Anspruchslose Hefte

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Beim flanierenden Blättern in alten Krimis plötzlich lauthals lachen müssen. Angesichts der Rückseite von „Der Bluffer“, dem 371. (!) Abenteuer des Detektivs Harald Harst von →Walter Kabel (der hier das Pseudonym Max Schraut benutzt). Das Heft ist 1933 oder 1934 erschienen, Kabel, obwohl Parteimitglied seit 1925, war von Schreibverbot bedroht (das ihn dann auch wohl tatsächlich ereilte – im NS-Deutschland gab es schließlich keine Verbrechen). „An unsere Leser!“ ist ein wunderbar schreckliches Dokument, über das man wahrscheinlich wirklich nur ablachen kann, schon zum Selbstschutz. Aber lesen Sie selbst…

An unsere Leser!

Als wir im Jahre 1920 mit der Herausgabe der Erlebnisse Harald Harsts begannen, beabsichtigten wir dem Wunsche weiter Leserkreise nach Kriminalerzählungen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus aber beabsichtigten wir der leider auf diesem Gebiet vorherrschenden ausländischen Literatur und den darin verherrlichten ausländischen Personen den Typ eines deutschen Detektivs entgegenzusetzen und gleichzeitig dem Leser die Kenntnis exotischer Länder, Sitten und Gebräuche unaufdringlich zu vermitteln.

Es ist dem Autor – einem alten Frontkämpfer, Juristen und deutschen Waffenstudenten – in all den Jahren vorzüglich gelungen, die Figur des

Deutschen Detektiv Harald Harst

lebenswahr zu gestalten. Deutsch war sein Handeln, deutsch seine Sprache, deutsch sein Empfinden. Tausende von Zuschriften aus dem Leserkreise, und zwar aus allen Schichten der Bevölkerung haben unser Bestreben anerkannt und uns ihre Zustimmung ausgedrückt.

Weiterhin ist es dem Autor ebenso vorzüglich gelungen,

deutschen Familiensinn, deutsche Freundschaft

in diesen anspruchslosen Heften zu pflegen und zu fördern. Nur in deutschen Familien kann sich ein derart inniges Verhältnis zwischen Mutter und Sohn und zwischen Freund und Freund ausgestalten, festigen und zu behaglichen, erwärmenden Grundlage eines herzlichen Gemeinschaftslebens werden.

In diesem Sinne haben Autor und Verlag an dem

Sittlichen und ideellen Wiederaufbau des deutschen Volkes und Vaterlandes

mitzuarbeiten sich bemüht und sich auch durch keinerlei Angriffe und Anfeindungen hierin beirren lassen, die stets nur dem stark betonten Deutschtum Harald Harsts galten. Und so soll es auch weiterhin sein. Unsere anspruchslosen Heftchen, bestimmt zur Unterhaltung und Entspannung nach des Tages Last und Mühen, werden auch fernerhin eine Stätte der Pflege des deutschen Gedankens, der deutschen Familie und des deutschen Menschen sein.

Unsere Leser aber bitten wir, uns in unserem Streben zu unterstützen und durch Empfehlung unserer Heftchen zu deren Weiterverbreitung beizutragen.

Herausgeber und Verlag

16 Gedanken zu „Anspruchslose Hefte“

  1. Jo. Da kann man – wie auf der Webseite gelesen – wohl EHER davon ausgehen, dass er aus der NSDAP raus ist wegen des Publikationsverbots und weniger aus Protest gegen die Rassenpolitik der Nazis. Mein Großvater saß zur selben Zeit schon im KZ aufgrund der Mitgliedschaft in einer ANDEREN Partei als der NSDAP (in diesem Fall: der KPD), denunziert von Nachbarn aus dem Kaff.

  2. Weiß man, ob hier die (vereinsmeiernden wie einzelschreibtischtäternden) Verfechter des „Deutschkrimis“ von heute mitlesen? Sonst: Bitte mach ein schönes Postkärtlein draus, lieber dpr, fuck seemily, und verschick’s, ja?
    Danke! P.

  3. (a) „zwischen 1933 und 1945 erschienen in Deutschland rund 3000 Krimis in Millionenauflage“ (KJB 2008, S. 162).

    (b) Selbstverständlich gab es in Deutschland nach 1933 bis in die ersten Kriegsjahre eine umfangreiche Berichterstattung über Kriminalität und die sog. ‚vorbeugende Verbrechensbekämpfung‘. Wenn z. B. 1935 ein Betrüger verhaftet und nach Dachau verfrachtet wurde, dann konnte man dies in den Münchner Neuesten Nachrichten lesen. Und wenn während des Krieges ein Zwangsarbeitet auf Befehl des RFSS hingerichtet wurde, dann gab’s zum Teil auch noch Pressemeldungen. Schon um die Polizei zu feiern, mußte es auch Verbrechen und Verbrecher geben.

    Beste Grüße!

  4. Sie haben Recht, lieber JL. Es sollen aber (bitte, ich bin kein profunder Kenner dieser speziellen Materie) viele Krimis mit „ausländischem Setting“ darunter gewesen sein. Wie ja auch bei Kabel und den angesprochenen „exotischen Ländern“. Bin gespannt auf Würmanns abschließende Forschungsergebnisse!

    bye
    dpr

  5. ich will Sie, lieber dpr, ja nicht dazu verführen, gelegentlich auch auf meinem Blog nachzusehen, deshalb (für die Wartezeit) der Hinweis auf Murray Halls Arbeit über den Zsolnay-Verlag (Dscholnay, mit stimmhaftem sch), in deren Kapitel über Edmund Finke es auch um die ‚Verdeutschung‘ der Detektive geht. Die These, daß der ‚Neue deutsche Krimi‘ eine seiner Wurzeln in der Produktion des ‚Dritten Reiches‘ hat, ist ja nun so neu auch nicht mehr (aber vermutlich ist der Widerspruch aus Desinteresse ausgeblieben). Und die Legende davon, daß im ‚Dritten Reich‘ nicht über Verbrechen gesprochen wurde/werden durfte, die streichen wir einfach ersatzlos.

    Schöne Feiertage!

  6. Aber ich bin doch mindestens dreimal täglich bei Ihnen, lieber Jl… Mit dem ersatzlosen Streichen hab ich meine Probleme. Nicht dass ich Ihnen nicht glauben würde. Aber es kommt ja auch darauf an, über WELCHE Verbrechen gesprochen werden durfte. Das interessiert mich insofern, als in mir derzeit eine größere Arbeit aufkeimt, in dem genau das eine nicht kleine Rolle spielen soll. Dschschscholnay hab ich dankend notiert.

    bye
    dpr

  7. d’accord, lieber dpr: das Totschlagen von Leuten auf offener Straße wollte tunlichst nicht als Verbrechen thematisiert werden, legal/illegal ist nun mal die entscheidende Differenz bei Verbrechen. (Es ist ganz erhellend, wenn man unter diesem Gesichtspunkt Doderers Mord-Roman liest, der praktisch in Sichtweite des Dachauer KZs geschrieben wurde.)

    Nu is aber gut.

  8. Was den Mythos vom „kriminalitätsbefreiten“ eigenen Staatsterritorium betrifft – der gehört schon rein logisch zu totalitären Gebilden/Regimen, die sich irgendeinem „neuen Menschen“ verschrieben haben. Vgl. Unam Sanctam (vulgo: römisch-katholische Kirche, das möglicherweise bis heute greatest mobster-syndicate of all times). Die Regime betreiben ihn übrigens selbst – mir haben diesbezüglich ca. Anfang 1990 mal einige der Krimi-Großverdiener (zB. Tom Wittgen, Jan Eik, Hartmut Möckel etc.) der gerade abgewickelt werdenden DDR ihr Leid geklagt – bestimmte Stoffe und Motivlagen mussten auch dort ins verderbte Ausland verlagert werden, „klassische“ Täter wie Mörder/Diebe/Betrüger waren allenfalls die notorischen „Klassenfeinde“ (vulgo: selbständige Kleingewerbetreibende), später auch schon mal psychisch Kranke (Kinderschänder); und als dann bald die gehätschelten (= privilegiert-kollektivierten, weil Partei oder Verband angehörenden) Schriftsteller regulär ganze Ermittlungsakten von Polizei und Justiz überlassen bekamen, geschah das mit dem ausdrücklichen „Wunsch“, deren Arbeit am neuen Menschen „wahrhaftig“ zu schildern: Helden sind ausschließlich Polizisten/Staatsanwälte, Fehler haben die nicht (nicht mal zu lange Haare), Täter haben niemals ein „edles“ oder auch nur nachfühlbares Motiv, mit gesellschaftlichen Kontexten hat die Tat höchstens im Sinne der Klassenfeind-Theorie zu tun, und in der DDR haben alle Leute Telefon, kriegt jeder sofort nachts ein Taxi und herrscht ansonsten eine Art gutväterlich-strenges, aber warmes Regiment.
    So waren ja dann auch die Krimis. (Der Westen war, nur nebenbei, nicht weniger ideologiefest – im anständigen deutsche Soziokrimi waren Polizisten bitteschön keine anständigen oder gar netten Menschen, Täter dagegen gern „die letzten versprengten Anarchisten“ gegen ein mindestens präfaschistisches Staatswesen, die nur ein klein wenig aus dem Ruder gelaufen waren, ja laufen mussten, weil ja das Staatswesen usw. – ich weiß, wovon ich rede, ich krieg den Hass ab, seit ich mir erlaube, Polizisten zu vergesellschaft, ums mal so neutral zu sagen… Auch die West-Krimi waren ja dann auch so.)
    Fuck-seemily schenk ich Dir, egregio Giorgione!
    Auf die Postkartenschwemme freut sich – P.

  9. Sehr geehrte Frau Hiermann,

    man fühlt sich manchmal angesprochen, obwohl man gar nicht muß: Der ‚Mythos vom „kriminalitätsbefreiten‘ eigenen Staatsterritorium“ scheint mir, was das ‚Dritte Reich‘ angeht, ein Nachkriegsprodukt zu sein. Der „Volksstaat ohne Verbrecher“ (Wagner) war geradezu darauf angewiesen, ganze Bevölkerungsgruppen mit dem Etikett des Verbrecherischen zu versehen. Noch eine Empfehlung in dieser Hinsicht: Longerichs Himmler-Biographie.

    Beste Gruße!

  10. Das, lieber JL, bestreitet niemand. Irgendwelche Viererbanden, Volksschädlinge und andere Dissidenten brauchts immer. In der, der HErr hab sie selig, ehemaligen UdSSR konnte man als 70jähriger Gelehrter auch schon mal wegen Rowdytums im Gulag landen (man hat sich diesen Rowdy dann immer als lederkluftigen Marlon Brando vorgestellt). Aber auch hiesige Wahlkämpfe leben ja von der Kreation diverser staatstragender Verbrechertypen, „nichtassimilierten“ Türkenkids etwa. Interessant scheint mir Frau Hiermanns (schön!) Hinweis auf die generelle ideologische Ausformung von Verbrechern und ihren Widerparten in der Kriminalliteratur. Ich sehe schon Wellen von Bankern auf uns zu rasen, Volksschädlingen in Nadelstreifen, idealer Abschaumstoff…

    bye
    dpr

  11. für „Hiermann“ entschuldige ich mich (war’n Tippfehler). Mit Ihrer Verallgemeinerung, lieber dpr, bin ich nicht einverstanden.

    Beste Grüße!

  12. Longerich-Himmler ist wirklich ein klasse Buch! Hab’s im Oktober verschlungen. Zwangscharaktere fand ich immer schon faszinierend.
    HG – P.

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