Das große Missverständnis um Martin Scorsese beginnt mit der Feststellung, dass er der größte lebende amerikanische Regisseur sei. Niemand weiß das besser als er selbst: Als er jüngst den Golden Globe für die „Beste Regie“ in Empfang nahm, waren ihm die „standing ovations“ seiner Kollegen schon fast peinlich. Gefragt nach seinen diesjährigen Oscar-Chancen, meinte er lapidar „Wenn ich je einen verdient haben sollte, dann wohl in den 70ern!“ (da drehte er Filme wie „Taxi Driver“ und „Wie ein wilder Stier“). Seit nunmehr fast zehn Jahren stellt Scorsese Film für Film eindrucksvoll unter Beweis, dass mit ihm nicht mehr zu rechnen ist: ob nun das siechende Kostümdrama „Zeit der Unschuld“ (1993), die lieblos recherchierte Las-Vegas-Saga „Casino“, das nie wirklich zur Kenntnis genommene Lama-Drama „Kundun“, die ebenso kryptische wie belanglose Rettungssanitäter-Mär „Bringing Out The Dead“, alle machen sie klar, dass Scorsese schon lange filmisch nichts mehr riskiert, keine Geschichten mehr zu erzählen hat, die wirklich berühren, der künstlerische Offenbarungseid kurz bevorsteht.
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Kundun
Ein kleiner Junge aus ärmlichen Verhältnissen, der zum politischen und geistigen Oberhaupt seines Volkes wird. Das ist nicht etwa ein Märchen der Gebrüder Grimm, sondern die Geschichte des 14. Dalai Lamas, die Martin Scorsese jetzt verfilmt hat. Sein bildgewaltiges und farbenfrohes Spektakel ließ er mit wunderbar sphärischer Musik des britischen Neo-Klassikers Philipp Glass unterlegen. Als Schauspieler wurden fast ausschließlich Exil-Tibeter verpflichtet, die diesem Werk durch deren persönliche Bindung zum Dalai Lama und zur Geschichte ihres Volkes auf beeindruckende Weise Authentizität verleihen. Damit ist ein zwei Stunden und 22minütiges Epos entstanden, das ganz in der Tradition von „Der letzte Kaiser“ oder „Ghandi“ steht.
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