weiterschreiben konnten. auch deine einfälle und dein wortschatz waren nicht zu bändigen …
*seufzt
**sollte mit einer frau schreiben
Ha! Dem Leser Platz für eigene Phantasie lassen, um „am Markt“ zu reüssieren! Man sieht, mein Herr Smarf, Sie kennen die Leser nicht! Sie kennen den Markt nicht! Der wartet auf 16jährige, die die Sau rauslassen! Außerdem: Ich habe ja nicht für den Markt geschrieben, sondern aus purer Mordlust! Geben Sie endlich Ihre Zwangsverlobte frei! Sie existieren doch gar nicht mehr! Womit haben Sie Anobella in der Hand? Gewisse Fotos? Steuerhinterziehung?
bye
dpr
*splattert nicht
Der Markt ist voll von sechzehnjährigen, die die Sau rauslassen. Leider!
Im übrigen wäre scharf zu unterscheiden zwischen Fiktion udn Realität. Ich bin zwar totgeschrieben, auch vielleicht totgesagt. Aber – die leben länger.
* lebt
* wg. Urlaub ganz komfortabel