Bleibt am Fließen
Einer der weiteren gelungenen Versuche, Beats und Sounds zu abstrahieren, läßt sich auf Funki Porcinis Langspielplatte ‚Hed Phone Sex‘ finden. Wie Funki selbst erklärt, ist bei seiner Arbeitsweise der Beat das Kernstück, und der soll sinnlich klingen. Die meist ambient-artigen Klanglandschaften, die dann um diesen Kern gewebt werden, klingen dazu seltsam belebt – wie eine Mischform aus Kriechtier und Insekt etwa.
Fasziniert hat mich an der Platte nicht nur das großartige Ergebnis selbst, sondern auch, daß Funki Porcini damit etwas erreicht hat, woran die vielgehypten Future Sound Of London schon seit Jahren basteln.
Ausschlaggebend dafür könnte sein, daß ‚Hed Phone Sex‘ völlig unangestrengt klingt. Die verschiedenen Stile, aus denen das Netz um die Beats besteht, scheinen gerade zufällig aus Funkis Erinnerung abgerufen worden zu sein. Damit werden sie zum kategorielosen Sound, und müssen nicht wie bei vielen anderen Produktionen einen gewissen Stil repräsentieren.
Und so kann ‚Hed Phone Sex‘ einfach subtile, erotische Musik sein. Sie sollte im Liegen gehört werden, dann können sich diese Klänge am besten im Zimmer ausbreiten. Egal, ob sie zum Entspannen gebraucht werden oder jemand damit allein oder zu zweit aktiv werden möchte. Völlig unnötige Albernheiten auf dem Cover wie schmierige Slogans oder die Sex-als-Las Vegas- Gestaltung haben mich zunächst geärgert, doch Funki erläutert entschuldigend:
‚Es sollte einfach ein Spaß sein. Denn ich mag den Gedanken, daß Du eine Platte kaufst und beim Öffnen des Covers das Gefühl hast, kleine Spielzeuge vor Dir zu haben. Genau das findest Du bei mir: kleine, spielzeugartige Stückchen Information. Gegenüber dem, was ich tue, möchte ich nicht so ernsthaft eingestellt sein, denn letztlich ist es Popmusik. Beim Musikmachen kann ich sehr ernsthaft werden, in dem Sinn, daß ich soviel wie möglich von mir selbst reinstecken möchte. Doch am Ende ist es nur eine Schallplatte‘.
Womit ja auch die Unangestrengtheit dieser Musik erklärt ist. Bleibt noch ihr letzter grundlegender Aspekt, und das ist ihre Bewegung. Langsam nach vorne gleitet sie, wobei sie nach allen Richtungen Ausschau hält, wohin es denn weitergehen kann. Eine Parallele dazu läßt sich in Funkis Lebenslauf finden, der markiert ist von Stationen in allen Himmelsrichtungen. Funki dazu:
‚Ja, vielleicht läßt sich dieser Vergleich anstellen. Hier ein paar Dinge aufnehmen, dort ein paar Dinge aufnehmen. Du bleibst am Fließen.‘
Aufgewachsen in England, geht er mit 19 nach L.A., wo er sich von Warhols Film-Regisseur Paul Morissey auf Parties mitnehmen läßt. Als er davon genug hat, beschließt er nach Seattle weiterzuziehen, schafft es aber nur bis San Francisco, zu jener Zeit eine Hochburg der Industrial-Szene. In dieser bewegt er sich, läßt sich beeinflussen von den Residents, Monte Cazazza, den frühen Tuxedomoon und Survival Research Laboratories, die riesige ferngesteuerte Maschinen bauen. Daraufhin kehrt er kurz nach England zurück, und nach einem ebenso knapp bemessenen Aufenthalt in Berlin entscheidet er sich für Italien. Von dort ist er erst letztes Jahr nach England zurückgekehrt. Im Haus seiner Eltern hat er sich sein eigenes Studio gebaut, indem er eigenhändig alle Parts von ‚Hed Phone Sex‘- bis auf ein Orgel- Solo – eingespielt und produziert hat.
Am nachhaltigsten geprägt hat ihn anscheinend die Film-Szene in Los Angeles. Auf die Frage, ob er beim Musikmachen einen bestimmten Sound im Kopf hat, den er erreichen möchte, erwidert er:
‚Nein, ich habe Bilder in meinem Kopf. Es passiert wirklich größtenteils mit Bildern. Wenn ich ein Stück beginne, ist seine Konzeption zunächst visuell.‘
Unter dem Namen Pear hat er eine Ambient-Platte veröffentlicht, die solches Arbeiten auf den Punkt bringt. Mit 20 Leuten sind sie da die Themse hinaufgefahren, und haben versucht, die Eindrücke in Sound umzusetzen. Auch ist das Filmhafte für Funki zentrales Element in der Musik, die ich mal als Abstract Hop bezeichnen möchte. Mit dem Erfolg von DJ Shadow, DJ Krush, den Labels Mo‘ Wax und Ninja Tune sieht er eine Erweiterung des Begriffes ‚Popmusik‘.
‚An der Musik selbst ist nichts wirklich neu. Neu ist, was als Musik akzeptiert wird. Die Leute hören sich jetzt eine Platte an, die wie ein Filmsoundtrack klingt, ohne zu denken, daß es ein Soundtrack ist. Vor zehn Jahren wäre der erste Gedanke gewesen: „Oh, es ist ein Soundtrack“.‘
Da sich in den letzten Jahren in England eine Szene gebildet hat , deren musikalische Herangehensweise auf eben jener Idee des Soundtracks ohne Film aufbaut, entschloß sich Funki dann im letzten Jahr zur Rückkehr. Zwar genoß er in Italien ein ausgeruhtes Leben, doch war ihm dort nach zehn Jahren der Raum für musikalisches Experimentieren zu klein. Jetzt stimmt das Umfeld wieder:
‚Es gibt ein großes Gemeinschaftsgefühl. Es gibt viele Leute, die Musik machen und eine große Menge Dope rauchen- für Leute, die eine große Menge Dope rauchen. Dadurch sind die Beats so langsam geworden; die Leute wollen ausruhen. Und je filmischer es ist, je mehr es nach Experience klingt, desto besser.
Dazu gibt es im ganzen Land Leute, die Veranstaltungen organisieren. Dort siehst Du dann immer wieder die gleichen Leute und lernst sie kennen.‘
Weiteren Auftrieb erhält dieser Szenegedanke durch die Situation der britischen Musikindustrie. ‚Die Musikindustrie ist gerade völlig auseinandergesprengt worden. Sie hat ihre Selbstidentität verloren und weiß selbst nicht mehr, wie es weitergeht. Das ist gut so, das ist eine sehr gesunde Situation. Solche Perioden dauern nicht lange, und bald schon werden wir eine neue Struktur haben, an die wir gebunden sind. Doch zur Zeit ist das Geschehen sehr aufregend, und es macht Spaß, daran teilzunehmen.‘
Diese neue Gebundenheit in Form eines MTV-kompatiblen Trends könnte angesichts der derzeitigen Selbstbezogenheit der britischen Medien-und Musikszene schneller da sein, als irgendjemandem lieb sein kann. Ich jedenfalls befürchte schon , daß die Szene als ‚typisch britisch‘ deklariert , aus diesem üblen Grund entdeckt und als Abgrenzung zum Ami-HipHop gefeiert wird. Das ist genau der Mechanismus der britischen Musikpresse im Zeitalter nach Grunge – hohle Britishness siegt. Schon mal Menswear gehört? Aber wer weiß, wo Funki bis dahin angelangt ist. Seine letzten Tracks beschreibt er als ’schnelle, verrückte Beats‘, doch zu erst mal plant er eine Tour. ‚Es soll ein 90-minütiges Video werden, bei dem Bilder und Musik synchron ablaufen werden. Sehr aufreibend wird es, und der passende Platz dafür ist im Theater.‘