Bad Times

Kürzlich in der →„Märkischen Oderzeitung“: Man parliert über den „deutschen Krimi-Boom“. Keine „Un-Literatur“ mehr, auch deutsche Krimis haben jetzt eine Chance, und eine Buchhändlerin stellt fest, die Leser bevorzugten „Storys mit Happy End, wo am Schluss die Ordnung wieder hergestellt wird.“

Soweit so belanglos. Dann aber kommt Friedrich Ani zu Wort. Ich muss gestehen, dass ich noch nichts von ihm gelesen habe, aber das wird nachgeholt. Denn Ani scheint jemand zu sein, der zumindest denken kann, und dann sollte es auch mit dem Schreiben einigermaßen hinhauen. Ani also sieht das alles skeptischer:

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Herr Mankell und der Schwedenkrimi

Im 30jährigen Krieg kredenzte man den SCHWEDENTRUNK: eine Labsal, die dem, der sie genoss, nur selten mundete. Das Zwanzigste Jahrhundert amüsierte uns nur mäßig mit SCHWEDENRÄTSELN und SCHWEDENPORNOS und, schon etwas kurzweiliger, SCHWEDENPOP. Als hartnäckigster von all diesen SCHWEDENHAPPEN indes erwies sich der SCHWEDENKRIMI. In den Sechzigern und Siebzigern durch die Romane des Duos Sjöwall/Wallöö erfolgreich nach Deutschland exportiert, ist der Schwedenkrimi Anfang des neuen Jahrtausends in Gestalt der Bücher von Henning Mankell umjubelt zurückgekehrt. Keine Bücherbestenliste, auf der nicht die Geschichten um Kommissar Kurt Wallander penetrant auf Spitzenplätzen liegen, und manche biedere Sekretärin – ein Berufsstand, der ansonsten eher im Hera-Lind-Fieber agonisiert – sah ich schon weltentrückt in Eisenbahnabteilen über „Die fünfte Frau“ gebeugt, Mankells, so viel sei gesagt, bestem Roman.

Kurt Wallander löst seine Fälle im südschwedischen Ystad, wo er ein Team der Mordkommission leitet. Er ist Pessimist und nagt an seinen Depressionen wie weiland Sherlock Holmes an seiner Unterlippe, wenn es galt, komplizierte Sachverhalte zu erhellen. Im Grunde folgen alle Romane dem gleichen Strickmuster: (Mindestens) ein Mord geschieht und stellt Wallander und die Seinen vor Rätsel, die es nach und nach zu lösen gilt. Zwischen den Kapiteln, die sich minutiös mit dem Weg der Aufklärung beschäftigen, gibt es immer wieder andere, die ein Psychogramm des Täters, der Täterin zu zeichnen versuchen. Lustiges Mörderraten wie bei Agatha Christie gibt es bei Mankell nämlich nicht. Das Motiv interessiert ihn und eben der Weg zum Ziel.

Daneben natürlich noch das Seelen- und Familienleben des Helden selbst. Er ist, wie gesagt, reichlich depressiv und leidet vor allem am Zustand der Welt im Allgemeinen und der schwedischen Gesellschaft im Besonderen. Die Mörder werden immer brutaler, die Menschen immer rücksichtsloser, die Polizisten immer inkompetenter und korrupter.

Hm…. spätestens hier aber müssen wir nun doch auf die erste Welle der Schwedenkrimis zurückkommen, auf Sjöwall/Wallöö und ihren Kommissar Martin Beck. Denn eigentlich könnte ich eine alte Rezension dieser Romane hervor kramen und durch bloßen Namenstausch zu einer Rezension der Mankell-Romane machen.

Es war alles schon einmal da: Ein zur Depression neigender Kommissar mit Ess- und Eheproblemen, ein Team aus verschiedensten Charakteren und Temperamenten, vor allem aber: die Sozialkritik. In den Sechzigern und Siebzigern noch galt Schweden als der paradiesische Hort aller Menschenrechte und -gerechtigkeiten. Da tat es gut, eine andere, kritische Stimme zu hören, die das Unmenschliche der Situation heraus arbeitete und darlegte, wie die einstige Vision von der besten aller Welten degenerierte.

Auch die Strickmuster ähneln sich frappant: Ein Mord geschieht (oder auch gleich neun auf einmal wie in Sjöwall/Wallöös „Endstation für neun“), Rätselberge türmen sich auf und werden allmählich abgetragen. Was Mankell von seinem Vorgängerduo indes unterscheidet: Brauchten die gerade einmal 200 Seiten zur Klärung des Falles, können es bei ihm auch schon mal leicht über 500 werden. Das funktioniert dort, wo es die Story hergibt, in der „Fünften Frau“ etwa oder, mit leichten Abstrichen, in „Die falsche Fährte“. Andere Romane, vor allem „Der Mann der lächelte“ oder „Mörder ohne Gesicht“, sind, obgleich nicht ganz so umfangreich, im Grunde nur aufgeblasene Gebilde aus Versatzstücken, wo man bei der Lösung auch Kommissar Zufall oder Kommissar Brechstange bemühen muß.

Wie alle Serienkrimis setzen die Wallander-Romane natürlich auf die Kontinuität der Lebensläufe des Stammpersonals. Das war auch schon bei Martin Beck und seinen Kollegen so. Nachsichtig lächelnd nahm der getreue Leser zur Kenntnis, dass Kollbergs Frau Gun hieß und etwas von Sexualakrobatik verstand. Auch Becks Vorliebe für Schiffsmodelle mußte man Stücker dreißigmal zur Kenntnis nehmen – aber es waren nur kurze Erwähnungen, sie störten nicht weiter.

Anders bei Wallander, der sich etwa fünfmal pro Roman über die hohen Preise für Wurstbrote ärgert, etwa zehnmal seinen Vater erwähnt, der als Maler von Sonnenuntergängen und Auerhähnen sein Geld verdiente, bis ihn der Tod dahin raffte, etwa zwanzig Mal gar begegnen wir dem inzwischen auch schon toten Kollegen Rydberg und überlegen uns mit Wallander, was der wohl in dieser Situation gemacht hätte. Und so weiter. Das nervt.

Schlimmer noch: Es gibt keinen Roman Mankells, in dem der Held nicht etwa Entscheidendes übersieht, nicht weiß, WAS er übersehen hat, aber weiß, DASS er etwas übersehen hat. Und sich wenigstens zehnmal im weiteren Verlauf erinnert, irgendwann etwas Entscheidendes übersehen zu haben, aber nicht zu wissen was. Das nervt ganz arg.

Bei allen déjà vu (oder besser: déjà lu)-Momenten, die der Kenner und Liebhaber der zehn Beck-Romane bei der Lektüre der Mankell-Bücher hat, vermißt er aber eins: den Humor von Sjöwall/Wallöö. Der wird von Roman zu Roman skurriler und erreicht gelegentlich Slapstickniveau. Manchmal basiert sogar die komplette Handlung (vor allem bei „Verschlossen und verriegelt“) auf einem gigantischen Witz, dessen Pointe am Ende offengelegt wird. Nichts von alledem bei Mankell. Die Welt ist trostlos, aber scheinbar noch nicht trostlos genug, um sich darüber lustig machen zu können.

Fassen wir zusammen: Mankells Romane übernehmen viel – nicht selten zu viel – von Sjöwall/Wallöö und fallen häufig hinter den Standard der Originale zurück. Sjöwall/Wallöö sind schneller, präziser, weniger redundant. Sie vermögen es, interessante Charakterstudien zu zeichnen, besonders von den anderen Mitarbeitern des Kriminalteams, während diese bei Mankell seltsam blass bleiben. Letzterer hat seine stärksten Momente immer dann, wenn er nach den Motiven für eine Tat sucht. Dies allein macht aus „Die fünfte Frau“ und „Die falsche Fährte“ lesenswerte Romane. Wo dies indes versagt, bleibt am Ende nur heiße Luft.

Also, Freunde: So ihr die Romane von Sjöwall/Wallöö nicht kennt: Lest sie. Es gibt sie wohlfeil in jeder Buchhandlung. Empfehlenswert sind außer den bereits genannten: „Mord am Götakanal“, „Die Polizistenmörder“ und „Terroristen“, wieder so ein großer Witz mit toller Pointe. Danach werdet ihr in der Lage sein, Mankell vernünftig einzuordnen: Kein Überautor, aber partiell nicht ohne Gewinn zu lesen.