Wieder mal das Genre neu erfunden. Gestern beim Spülen, um genau zu sein. Wir haben den Whodunit, vielleicht auch den Whydone, aber kein Schwein hat bisher einen Whatdone geschrieben. Täter und Opfer sind bekannt, doch zum Teufel: WAS ist eigentlich passiert?
Okay, sagen jetzt alle, was soll schon passiert sein. Ein Mord natürlich. Natürlich? Ist Kriminalität gleich Mord? Was ist mit Unterschlagung, Vergewaltigung, dem Griff in die Portokasse, Sodomie und Ladendiebstahl? Schweigen wir ganz von Korruption und öffentlichem Dummschwätz. Ist es nicht viel mehr so, dass gerade die Zwanghaftigkeit, mit der im Krimi alles auf Mord hinausläuft oder von ihm ausgeht, die größte Feindin des Genres ist? Und immer dieses „Uh, wer wars denn nun!“. Na Freunde: Es war immer der oder die, den sich der Autor, die Autorin ausgesucht hat! So einfach ist das. So einfach, so willkürlich, so unbedeutend.
Aber der Whatdone! Kommissar X verhört den Täter. Der steht fest. Doch was hat er angestellt? Er schweigt. Und also begibt sich Kommissar X auf die Fährte, bis er den Fall gelöst hat. Aha! Das Schwein ist bei Rot über die Ampel und hätte Oma Meier um ein Haar vom Seniorenheim erlöst!
Beim Spülen halt, da bekommt man solche Einfälle. Jedenfalls: Wenn ihr irgendwann einmal einen Whatdone lesen solltet, dann denkt daran, dass ich ihn erfunden habe. Selber schreiben werde ich vorerst keinen. Hab noch so viele Leichen im Keller, die müssen alle erst verarbeitet werden.
Lieber dpr, das ist doch die Normalität der Strafverfolgung — der krimimäßige Whodunit ist die Ausnahme. Ich hab‘ da einen schönen Fall erlebt, als ich ausbildungsmäßig einer großen Strafkammer zugeteilt war (vor Jahrzehnten, die Welt war noch anders …): Angeklagt war ein türkischer Gastarbeiter wg. versuchten Totschlags (wie gesagt: Jahrzehnte). Im Verlauf der Verhandlung stellte sich heraus, dass selbst Notwehrexzess schwer zu begründen sein würde (der StA hatte offenkundig geschlampt, s. o., und der Kammervorsitzende brachte den Angeklagten dazu, sich so weit zu entblößen, daß wir alle die Narben der Verletzungen besichtigen konnten, die er selbst im Verlauf der sachverhaltsbegründenden Schlägerei davongetragen hatte. Problem war am Ende, daß der Angeklagte ziemlich lang in U-Haft gesessen hatte — also wäre ein Freispruch nicht bloß peinlich für die Strafverfolger gewesen, sondern hätte auch Entschädigungsansprüche nach sich gezogen. Also einigte man sich auf irgend etwas zwischen Exzess und (schwerer) Körperverletzung und auf eine Strafzumessung, die just so weit durch die U-Haft verbüßt war, daß der Rest zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Der Angeklagte war frei und alle waren’s zufrieden. (Und inzwischen haben die meisten Beteiligten das Zeitliche gesegnet — und ich kann mich auch nicht mehr an jede Einzelheit erinnern. Doch seitdem hat für mich die ‚juristische Fiktion‘ immer auch einen unwissenschaftlichen, krimimäßigen Klang.)
Beste Grüße!
Ist schon erfunden: „A Dark Adapted Eye“, Barbara Vine.
Hm. Das schockiert mich nicht. Das Genre erfinde ich locker 3x am Tag neu.