Das Ambiente kommt mit Rosamunde-Pilcher-Charme daher – Meer, Möwen und Moor. Im Morast der Langeweile sumpft auch Martin, der Anti-Held. Er ist sechsunddreißig und lebt bei seiner Mutter. Ein Durchschnittstyp mit einem Durchschnittsgesicht und einem Durchschnittscharakter. Von Beruf Postbeamter in der südostenglischen Kleinstadt Theston. Leidenschaft lodert bei ihm nur dort, wo es sich um Papa Hem dreht, seinen Abgott und Ersatzvater. Sproale ist durch und durch Hemingway-Aficionado. Sein Jugendzimmer enthält ein Sammelsurium von Reliquien. Und nur dort, miteinem vollen Glas Grappa vor seiner Reiseschreibmaschine, einer CoronaNr.3, erwacht er für Momente zum Leben.
Bewegung kommt in die statische Welt von Threston, als zwei neue Gesichter den Schauplatz betreten. Nick Marshall, ein ambitionierter jungerMann, der Sproale nicht nur um den Job des Postvorstehers bringt, sondern auch um seine Verlobte in spe. Aber da ist ja noch Ruth Kohler, eine junge amerikanische Literaturwissenschaftlerin, die es auf der Suche nach Einsamkeit hierher verschlagen hat. Diese exzentrische, schwarz gekleidete Dame schreibt ein Buch über Hemingways Frauen.
Nicht lange, da finden sich Ruth und Martin in ihrer Passion, lernen sich lieben und kennen. Sie ist es, die ihm den Original-Angelstuhl von Papa organisiert. Kaum sitzt der verklemmte Beamte darauf, vollzieht sich eine seltsame Verwandlung. In Statur, Stimme und Verhalten wird das Muttersöhnchen zu seinem Antipoden und alter ego Hemingway. Besessenheit oder Persönlichkeitsspaltung?
Jedenfalls gibt es der Geschichte einen astralen Touch. In Bezug auf Marshall, der sich als Kopf einer dubiosen Firma entpuppt, gerät der Roman nun zusätzlich in die Nähe eines Wirtschaftskrimis. Das alles – Posse, Pilcher, Krimi und Sakrales – paßt nicht unbedingt zusammen.
Hier ist kein Meister der Genremischung am Werk, sondern ein vierundfünfzig Jahre alter Engländer namens Michael Palin, den wir von der Leinwand her kennen als Frauenmörder Ken in „Ein Fisch namens Wanda“ (Er war der mit den Fritten in der Nase.) Und er gehörte den legendären Monty Python an.
Auch die Kunst der Auslassung, die Hemingway ja geradezu erfunden hat, beherrscht Palin nicht. Sein Text klebt vor Adjektiven und Nebensächlichkeiten. Es interessieren weder die 08/15 Personenbeschreibungen nach der Drei-Satz-Methode Haarfarbe/Alter/Körpergröße, noch, ob die Tweedmütze von Lady Soundso links- oder rechtsgewebt ist. Die Story ist übervölkert mit Nebenfiguren: Lokalmatadoren, Familien- und Wahlverwandtschaften, die eben doch nicht so skurril gezeichnet sind, wie sie vielleicht sollten. Langeweile oder auch Einfachheit spannend zu erzählen ist eine andere Hürde, an der Palin scheitert.
Hier und da erfreuliche Sätze erweisen sich nicht selten als ein Hemingwayzitat oder als eines seiner Biografen. Palin hat gut recherchiert.Die Aficionado-Stellen gehören zu den Besseren. Dennoch wirkt der Roman vom Konstrukt her zu starr und hält andererseits zu wenig Distanz zum Chaos der Realität. Dadurch entsteht der Eindruck einer blassen Fiktion, die Figuren bleiben eindimensional, Identifikation fällt schwer. Ein ganz nettes, aber blutleeres Buch. Der Sache fehlt der rechte Kick.
Michael Palin
HEMINGWAYS STUHL
Goldmann 15,- DM
ISBN 3-442-72132-6