Schlachteplatte 01.10

(Im Hause Wutschel hat man sich einer alten ländlichen Tradition erinnert, der Hausschlachtung. Wo aber früher Nutztiere unters Messer kamen und lecker Wellfleisch, Blut- und Leberwurst etc. hergeben mussten, zerlegt Hausherrin Anna Veronica Wutschel ab sofort süße kleine Krimis in handlich-appetitlich-krimikritische Portionshappen. Deftig, naturbelassen, wohlschmeckend.)

Ein ganzer Harem junger Mädchen

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gefangen in einem Verlies. Ein in mehrfacher Hinsicht äußerst ambitionierter Mörder und ein Ermittler, der persönlich betroffen ist. Das kennt man bereits? Das hat man längst gelesen? Jilliane Hoffman, ehemalige Staatsanwältin, scheint ihren Bücherbestand durchgegangen zu sein und wie ein phantasieloser Buchhalter Bilanz gezogen zu haben. Sie arrangiert viel Herzschmerz um das Verschwinden von Teenagern, um ihr eigentlich ernstes Thema Pädophilie und die Gefahren des Internets. Doch legt die Autorin dabei so lieblos falsche Fährten um Pinsel schwingende Herren, schustert derart verwunderliche Motive für die Handlungen des Täters zusammen, als habe sie bereits beim Entwerfen des Textes das Interesse an eben diesem verlassen. So liest sich Mädchenfänger wie ein ebenso berechenbares wie ermüdendes Manöver aus Fakten, Kitsch und obszöner Brutalität – wie die karge Imitation eines Bestsellers.

Jilliane Hoffman: Mädchenfänger. 
Wunderlich 2010
(Pretty Little Things, 2010. Deutsch von Sophie Zeitz).
464 Seiten. 19,95 Euro.

Nur eine simple Masche

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scheint Jonathan Nasaw clever böse aufzuziehen. Dabei knöpft er sich die Realität so knallhart, so tragikomisch vor, als schriebe er mit gewetzten Krallen. Der 15-jährige Little Luke erlebt Entsetzliches – nach dem erschütternden Selbstmord seiner höchst kriminellen Eltern, beginnt für ihn eine Odyssee, bei der Tote seinen Fluchtweg pflastern. Auch Special-Agent E. L. Pender, der kahle Hüne mit dem tödlich schlechten Mode-Geschmack, muss einiges verdauen, musste er sich doch in seinen letzten beiden Fällen eine Menge Snuff-Movies ansehen. Etwas Ablenkung ist vonnöten, und da trifft es sich gut, dass er tanztechnisch einiges drauf hat und so die eine oder andere Dame zwischen seine Laken ködern kann. Die entspannte Lage schlägt jedoch um, als sich Little Luke, ein moderner Candide übrigens, der durch die schlechteste aller Welten gejagt wurde, entschließt, für alles ihm angetane Übel Rache zu nehmen. Keine Frage, dass auch Pender ganz oben auf seiner Todesliste steht. Wer aber in Penders Sandkasten Unruhe stiften will, sollte gewieft sein. Doch wie es scheint, hat Little Luke längst alle Düsternis des Infernalischen hinter sich gelassen. Nasaw beweist erneut, was für ein Verpackungskünstler er ist: Unter dem erbarmungslos Bösen, dem heftig Spektakulären verbirgt sich das Chaos des Verletzlichen. So wird Der Sohn des Teufels zu einem cool rasanten, abgründigen Thriller-Trip!

Jonathan Nasaw: Der Sohn des Teufels. 
Heyne 2010
(The Boys From Santa Cruz 2010. Deutsch von Jochen Stremmel).
493 Seiten. 9,95 Euro.

Schwer lastende Bedrohlichkeiten

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liegen auf der Szenerie. Im Berlin der späten 70er behauptet eine Mutter, das Kind, das man ihr übergibt, sei nicht ihr eigenes – doch niemand will ihr glauben.
Gut 30 Jahre später erwacht eine junge Frau in Edinburgh völlig benebelt und mit aufgeschnittenen Pulsadern – doch die Theorie vom Selbstmord verweigert sie strikt. Wie Zoë Beck (aka Henrike Heiland) ihre Story um (Eltern-)Liebe, Zuneigung, Abstammung, um Realität und Paranoia clever über solch große Zeitspanne konstruiert, ist beeindruckend. Dennoch – irgendwie scheinen die Figuren der x-ten Folge einer Vorabend-Soap entsprungen, nachdem längst alle erdenklichen Plots und Konstellationen durchgeackert worden sind. Ein Quotenpusher muss her, ein chicer Styling-Clou: Der nicht vor der Schmalspur des Aberwitzig-Dramatisch-Banalen zurückschreckt und mit detailsicheren Beobachtungen ebenso auf Extravaganz wie auf Konsens zielt. Etwas lässiger, etwas weniger am Bestseller orientiert erzählt, wäre Das alte Kind – das nicht mit Charlotte Links Das andere Kind verwechselt werden will – durchaus ein Must-Have der Saison. Wie dieser verführerisch gefährliche, grün-goldene Brokatmantel!

Zoë Beck: Das alte Kind. 
Bastei-Lübbe 2010. 302 Seiten. 7,99 Euro.

Ein kleines Meisterstück

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der Kompositionskunst liefert Deon Meyer. Nur Dreizehn Stunden – wie der Titel es besagt – stehen Bennie Griessel zur Verfügung, um zwei Morde aufzuklären: Ein berühmter Musikproduzent wurde erschossen, einer amerikanischen Touristin die Kehle durchgeschnitten. Eigentlich soll Griessel die Aufklärung dieser beiden Fälle, die jüngeren Kollegen übertragen wurden, lediglich als Mentor begleiten. Doch bald läuft alles aus dem Ruder, vor allem als sich herausstellt, dass eine weitere Touristin von einer hartnäckig mörderischen Bande immer noch in und um Kapstadt gejagt wird. Über all diesem Schlamassel liegen Griessels private Probleme, die ihn – hätte er nur die Zeit dazu – quälen. Aber immerhin – obwohl der Polizeiapparat heißläuft und unter enormem (Zeit-)Druck agiert, bleibt noch ein Minütchen, um Griessel zum Kaptein zu befördern. Deon Meyer weiß mit purem Terror, rasanter Action sowie tiefgründigen Emotionen und ganz leisen Tönen wie spielerisch zu jonglieren. Dabei seziert er all die Hoffnungen, den Rassismus, die Angst und Ignoranz, die Profitgier und andere Beschränkungen einer Gesellschaft. Dreizehn Stunden ist klug und spannend – ein sich virtuos entfaltendes Furioso.

Deon Meyer: Dreizehn Stunden. '
Rütten & Loening 2010 (13 Uur, 2009. Deutsch von Stefanie Schäfer). 
470 Seiten. 19,95 Euro. 

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