Frl. Katjas Nähkästchen, Folge 21

Mensch, war das ein Schreck neulich nachts. Ich wache vor dem Fernseher auf – auf der Mattscheibe Elke Heidenreich, die den Plot eines Romans erzählt. Nanu, denk ich. Eine Sparmaßnahme, weil kein Geld mehr da ist, Filme zu drehen? Nein, nur der Literaturtip in der 3sat Kulturzeit. Uff.

Manchen Sendern tät das allerdings mal ganz gut, kein Geld. SAT1 zum Beispiel, das in seiner Quizshow fragt, welcher der folgenden SPD-Politiker nie Ministerpräsident war. Johannes Rau, Hans Eichel, Bernhard Vogel… Bernhard Vogel? Doch, der ist Ministerpräsident. In Thüringen. Für die CDU.

Wem SAT1 zu ungebildet ist, der kriegt beim ARD-Morgenmagazin dafür die volle Packung. Hätte Gerd Scobel an der PISA-Studie teilnehmen dürfen, wär Deutschland aus dem Schneider. Was der alles weiß… Der führt zur Euro-Einführung kein einfaches Interview mit einem Psychologen, so nach dem Motto „Warum ist die Umstellung so schwer? Wie schafft man das am besten?“ und so weiter… Nein, Herr Scobel hat schon mal ein schlaues Buch gelesen, deshalb stellt er Fragen, die uns allen unter den Nägeln brennen: nämlich – in der Freud´schen Psychologie ist das Thema Geld mit der Sphäre des Analen besetzt. Was bedeutet das also jetzt, übertragen auf die Euro-Umstellung? – Was Sie noch nie wissen wollten, selbst wenn Sie es zu fragen wagten…

Man sagt ja, Essen ist der Sex des Alters. Und das Weihnachts-TV-Programm ist der Gabentisch der Erwachsehen. 2001 sollte in dem Punkt das Fest der Senioren werden. Erst der Dietrich-Geburtstag auf allen Kanälen. Und dann noch der Buena Vista Social Club bei Arte. Das war mein Weihnachten.

Die Dietrich hab ich kräftig hassen gelernt. Als Schauspielerin war sie bloß eine ausgeleuchtete Statuette bei Sternberg, lerne ich in der Spoto-Bio. Als Mutter war sie sogar noch schlechter, steht in der Tochter-Bio. Der erste Film, in den ich reinzappe, ist „Der große Bluff“. Die Dietrich und Gary Cooper – das unkomischste Komödien-Paar der Welt. Oh Gott. Ihr letzter Liebhaber soll Burt Bacharach gewesen sein. Leiser Neid. Dann der große Marlene-Film im ZDF. Ich raufe mir nur noch die Haare. Während sich meine Mutter an der großen, silberfarbenen Etagere auf Marlenes Frühstückstisch erfreut. Und die pastellfarbene Bettwäsche in Marlenes Hollywood-Villa bestaunt. Sie macht eben selbst aus einem Vilsmaier noch das Beste… Ein endgültiges Trauma verschafft mir schließlich die Schell-Doku. Marlene mit Anfang Achtzig im Interview, aus Eitelkeit nur im Off zu hören – aber wie! Aufbrausend, schulmeisternd und mit Lall-Stimme. Ein hoffnungsloser Fall. „Gesetzt, ich bin mit Achtzig genauso, dann erschieß mich bitte“, wünsch ich mir. „Würd ich ja gern“, seufzt der ein paar Jährchen ältere Chefredakteur. „Aber wahrscheinlich reicht die Kraft dann nur noch zum Treppe-Runterschubsen.“

Und nochwas hat die Schell-Doku mir verdorben: die raffinierte Schlußpointe aus „Zeugin der Anklage“. Mit wenigen Ausschnitten und indiskreten Erklärungen verdirbt der geschwätzige Feierabend-Regisseur den Nachgeborenen Wilders Meisterwerk. Ich weiß sofort, was los ist, hechte zur Fernbedienung, um den Ton auszuschalten, und spule vor, bis ich mich außer Gefahr wähne. Aber es ist zu spät. Die „Zeugin der Anklage“ seh ich mir trotzdem an. Toller Film. Mit Marlene versöhnt? Nein. Aber ein wachsender Billy-Wilder-Fan.

Für den Buena Vista Social Club sitze ich nach. Da stand damals Wim Wenders auf den Filmplakaten, deshalb bin ich nicht rein. Aber die CD hab ich längst, also kuck ich mir jetzt doch nochmal den Streifen an. Kost ja nix. Und tut auch gar nicht weh: ist nur ´ne Mischung aus Voxtours- und MTV Unplugged. Bilder von Straßen mit bunten Häusern, auch viele Bahnschienen und verrottete Fabriken und immer wieder alte Männer beim Musikmachen in Räumen, die aussehen wie das Clubheim vom SV MauMau 05. Am Ende sind sie in New York, auf dem Empire State Building, und halten Ausschau nach der Freiheitsstatue. Der letzte Dialog geht ungefähr so: Ruben Gonzales erinnert sich, dass er schon mal da war. In New York und bei der Freiheitsstatue. So 1920. „Wirklich?“, fragt einer der Jüngeren, vielleicht Eliades Ochoa. „Wann genau?“ Und Gonzales erinnert sich: „Ich bin jetzt Achtzig. Damals war ich Dreißig.“ Das war dann ungefähr 1950. Geht doch.

Noch was Tolles hat der Film, das meine selbstgebrannte CD nicht hat: Lieder mit Untertiteln. In ihren Texten sind die Kubaner erstmal nicht anders als andere: jede Menge Phallus-Symbole. Baumstämme, Schläuche etc. Aber nur bei den Kubanern werden diese Phallus-Symbole in der letzten Strophe auch noch erklärt. „Der Baum, in den Du das Herz geritzt hast, bin ich“. Aha. Und die Schläuche sind dann vielleicht doch eher Symbole weiblicher Begriffsstutzigkeit. Oder warum sind solche Auflösungen noch nötig?

Aber eins geb ich zu: jetzt, wo ich den Film kenn, lieb ich die CD noch mehr. Man muß diese alten Männer – und die bezaubernde Omara Portuondo – mit ihren klammen Gliedern und dem Schalk im Nacken mal gesehen haben, um das Wunder des Buena Vista Social Clubs wirklich schätzen zu können.

Eine tote Filmlegende aus Berlin also, quicklebendige Rock-Recken aus Kuba – und ein langsames Sterben auf Viva 2.

Der Rettungsanker aller Musikfans stellt sein Programm ein. Tschüss Wah Wah, Zwobot, Kroko und Seattle Jörg. Und tschüss, jede Menge stumpfsinniger Werbeblöcke für CD-Boxen aller Art. Die sinnigerweise ausgerechnet auf Viva2 beworben wurden. Hier nochmal meine Top Drei der Werbeslogans aus den grausigsten Spots aller Zeiten:

3) aus „80s forever“:
„Kein anderes Jahrzehnt hatte soviele unglaubliche Megahits, an die wir uns gern erinnern.“

2) aus „Superhits of Rock´n´Roll“:
„Schonen Sie die wertvollen Singles ihrer Plattensammlung. Mit Superhits of Rock´n´Roll haben sie alle einhundert wichtigsten Rock´n´Roll-Evergreens in allerbester Soundqualität.“

1) aus „Made in Germany“:
„Anfang der 80er ging ein Ruck durch die internationale Musikszene. Deutsche Popmusik und Neue Deutsche Welle eroberten die Welt.“ (im Hintergrund: Musik von Herwig Mitteregger, Purple Schultz, Spliff und Markus…

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