Per Olov Enquist / Anders Ehnmark: Doktor Mabuses neues Testament

Gerne greife ich von Zeit zu Zeit zu einem Band aus der lobenswerten „Schwedischen Kriminalbibliothek“. Elchkrimis vor dem großen Hype, ganz normale, in der Regel solide Texte. Kritisches Reflektieren der schwedischen Gesellschaft ist eher die Ausnahme – tja, und dann das.

„Doktor Mabuses neues Testament“ von Per Olov Enquist und Anders Ehnmark erschien erstmals 1982, spielt jedoch im Schweden des Jahres 1988. Der Plot klingt altbekannt. In einem seltsamen Hotel trifft sich eine Abiturklasse zum Dreißigjährigen, einige Prominenz aus Politik und Verwaltung darunter, auch Kommissar Kraus (den sie natürlich alle „Kraut“ nannten), Typ melancholischer Säufer. Je später der Abend, desto betrunkener die Gäste. Vor allem „Dante“, inzwischen Journalist, nervt mit seinen Andeutungen, er habe ein großes Ding am Laufen, ein Skandal von nationalen Ausmaßen. Am nächsten Morgen treibt „Dante“ tot im Swimmingpool: ermordet. Kraus übernimmt die Ermittlungen, ihm zur Seite der junge Nygren, pedantisch-verklemmt.

Aber „Doktor Mabuses neues Testament“ ist alles andere als ein schlichter Whodunit. Der Roman beginnt in vielem dort, wo Sjöwall / Wahlöö aufgehört haben, in einem mehr und mehr unter dem Diktat staatlicher „Fürsorge“ ächzenden, langsam ins Rechtsradikale abdriftenden Land. Schon die beiden Ahnen hatten sich des Mittels der Satire bedient, gelegentlich bis ins Slapstickhafte gesteigert, und das Paar Enquist / Ehnmark setzt humoristisch noch eins, ach was, zwei bis drei drauf.

Dabei ist das, was sich hier allmählich herauskristallisiert, überhaupt nicht zum Lachen. Das Schweden des Jahres 1988 ist immer kafkaesker geworden, ein „Schloss“, dessen Strukturen man nicht mehr kennt, es herrscht die Administration, politische Richtungen sind letztlich obsolet. Es geht um die Frage, ob die Demokratie vor Angriffen nur dadurch geschützt werden kann, indem man demokratische Rechte außer Kraft setzt – tja, und da verlässt die Geschichte Schweden und das Jahr 1988, sie wird sehr allgemein und sehr aktuell, wir assoziieren gespeicherte Internet- und Telefondaten, Bundestrojaner und Überwachungskameras.

Enquist und Ehnmark erzählen ihre Story in einem Feuerwerk abgedrehten, beißend sarkastischen Humors, der sich auch vor den Niederungen des Kalauers nicht scheut. Alle bekommen ihr Fett weg: die Politiker, die Medien, die ganz normalen Menschen (köstlich etwa die Beschreibung eines Dorfes, das sich kollektiv krankschreiben lässt und wo man schon im Jugendalter lernt, das Finanzamt zu betrügen). Ein wunderbares Beispiel für die These, dass manche Dinge so schrecklich und degeneriert sind, dass man ihnen nur noch mit Scherz und Satire beizukommen vermag.

Und die Kriminalstory? Die nimmt ein überraschendes und doch sehr logisches Ende. Auch hier liegen Enquist und Ehnmark deutlich über dem Durchschnitt und machen „Doktor Mabuses neues Testament“ zu einem Paradebeispiel unkonventioneller Kriminalliteratur. Nicht nur für Nostalgiker empfehlenswert. Im Gegenteil. Wer einen gelungenen aktuellen Krimi lesen möchte, der gehe geschichtlich ein paar Schritte zurück und greife zu diesem Band aus der „Schwedischen Kriminalbibliothek“.

Per Olov Enquist / Anders Ehnmark: Dr. Mabuses neues Testament. 
Neuer Europa Verlag 2007 (Original: Doktor Mabuses Nya Testamente. 1982)
(= Schwedische Kriminalbibliothek, herausgegeben von Erik Gloßmann). 256 Seiten. 9,90 €

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