„Man ist so alt, wie man sich fühlt. Und außerdem lass ich mir nicht vorschreiben, wann ich reif genug für welche Literatur bin“, erkläre ich dem Chefredakteur in der Bahnhofsbuchhandlung und kaufe „BRIGITTE Woman“. Die Zeitschrift für die Frau ab 40.
„Knack“ macht die Bitterschokolade, die ich zuhause dann beim Lesen esse. Kakaogehalt: mindestens 70 Prozent, drunter mach ich´s nicht mehr. Zweifellos: ein neues Indiz meines Alterns. Denn der Tag „Meine erste Bitterschokolade“, dachte ich lange, sieht so aus: ich an einen Stuhl gekettet, eine Maulsperre zwischen den Kiefern, während mir weißgekleidete Wärter – meinen blitzeschleudernden Blicken trotzend – ein Zartbitter-Rippchen in den Schlund zwingen.
Nichts da. Offenbar hab ich längst die Ausfahrt „Frühes Wunderlich-Werden“ genommen. Ein Phänomen, das ich aus meiner Familie nur zu gut kenne. Beispiel: meine Mutter. Versiert in Wahrscheinlichkeitsrechnung, eine kühle Rechnerin und umgeben von klugen Büchern, die sie selbstredend alle gelesen hat. Auf Du und Du sozusagen mit Canetti, Beauvoir und Co. Doch dann erwähnte sie irgendwann beiläufig, dass sie nun Lotto spielt. Und sich über Aktienfonds informiert hat. Als sie im Urlaub interessiert in meinen Schundzeitungen blätterte, rieb ich mir kurz die Augen. Als sie vor Kurzem erzählte, dass sie gern „Brisant“ schaut („Weil die Informationen dort so kompakt gebündelt sind.“), packte mich nackte Angst.
Ende ich auch so? Zumal ich seit Kurzem den nie gekannten Wunsch verspüre, mich mit dem Chefredakteur zusammennähen zu lassen. Vielleicht mithilfe einer Polsterer-Nadel, mit denen ungeschickte chilenische Schafscherer die Bäuche der geschorenen Tiere wieder zunähen. Nachdem sie die Eingeweide zurückgestopft haben. Das hab ich bei Isabel Allende gelesen. …die der Chefredakteur übrigens, weil er sie doof findet, genauso ausspricht, wie sie sich schreibt. Vielleicht ist das mit dem Zusammennähen doch eine blöde Idee. Dann müsste ich mir immer miese Kommentare anhören, während ich Allende lese. Und ich hab noch nicht mal das erste Buch durch. Aber sobald ich das Allende-Gesamtwerk intus hab, versprochen, werde ich den Plan mit dem Zusammennähen mit neuem Elan in Angriff nehmen. Natürlich darf Isabel Allende dann keine Bücher mehr schreiben. Ich werde das persönlich zu verhindern versuchen. Und zwangsläufig den Chefredakteur dazu mitbringen.