Frisco so far
Mike Lehecka im Gespröch mit Benjii Simmersbach und Pat Ryan
Hinter-Net!: Laß uns doch am Anfang ein bißchen über Eure Familie und die Ursprünge der Band reden. Laut Info habt Ihr Euch am Bard College im Staat New York getroffen. Ist das richtig?
Benjii Simmersbach: Ja, das war ’86 oder ’87. Lang ist’s her.
Hinter-Net!: Habt Ihr zu der Zeit studiert?
B.S.: Pat Ryan (Gesang), mein Bruder Christopher (Gitarre) und Analucia da Silva (Gesang) waren dort Studenten. Sie haben die Band gegründet, mein Bruder Patrick (Gitarre) und ich sind ein Jahr später in Philadelphia dazugekommen.
Hinter-Net!: Und von dort ging es nach San Francisco?
B.S.: Ja, nachdem wir ein bißchen zu oft ausgeraubt wurden, sind wir nach San Francisco gezogen. Philadelphia war ’ne harte Stadt damals, aber es war trotzdem okay, dort zu leben. Wir hatten unsere ersten Jobs nach dem College, wenig Geld und die Mieten waren günstig in Philly. Aber seit ’88 leben wir in San Francisco.
Hinter-Net!: Ihr seid ja bekannt als eine Band, die immer auf Achse ist.
B.S.: Seit drei Jahren touren wir in Europa, fast nonstop, d.h. neun Monate pro Jahr.
Hinter-Net!: Und wenn Ihr in Frisco seid, dann wohnt Ihr zusammen?
B.S.: Heute nicht mehr. Früher war das so, aber das hatte eher finanzielle Gründe. Um die Band überhaupt am Leben zu halten, mußten wir zusammen wohnen. Heute wohnen einige von uns alleine, einige noch zusammen.
Hinter-Net!: Ist das nicht hart, in einer Band zu spielen und gemeinsam zu wohnen?
B.S.: Ich denke, es war eine tolle Erfahrung, alles in allem. Wir haben eine Menge gelernt, z.B. uns aufeinander zu verlassen und einander zu helfen. Wenn einer mal arbeitslos war, dann ist eben ein anderer eingesprungen und hat die Miete bezahlt. In Amerika gibt es eine Menge Bands, die so leben, gerade in den Anfangszeiten und es ist nicht das schlechteste für eine Gruppe.
Hinter-Net!: Was hältst Du von San Francisco, ist die Szene da wirklich so offen, das Musikerdasein so angenehm?
B.S.: Ich persönlich mag San Francisco, und was die Musikszene angeht, ist es wirklich eine tolle Stadt. Es ist eine gutes Pflaster für Künstler, für Musiker, aber ich würde es auch nicht in den Himmel loben. Ich möchte mich über keine amerikanische Stadt derart überschwenglich äußern, aus politischen Gründen. Die allseits bekannten Erscheinungen … die Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit. Kalifornien und San Francisco haben ihre guten Seiten, aber eben auch ihre schlechten.
Hinter-Net!: Ist es angenehm, in Europa zu touren und diesen negativen Dingen eine Weile nicht mehr ausgesetzt zu sein ?
B.S.: Der Hauptgrund, warum wir so ausgedehnt in Europa unterwegs sind, ist die Tatsache, daß wir in den Staaten schon alles gesehen haben, ich meine, wir haben überall gespielt. Es war ’ne klasse Sache, aber wir mußten mal was anderes machen. Im März werden wir übrigens wieder durch die USA touren. Die Europa-Tournee war eine großartige Erfahrung. In Europa als Band finanziell zu überleben ist viel einfacher als in Amerika.
Hinter-Net!: Wie beurteilst Du speziell das deutsche Publikum?
B.S.: Ich denke, das deutsche Publikum ist dem amerikanischen sehr ähnlich. Beide haben gleich viel musikalischen Sachverstand, wenn man es mal so ausdrücken will. Die Musikvielfalt ist in Deutschland allerdings etwas größer als in den USA. Ich meine damit die zahlreichen Bands aus völlig verschiedenen Stilrichtungen, die du auf deutschen Bühnen sehen kannst. Du hast die großen Shows und du hast all die kleinen Clubs, in denen man die Sachen aus dem Underground hören kann. Vielleicht liegt das daran, daß sich kleinere amerikanische Bands – so wie wir – Tourneen in Europa einfach eher leisten können als in Amerika.
Es gibt ja auch den Fall, daß Bands in Europa Erfolg haben und sich so erst die Möglichkeit eröffnen, in den Staaten zu spielen und dort bekannter zu werden. Vic Chesnutt ist dafür ein Beispiel.
Hinter-Net!: Du bist ja in Deutschland geboren. Wo genau?
B.S.: In München. Aber in der Fremde großgeworden, sozusagen. Ich habe die ersten 13 Jahre meines Lebens auf Reisen verbracht. Wir waren ständig unterwegs, in einer Art Kommune: meine Mutter, mein Stiefvater, Freunde von ihnen und fünf Kinder. Davon handelt ja auch der Dokumentarfilm „The Big Pink“, in dem meine Mutter im Mittelpunkt steht (entstanden 1995). Allerdings habe ich schon immer amerikanische Schulen besucht. Ich habe diesen typischen, wertlosen amerikanischen High-School-Abschluß; ich bin am College gelandet und kam so irgendwie nach Philadelphia. Bei Chris und Patrick, meinen Brüdern, war das ähnlich.
Hinter-Net!: Chris und Eure Sängerin Analucia haben zusammen ein Kind.
B.S.: Ja, einen Sohn, er heißt Cheyenne. Meine Mutter macht übrigens gerade einen zweiten Film, der „Rock, Baby, Rock“ heißen wird und von ihrem Leben als Cheyennes Babysitter auf unseren Tourneen handelt. Sie ist jetzt 55 Jahre alt und reist trotzdem seit drei Jahren mit uns und kümmert sich um den Kleinen. Dabei hat sie ständig gefilmt.
Hinter-Net!: Und wenn sie nicht mit auf Tour ist, lebt sie dann auch in San Francisco?
B.S.: Nein, (lacht), das wird dir gefallen: sie lebt in Pakistan, nahe der afghanischen Grenze. Mein Stiefvater arbeitet dort als Architekt. Meine Mutter kam aus Pakistan zu uns, um mit auf Tournee zu gehen. Roadmanager war übrigens meine Schwester, d.h. wir waren in den letzten drei Jahren quasi mit der gesamten Familie unterwegs. Es ist sehr angenehm, weißt du, es hilft dir, nicht diesem „I’m-on-the-road“-Klischee zu verfallen. Wir haben immer schon versucht, auf den Tourneen auch etwas für uns persönlich rauszuholen, etwas für unsere Interessen zu tun. Die Konzertreisen im Osten Europas haben wir vor allem deswegen gemacht, um uns in unserer freien Zeit das jeweilige Land anzusehen. Und das haben wir auch ausgiebig getan, wir waren in Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, der Slowakei und auch Rumänien.
Hinter-Net!: In Euren Texten habt Ihr Euch ja nie explizit auf Politik bezogen.
B.S.: Absolut richtig. Wir waren niemals „issue-oriented“ im politischen Bereich. Wir hatten und haben politische Ansichten und manche Songs geben diese Einstellungen auch wider, aber sie handeln nie von einem politischen Thema oder Schlagwort. Diese Songs reflektieren unsere Situation, unseren Weg durchs Leben, die Suche nach Antworten. Es geht mehr um: hey, wir sitzen alle im selben Boot, wir sind alle ein Teil der `subtle plague´ (vielleicht: ein Teil des schleichenden Zerfalls !?), wir leben in der Welt des westlichen Kapitalismus; es geht darum, was gut oder schlecht ist.
Hinter-Net!: Laß uns mal über Euer aktuelles Album „Hung to dry“ sprechen. Ich hoffe, ich trete jetzt nicht in ein Fettnäpfchen, aber speziell wenn ich mir den Gesang von Pat und Analucia anhöre, fallen mir immer wieder Ähnlichkeiten mit den frühen Platten der Band „X“ auf.
B.S.: Das hören wir des öfteren, ich meine: für uns ist das ein großes Kompliment.
Hinter-Net!: So ist es auch gemeint. Wie hat sich deiner Meinung nach Euer Stil im Laufe der Jahre verändert ?
B.S.: Als wir angefangen haben, konnten wir eigentlich unsere Instrumente noch gar nicht spielen. Wir hatten als Musiker keine große Erfahrung, aber wie so oft in den Achtzigern kamen einfach ein paar Leute zusammen, gründeten eine Band und hatten eine Woche später ihren ersten Auftritt. So war das auch bei uns. Das ist eins der guten Phänomene aus den Achtzigern.
Eigentlich war jede unserer Platten total anders. Bei unserer aktuellen CD hatten wir eine neue, veränderte Herangehensweise an die Songs, wir haben Material benutzt, das wir zuvor auf den Tourneen geschrieben haben, mit akustischer Gitarre in Hotelzimmern, wie das eben so abläuft auf einer Tour. Ich denke, dieses Album ist eher songorientiert, während frühere Platten eine Menge Material verschiedenster Art einfach unverbunden nebeneinander präsentiert haben.
Hinter-Net!: Und Ihr habt einen neuen Schlagzeuger, Tod Preuss, der wirklich klasse ist. Er spielt sehr kraftvoll, sehr aggressiv.
B.S.: Absolut richtig, und sein Stil paßt zu dem neuen Songmaterial. Sein Spiel gibt dem ganzen einen enormen Kick, und das mag ich sehr. Daß die neue Platte so energiegeladen und aggressiv klingt, ist natürlich auch unserem Produzenten David Weber zu verdanken. Wir hatten das in der Deutlichkeit gar nicht erwartet, ich meine, beim Schreiben der Songs war uns nicht klar, daß das Album darauf hinauslaufen wird. Wir waren selbst ein wenig überrascht, aber wir finden es toll.
Hinter-Net!: Was ich besonders mag, ist die Tatsache, daß Ihr ein Album gemacht habt, das, sagen wir mal, Punkrock in einem weit gefaßten Sinn ist und dennoch nicht retro klingt. Es hat nichts von dieser Green-Day-Nostalgie, die ja irgendwie peinlich ist.
B.S.: Wir wollten nie so klingen wie, naja, die „großen Vorbilder“; wir wollten nicht so sein wie Soundgarden, Nirvana oder früher: wie Black Flag. Alle in unserer Band haben ihren spezifischen Background, das hat auch mit der Herkunft zu tun, Europa, Afrika. Deshalb ist in unserer Musik auch immer etwas enthalten, was ganz speziell für A Subtle Plague ist. Ich glaube nicht, daß wir z.B. in der Lage wären, einen typischen „straight-forward-Green-Day-Song“ zu schreiben, es wäre immer etwas für uns Spezifisches mitenthalten.
Hinter-Net!: Auf der anderen Seiten muß ich sagen, daß „Hung to dry“ auch sehr amerikanisch klingt.
B.S.: Ja, stimmt. Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, schließlich haben wir die meisten Jahre unseres Lebens in Amerika verbracht. Wenn du dir unsere erste Platte anhörst, dann klingt das nach `Die Simmersbach-Brüder sind gerade in den USA angekommen´, eine Art Europa-Amerika-Fusions-Musik. Das hat sich verändert, nicht zuletzt deswegen, weil wir auch immer Fans von US-amerikanischem Underground waren, dieser Stil hat uns natürlich enorm beeinflußt.
Hinter-Net!: Ein Song interessiert mich besonders, gerade auch wegen des Textes: „It’s the government“. Fängt an wie ein politischer Song und wird dann doch zu einem sehr persönlich gefärbten Stück, spätestens dann, wenn Analucias Gesang einsetzt. Kannst Du mir dazu etwas mehr erzählen ?
B.S.: Das kann Pat Ryan am besten, der hat diesen Text nämlich geschrieben und sitzt gerade neben mir. Ich geb den Hörer mal weiter.
Pat Ryan: Ich denke, es ist eigentlich ein Liebeslied, aber eines, das eingebettet ist in einen Kontext, der von Skepsis gegenüber der politischen Situation geprägt ist, von Verschwörungstheorien bzw. von der Angst vor solchen Zuständen. Ich hoffe, daß auch die ironische, die humorvolle Komponente dieses Stückes irgenwie rüberkommt. Du denkst, hoppla, da geht’s um Verschwörung, um finstere Zustände, die irgend etwas mit der Regierung zu tun haben, aber im Grunde geht’s nur um eine Frau.
Hinter-Net!: Deine und Analucias Stimme passen wunderbar zueinander, Ihr harmoniert sehr gut.
Pat Ryan: Daran haben wir auch hart gearbeitet. Zum ersten Mal in unserer Bandkarriere haben wir intensiven Gesangsunterricht genommen, das hat eine Menge gebracht.
Hinter-Net!: Ihr habt auf der neuen CD „Hung to dry“ vier Coverversionen, alle sind rein akustisch arrangiert. Werdet Ihr die auch live auf Eurer Deutschlandtour im Herbst spielen ?
B.S.: Wir möchten etwas davon spielen, aber so ganz klar ist das noch nicht. Den Song von Daniel Johnson, „Devil Town“, haben wir bisher immer als Notnagel benutzt, wenn auf der Bühne eine Gitarrensaite gerissen ist oder so was ähnliches. Pat und Analucia haben dann eine A-Capella-Version gesungen, was auch wirklich nötig war, denn bislang waren wir immer ohne Roadies unterwegs und so mußten wir unsere Saiten eben selbst aufziehen. Als das neue Album dann im Kasten war, kamen wir auf die Idee, „Devil Town“ mit akustischer Gitarre aufzunehmen. Ein Take und fertig war der Song.
Hinter-Net!: Habt Ihr das Stück immer noch auf der Liste, falls auf der Bühne was schiefgeht?
B.S.: Ja klar, (lacht), im Unglücksfall: Devil Town. Vielleicht sollten wir den Song „Devil Stage“ nennen. (Fängt an zu singen): „I was playing on the devil stage, broke my strings and then went stray“.
Hinter-Net!: Ihr habt auch ein Stück von Slovenly gecovert, „Emma“.
B.S.: Eine phantastische Band. Wir sind eng befreundet und haben schon ’ne Menge Konzerte mit ihnen zusammen gespielt. Als wir nach San Francisco gezogen sind, war die Tatsache, daß Slovenly da lebten und arbeiteten, mit ein Grund für unsere Entscheidung. In San Francisco angekommen, mußten wir feststellen, daß sie sich kurz zuvor aufgelöst hatten. Wir traten dann bei einem Reunion-Konzert mit ihnen auf. Es sollte eigentlich eine einmalige Sache bleiben, aber dann kam die zweite, dann die dritte und irgendwann die vierte Reunion-Show, und so beschlossen sie weiterzumachen und haben auch wieder ein Album aufgenommen.