Thomas Wörtche: Das Mörderische neben dem Leben

Thomas Wörtche, dessen Wirken man an dieser Stelle nicht mehr vorzustellen braucht, hat sich zu einem Kompendium seines Schaffens aufgerafft, „Das Mörderische neben dem Leben“ genannt, dreizehn Aufsätze, zwei davon neu (einer über seine Zeit als Herausgeber der vielgerühmten metro-Reihe), der Rest über die Jahre hier und dort erschienen, für die Buchausgabe teilweise leicht überarbeitet. Endlich also, „nach nur wenigen Jahren geduldiger Nachfrage“, wie es im Abspann des Verlages heißt, versammelt da einer, der es wissen muss, die Mosaiksteinchen seiner Überlegungen zu einem Kompendium, zu einem „Wegbegleiter durch die Welt der Kriminalliteratur“ und knipst das definitive Licht der Erkenntnis an.

Macht er natürlich nicht. Denn schon im eröffnenden Beitrag die Ernüchterung: „Nein, die Sekundärbearbeitung von Kriminalliteratur hat sich ihrem Gegenstand angeglichen – sie ist verstreut, unsystematisch, vermischt und disparat. Auch dieses Buch kann davon keine Ausnahme sein.“

Nun weiß, wer zu dieser Sekundärbearbeitung sein bescheidenes Scherflein beiträgt, dass mit wachsender Erkenntnis über „das Genre“ auch die Unmöglichkeit, dieses Genre zu definieren, progressiv wächst. Je mehr ich lerne, desto weniger weiß ich – ein bitteres, ehernes Gesetz geistigen Strebens und zugleich sein kraftvollster Motor, denn je weniger ich weiß, desto mehr gibt es zu lernen. Es beginnt ja schon – auch bei Wörtche wird es zum roten Faden – mit der Frage, über was wir hier eigentlich reden. Über KRIMINALliteratur oder über KriminalLITERATUR, über Krimi als Handelsware oder Krimi als Vertreiberin von Langeweile oder Krimi als Herausforderung für den Geist oder Krimi als Medium von Weltbetrachtung oder Krimi als Kreuzworträtsel mit anderen Mitteln… Und man glaube nicht, es handele sich bei der Beantwortung dieser Frage um ein schlichtes Multiple-Choice-Verfahren!

Thomas Wörtche jedenfalls stellt rasch klar, wo er selbst die Eckpfeiler hinsetzt, er polemisiert gegen den „barrierefreien Krimi“ ebenso wie gegen den „anspruchsvollen“ (den man auch den „literarischen“ nennt – eine Tautologie, über die kein weiteres Wort zu verlieren ist), er besteht darauf, Kriminalliteratur habe gleichermaßen soziologisch und literarisch verankert zu sein, der Zweck heiligt also weder die Mittel noch dürfen die Mittel den Zweck zur beliebigen Marginalie zurechtstutzen.

Der vielleicht programmatischste Text des Bändchens widmet sich Georges Simenon und ist nicht umsonst mit „Das Versagen der Kategorien“ betitelt. Gleich zu Anfang macht Wörtche klar, dass ihm das Konstrukt „populäre Kultur“ zur Vorkategorisierung von „Kriminalliteratur“ untauglich zu sein scheint. Kriminalliteratur beharrt darauf, „Sujets aus dem wirklichen Leben mit ästhetischen Mitteln zu erzählen. Und die dabei die Tatsache nicht aus den Augen verliert, dass ein Konstituens von ‚Realität‘ eben ‚Kriminalität‘ heißt.“

Eine solche Definition von Kriminalliteratur ist natürlich keine – sie sortiert sie vielmehr unter die Techniken von Weltbeschreibung durch erzählende Prosa und befreit sie somit auch von den üblicherweise zu ihrer Fixierung herangezogenen, „genre-immanenten“ Handlungsschablonen. Kriminalliteratur definiert sich nicht über Inhalte und dramaturgische Abläufe, sie ist ein Werkzeug unter anderen, die harte Schale Realität aufzubrechen. Was nun nicht zum Missbrauch von „Krimi“ einlädt, wie er allenthalben zu beobachten ist. Das Kriminal behält seine zentrale Bedeutung, es ist nicht zu Zwecken besserer Verkäuflichkeit einmontierter Spannungsgeber, sondern analytische Waffe (dass dieses Konzept am historischen Anfang von Kriminalliteratur steht, sei in Parenthese wenigstens erwähnt.)

Es ist Wörtches Verdienst, ein zugleich offenes und geschlossenes System zur „Theorie der Kriminalliteratur“ entwickelt zu haben, eine Gedankenlandschaft durchaus mit Postulaten, aber eben mit Fragezeichen hinter den Ausrufesätzen. Vieles ließe sich kritisch andocken, die Frage des Ästhetischen, des Trivialen, des Seriellen… jedenfalls ist „Das Mörderische neben dem Leben“ immer auch ein Affront gegen wohlfeiles „Was ist Krimi?“-Getue, gegen den 999. Ratgeber, wie man einen „gelungenen Kriminalroman“ fabriziere, eine Aufforderung, Kriminalliteratur in ihrem natürlichen Umfeld, der Literatur, wahrzunehmen, ohne dem dort gebräuchlichen Vokabular und intellektuellen Dünkel allzu naiv aufzusitzen. Wörtche weiß nicht, was ein Krimi ist. Wüsste er es, man bräuchte sein Buch nicht zu lesen. Also.

(Der Band enthält u.a. Aufsätze zu Georges Simenon, Eric Ambler, Patricia Highsmith, Chester Himes, das Komische, Science Fiction & crime fiction sowie Graphic Novels. Und „TWs seltsame Rankings“…)

Thomas Wörtche: 
Das Mörderische neben dem Leben. Ein Wegbegleiter durch die Welt der Kriminalliteratur. 
Libelle 2008. 203 Seiten. 19,90 €

3 Gedanken zu „Thomas Wörtche: Das Mörderische neben dem Leben“

  1. Na,na, Fräuleinchen, jetzt wollen wir aber mal nicht übertreiben! Nur weil ich dir eine Audienz verschafft habe, brauchst du nicht UNKRITISCH zu werden. Es kommen nämlich auch brutal wenig Indianer in dem Buch vor. Oder Raubritter. Für beide Gruppen also nicht zu empfehlen. Und für Frauen natürlich erst recht nicht, das stimmt schon.

    bye
    dpr
    *sieht, dass ihn TW bei Amazon überholt hat.
    **traut Amazon nicht über den Weg
    ***wahrscheinlich Papstbonus

  2. ich finde s c h o n , dass noch ein aufsätzchen (bonusmaterial?) dabei sein könnte „warum ich brutal wenig über krimis von frauen schreibe“. so mal allgemein mäandernd. in der form von mir aus: ganz frei. eine art brainstorming vielleicht.

    🙂

    *zieht an ihrem röckchen

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