Neal Stephenson: Snow Crash

Prolog:
Zehn Jahre ist es nun her, seit der Cyperspace das virtuelle Licht der Welt erblickt hat. Seitdem geistern künstliche, kybernetische Welten in den Köpfen von Lesern und Autoren. William Gibsons Kopfgeburt eines deus ex machina verbindet Philosophie und Technik, Rationalismus und Emotionalität, letztlich Realität und Fiktion. Cyberspace ist die fiktionalisierte Realität eines realen Wunsches nach einer Welt, nicht jenseits unserer, sondern parallel dazu, gekoppelt an die Möglichkeit, die eigene Psyche mit einer zweiten Wunsch-Identität zu versehen und darin zu agieren. Was die Technik heute mit Mind-Machines, Kontaktanzügen und Interface gesteuerten Hilfsmitteln zur Genitalstimulation bietet, ist von Gibsons Cyberspace Vision allerdings noch so weit entfernt, wie ein Faustkeil vom Schweizer Offiziersmesser.

Neal Stephenson, einigen bekannt durch seinen Öko-Thriller „Zodiac“ (dt. „Volles Rohr“) hat sich auch in die virtuelle Wirklichkeit gestürzt und einen Roman vorgelegt, den die Creme de la Creme der Drogen- und Chip- Visionäre Timothy Leary, Rudi Rucker und William Gibson himself als Klappentextautoren zusammengefaßt als eine ’sauschnelle, hyperrealistische Mischung aus Gibsons „Neuromancer“ und Pynchons „Vineland“‚ verstehen, kurzum ein Buch für das nächste Jahrtausend. Erhältlich allerdings schon in diesem Jahrtausend und intern zurückgreifend auf das erste und zweite Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung.

Stephenson als Autor für das electronic cult magazin WIRED erweist sich als Pragmatiker. War Gibsons Cyberspace die zukunftsweisende DS 21 mit Einspeichenlenkrad, hydropneumatischem Federwerk und Rollentacho, dann ist Stephensons Version davon, die er Metaversum nennt, ein solider, einfach zu durchschauender 1200er VW mit robustem Motor und Chassis. Aber der läuft und läuft und läuft. Und das ist notwendig, denn das Metaversum ist eine gigantische Software, die eine computersimulierte Darstellung eines unendlichen Straßennetzes mit Gebäuden und einer öffentlichen Straßenbahn, in der sich jeder mittels einer Software, die die eigene Person darstellt von öffentlichen Terminals oder vom heimischen Rechner aus einloggen kann. Je nach dem, wieviel Geld man für seinen Avatar, so heißen die virtuellen alter ego, abdrückt, so sieht man auch im Metaversum aus. Dort wirkt alles recht durchschaubar, geordnet und funktional, was dem genauen Gegenteil der Wirklichkeit entspricht, denn die USA sind in Folge der um sich greifenden Privatisierung in eine Vielzahl kleiner Stadtstaaten, sog. Burbclaves, zerfallen, genauso wie die Armee, die in breites Spektrum privater Sicherheitsdienste übergegangen ist. Hiro Protagonist, die Hauptfigur ist, wie sollte es anders sein, Hacker und mäßiger Pizza Lieferant. Über seinen Freund Da5id (kein Tippfehler), der ein Opfer von Snow Crash, einer Substanz zwischen Virus und Droge geworden ist stolpert Hiro Protagonist in eine Verschwörung, deren geistiger Vater tatsächlich Thomas Pynchon gewesen sein könnte.

So schnell wie die Klappentexte verheißen kommt Stephenson allerdings nicht zu Potte. Die Warmlaufphase dauert etwa fünfzig Seiten, bis Stephensons VW richtig in die Gänge kommt und Hiro Protagonist seinen Job als Pizza- „Auslieferator“ hinter sich gebracht hat, dann läuft das Ding über die nächsten 480 Seiten. Bei weitem nicht so elegant wie Pynchon und längst nicht so visionär wie Gibson bietet „Snow Crash“ dennoch einen gelungenen Plot und genügend Action, daß es für eine Schwarzenegger Verfilmung ausreichen sollte.

Neal Stephenson
SNOW CRASH
Goldmann 20,- DM
ISBN 3-442-42450-X
bzw.
Goldmann 14,- DM

Neal Stephenson,
wurde1959 in Maryland USA geboren. Er ist in Iowa aufgewachsen und studierte in Boston. Neben seiner Tätigkeit als Romanautor schreibt er für das amerikanische Computer und VR Magazin WIRED. „Snow Crash“ ist sein zweiter Roman, der in deutscher Sprache erschien. Der erste ist ein Öko-Thriller mit dem Titel „Zodiac“ (dt. „Volles Rohr“).

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