Eine Abhandlung über das Phänomen Dilbert
Dilbert ist ein moderner Held. Ein Mann mit edlen Qualitäten, der im Kampf gegen das Übel dieser Welt das wertvollste Gut eines Menschen aufs Spiel setzt: seine Karriere. Unermüdlich kämpft er tagtäglich gegen fiese Kollegen, unfähige Vorgesetzte und den inneren Schweinehund. Das er den ungleichen Kampf langfristig verliert, kann ihn nicht abschrecken. Der untersetzte Ingenieur mit dem weißen Kurzarm-Hemd, der widerspenstigen gestreiften Krawatte und den stilsicheren weißen Socken ist in den USA längst zu einer Kultfigur geworden. Der Versager, der regelmäßig feststellen muß, daß Intelligenz nur sehr wenig praktische Verwendung findet, hat in der Realität einen Erfolg, von dem der Comic-Held in seiner zweidimensionalen Welt nur träumen kann: Er wurde vom US-amerikanischen Time Magazine zu einem der 25 einflußreichsten Amerikaner gekürt.
Scott Adams heißt der Mann, der nach 17 Jahren in einem Großraumbüro auf die Idee kam, seine eigenen frustrierenden Erfahrungen in einem Comic umzusetzen. Offensichtlich traf er damit den Nerv aller Amerikaner mit einem White-Collar-Job. Innerhalb kürzester Zeit wurde Dilbert zum meistausgeschnittenen, meistkopierten und meistgefaxten Comic Strip aller Zeiten. Dilbert hat einen schleichenden Einfluß auf die nordamerikanische Arbeitswelt genommen. Ein Manager, dem es gelungen ist, eine Entscheidung unter totaler Ausschaltung von Logik und Realität zu treffen, darf sich rühmen, einen „Dilbert“ begangen zu haben. Ebenfalls ein Novum auf dem Gebiet des Comic Strips ist die zielgruppengerechte Vermarktung des Strips. Der vom Dilbert-Virus befallene Websurfer kann sich aus dem Internet (http://www.dilbert.com) jeden neuen Strip herunterladen, kleine vertonte 3D-Animationen als Dilbert-Trickfilme anschauen oder sich sogar Ratschläge vom Management-Guru Dogbert, dem Hund Dilberts, geben lassen. Doch auch der Zeichner hat sich den Zeitläuften gebeugt. Unter ScottAdams@aol.com kann die Fangemeinde jederzeit Kommentare oder Anregungen loswerden. Und diese macht reichlich Gebrauch von dieser Möglichkeit. Zwischen 300 und 800 E-mails, die der Zeichner täglich erhält, zeigen deutlich, daß der alltägliche Wahnsinn der Fiktion keineswegs nachsteht, sondern diese eher überflügelt.
Das tut dem Erfolg der seit 1993 erscheinenden Dilbert-Bücher allerdings keinen Abbruch.
Die verschiedenen Sammlungen von Scott-Adams-Strips, wie z.B. das Erstlingswerk „Build A Better Life By Stealing Office Supplies“ (dtsch: Besser leben durch Bürodiebstähle, Heyne 1997), wurden innerhalb kürzester Zeit in den USA zu Bestsellern. Der 22. Mai 1995 sollte schließlich als ein Meilenstein in die Geschichte moderner Managementlehren eingehen. Das „Wall Street Journal“ veröffentlichte einen Artikel, in welchem Scott Adams sein Dilbert-Prinzip formulierte: Die Unfähigen werden dorthin versetzt, wo sie am wenigsten Schaden anrichten können; sie werden ins Management befördert. Die gewaltige Reaktion brachte Adams schließlich dazu, sein erstes Buch zu schreiben: „The Dilbert Principle“ (dtsch: Das Dilbert Prinzip, Moderne Industrie 1997). Auf Anhieb verkauften sich in den USA über 1,5 Millionen Exemplare. Ermutigt durch diesen Erfolg brachte Adams noch im gleichen Jahr „Dogbert’s Top Secret Management Handbook“ (dtsch: Dogberts top secret Management-Handbuch, Moderne Industrie 1997) heraus – wiederum ein Bestseller. Der Nachfolger „The Dilbert Future“ sowie das Best-Of-Buch „Seven Years of Highly Defective People“ sind leider noch nicht in deutscher Sprache erhältlich; angesichts der Erfolge ihrer Vorgänger kann das allerdings nur eine Frage der Zeit sein.
Besser leben durch Bürodiebstähle
Das 1991 in den USA erschienene „Build A Better Life By Stealing Office Supplies“ war das erste Buch mit Comic Strips von Scott Adams. Der Hund Dogbert, der in der Welt von Dilbert mit bemerkenswertem Erfolg abwechselnd jeden Beruf ausübt, der mit einem Minimum an Arbeit ein Maximum an finanziellem Gewinn verspricht, gibt in diesem Buch Tips für den Büroalltag. Um den durchschnittlichen Büroangestellten nicht intellektuell zu überfordern, geschieht dies in der Form von einseitigen Comic Strips, denen jeweils ein kurzer einleitender Text von Dogbert vorangestellt ist. Die über 100 vergnüglichen Strips umfassen so ziemlich alle Themengebiete über das richtige Verhalten im Büro: von „Dress for Success“ über „Ausreden, Bluffs und Lügen“ bis zu „Dogberts Tips“.
Das zum Taschengeldpreis erhältliche Buch, daß sich selbst der unterbezahlteste Angestellte leisten kann und sollte, ist ein idealer Einstieg in die Welt von Dilbert und Dogbert. Außerdem ist es geradezu prädestiniert dazu, in seine Bestandteile zerlegt zu werden, um als Scan- und Faxvorlage sowie zur Verschönerung von Großraumbüros zu dienen.
Das Dilbert Prinzip
Das aufgrund der Resonanz auf den im Wall Street Journal vom 22. Mai 1995 erschienenen Artikel entstandenene Buch führt die Tradition von „Besser leben durch Bürodiebstähle“ konsequent fort. Auch dieses Buch enthält wertvolle Tips für den Angestellten. Diese werden dem Leser allerdings diesmal in Textform nahegebracht und mit den besten Strips aus der Geschichte Dilberts sowie authentischen e-mails, die Scott Adams im Laufe der Jahre erhielt, gewürzt. Auf Anhieb verkauften sich in den USA über 1,5 Millionen Exemplare. Im März 1997 versuchte der Verlag Moderne Industrie, diesen Erfolg nach Deutschland zu bringen. Das Experiment gelang. Innerhalb weniger Wochen stürmte „Das Dilbert Prinzip“ die Wirtschaftsbestsellerlisten. Insgesamt wurden mittlerweile 50.000 Exemplare verkauft. Dies ist nicht nur dem Kultstatus des Originals geschuldet, vielmehr ist Markus Schurr und Wolfram Ströhle eine Übersetzung gelungen, die trotz der thematisch bedingten Schwierigkeiten zu überzeugen weiß. Einzig das Lettering ist stark gewöhnungsbedürftig. Der seltsame Zeichensatz, der wohl ein Handlettering vortäuschen soll, läßt sich insbesondere in den aus vier Panels bestehenden Strips stellenweise nur sehr schwer lesen, da die Buchstabenhöhe hier nur 1 mm beträgt. Der wahre Wermutstropfen sind jedoch die im Gegensatz zur aktuellen amerikanischen Originalausgabe fehlenden Strips. Doch dies kann dem Lesespaß keinen Abbruch tun.
Adams hat mit dem „Dilbert Prinzip“ ein Meisterwerk vorgelegt – ein unverzichtbares Handbuch für jeden erfahrenen Guerilla im Büro-Dschungel und jeden Studenten, der fernab der Realität im Hörsaal von einer Karriere träumt.
Dogberts top secret Management-Handbuch
Noch im selben Jahr wie „Das Dilbert Prinzip“ erschien das ultimative Management-Handbuch aus der Feder Dogberts. Der kleine weiße Hund mit der runden Brille, der sich bescheiden das Ziel der Weltherrschaft auf die Fahnen geschrieben hat, gibt dem gestreßten Manager wertvolle Tips für das berufliche Überleben. Wie in „Besser leben durch Bürodiebstähle“ bedient sich der zynische Hund eines besonderen Kunstgriffs, um der Zielgruppe seine Lehren begreiflich zu machen. Da der gemeine Manager selbst mit simplen Cartoons überfordert wäre, benutzt Dogbert den Imperativ, um dem Leser seine Management-Theorien einzubleuen und fordert ganz einfach blinden Gehorsam. Denn dieser ist „entschieden leichter als sämtliche Alternativen und ändert nichts an der Bezahlung“. In derben Worten (die von Uta Steffens-McKechneay bemerkenswert unverkrampft übersetzt wurden), hämmert Dogbert nun allen Managern und Manager-Aspiranten die wichtigsten Regeln für beruflichen Erfolg ein. Ziel des Buches ist es, eine neue Art zu züchten: den Management-Zombie. Selbstverständlich werden die Ausführungen Dogberts wiederum von Unmengen der besten Dilbert-Strips visuell unterstützt.
Herausgekommen ist ein Standardwerk für modernes Management, das in keinem Bücherschrank, dessen Besitzer einen White-Collar-Job ausübt, fehlen darf. Selbst namhafte Management-Experten, wie beispielsweise der Reengineering-Guru Michael Hammer empfehlen das Buch als gelungene Satire. Das scheinen auch die deutschen Leser zu glauben: Das Buch verkaufte sich hierzulande immerhin schon 13.000 mal. Dogbert ist seinem Ziel offensichtlich zum Greifen nahe gekommen.
Das Mysterium der verschwundenen Dilbert-Strips
Beim Lesen der deutschen Ausgabe des „Dilbert Prinzips“ fällt dem aufmerksamen oder auch einfach nur mit einem photographischen Gedächtnis ausgestatteten Leser auf, daß mehrere Strips im Buch doppelt vorkommen. Interessanterweise sind diese Strips nicht nur unterschiedlich gelettert, sondern teilweise sogar verschieden übersetzt. Wer zu faul zum Suchen ist: die besagten Strips befinden sich auf den Seiten 52/83, 98/209, 64/239, 272/310 und 25/311. Für die Vollständigkeit der Aufzählung kann allerdings keine Gewähr übernommen werden.
Allein das unterschiedliche Lettering ließ Zweifel daran aufkommen, ob der Verlag Moderne Industrie hier dem Druckfehlerteufel zum Opfer gefallen war. Eine Anfrage an die in alt.comics.dilbert versammelte Fangemeinde, ob die Strips auch in der amerikanischen Version doppelt vorhanden wären, ergab eine Überraschung: Einige Fans antworteten, die Strips wären auch in der Ur-Version zweifach enthalten, andere Fans wiederum meinten, anstelle eines der doppelten Strips gehöre jeweils ein anderer Strip ins Buch. Und alle diese Fans besitzen die erste Auflage der amerikanischen Hardcover-Ausgabe! Schließlich konnte nur noch eine Person helfen: Scott Adams persönlich. Seine Antwort auf die per e-mail gestellte Frage, wie das Rätsel der unterschiedlichen Ausgaben zu lösen sei, war kurz und knapp: „The publisher replaced the duplicate strips when they were noticed.“
Eine gute Nachricht für alle Fans, die eine der allerersten amerikanischen Hardcover-Ausgaben mit den doppelten Strips besitzen. Diese Bücher dürften jetzt immerhin für Dilbert-Fans und Sammler einen gewissen Nostalgiewert haben. Schwacher Trost für alle deutschen Dilbert-Fans: Der Verlag Moderne Industrie wird versuchen, die nächsten Auflagen des „Dilbert Prinzip“ der aktuellen amerikanischen Auflage anzupassen.