Fred Konkret (1)

Nichts Neues von der Insel-Na und?!

Mangelnder Einfallsreichtum und Eigenbrödlertum- so wird die Musikkultur Großbritanniens in der deutschen Musikpresse oftmals stigmatisiert und kritisiert. Ist diese Art Allergie deutscher Rezensenten auf den englischen Musikmarkt die Folge amerikanischer Indoktrinierung während der Besatzungszeit? Ist dieses sich Wehren gegen den Einfluß der Popkultur schlechthin ein Unverständnis für eine Tradition weil man in Deutschland selbst keine große Pop-Tradition vorzuweisen hat? Fred Scholl geht dem Phänomen auf den Grund.

Es ist schon bemerkenswert mit welcher Beharrlichkeit die britische Medienwelt ihre eigenen Gewächse hochjubelt und wieder zerstört. Eine Unart, die man nirgendwo so stark beobachten kann, wie auf der Insel. Manch einer wird sich fragen: „Wozu überhaupt der Hype? Die Bands hören sich doch alle gleich an!“ Diese Stereotypisierung kann man verstehen, denn wer sich mit einer Musikrichtung nicht auseinandersetzen will, der kann dieses Urteil über jeden erdenklichen Musikstil im Bereich der Populärmusik fällen: Heavy Metal, Funk, House, Techno, Jungle, Crossover, Pop, Soul etc… Da klingt doch jede Band in ihrer Disziplin ähnlich! Bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise kann man dieser Aussage zustimmen.

Doch was definiert einen Stil überhaupt? Ein gemeinsamer Nenner von Charakteristika, die vorhanden sein müssen um einen Wiedererkennungswert beim Hörer hervorzurufen. Wenn diese Definition zutreffen soll, dann ist Britpop weit von einem einheitlichen Stil entfernt. Was haben Bands wie Blur, Oasis und Elastica schon gemeinsam? Sie kommen alle aus dem gleichen Land, sie sind – wenn auch jede Band auf ihre Weise Retro – und machen Popmusik mit Gitarren und Schlagzeug in der Tradition ihrer Vorbilder. Ja, sie sind sich sogar nicht zu schade, diese in jedem Interview zu benennen und geben zu von ihnen geklaut zu haben. Oasis bekennen sich zu den Beatles, bedienen sich der Riffs von Slade, Gary Glitter und Stevie Wonder, vermerken dies sogar auf ihren CD-Hüllen. Elastica klauen fast ganze Wire-Songs und recyclen die Stranglers. Blur fröhnen den Small Faces, den Kinks, dem jungen Bowie und vielen anderen in der Mod-Szene hochgeschätzten Bands. Kurz sie sind alle traditionell, konventionell und recyclen vorhandenes Material.

Warum regen sich darüber einige Leute so sehr auf? Schließlich geht das Recyclen bei jeder Hip-Hop-Band als gängiges Stilmittel in Ordnung und bei Techno scheint ja alles sooo neu zu sein, vor allem der 4/4-Beat in jeder erdenklichen Geschwindigkeit.

Die Krönung ist natürlich, wenn selbsternannte Intellektuelle sich anmaßen, Bands wie Oasis mangelnden Intellekt vorzuwerfen, weil deren Songtexte („Whatever“) nur allzu dümmlich ausfallen würden. Wenn man diesen Vorwurf als Meßlatte für „gute oder schlechte“ Musik nimmt, dann sind die frühen Beatles so ziemlich die peinlichste Dümmlichkeit.

Das Amüsante an der Story, die ich hier nur andeuten will, ist die Kluft, die zwischen den Schreiberlingen der Intelligenzpostille und den Lesern des trendsettenden Mags herrscht, haben diese tatsächlich „Wonderwall“ unter die ersten im diesjährigen Poll in der Sparte „Beste Single des Jahres“ gewählt, und Blur waren mit „Countryhouse“ auch noch auf Platz Nr.1. Letztes Jahr bedankte sich die Redaktion des Kölner Musikmagazins sogar bei ihren Lesern, daß diese keinen einzigen Britpoptitel in den Poll gewählt hatten, da diese Musikrichtung doch allzu langweilig sei. In der letzten Ausgabe wird dann alles vorher Geschriebene ad absurdum geführt, steht in der Columne „Wasteland“ :“Eine bessere Pop-Single als „Wonderwall“ hat in diesem Jahr ja auch noch keiner gemacht…“ aha!.

Der Grund warum eine Band wie Blumfeld in England Erfolg hat liegt bestimmt nicht in der linguistischen und poetischen Qualität Distelmeyerscher Texte begründet, sondern darin, daß die Musik eingängig und teilweise sehr poppig daherkommt. Der Garant für internationalen Erfolg ist halt immer noch ein hitverdächtiger Song, ob Teile davon geklaut sind oder nicht. Das clevere Zusammenfügen altbekannter Teile ist die Anforderung an den Künstler von heute, will er in unserer schnellebigen Popkultur der 90er eine reelle Chance haben.

Die Frage warum gerade in Deutschland die britische Popmusik nur langsam ihren Siegeszug antritt wird damit nicht beantwortet, im Gegenteil: Es scheint geradezu grotesk, wenn die Alten, die früher auf Beatles ausgeflippt sind, heuzutage lieber Pur als Oasis hören. Für diese Generation ist das Britpop-Ding wohl auch nur eine schlechte Beatles-Kopie – dann doch lieber gleich zu den Originalen greifen. Die Youngsters ziehen sich lieber was Toughes rein, Crossover oder die zehnte Punkwelle – schließlich fehlt es diesem zuckersüßen Popschmalz an Credibility. Das finden zum Teil sogar die Girlies, die als Freundin eines pickeligen Möchtegern-Harten auch der krachigen Mucke fröhnen (müssen). Oder sich den Backstreet Boys hingeben.

Wer hat denn nun „Wonderwall“ in Deutschland gekauft? Ich verdächtige die Twens der intellektuellen Schicht, und wenn es doch nur zum Spülen taugt und nicht zur Auseinandersetzung mit der Syntax, Semantik und Morphologie. In der Zeit mangelnder Gefühlsbereitschaft hört sich wahrscheinlich der ein oder andere Headbanger auch mal ’ne Britpop-Nummer an, erst recht wo Metallicas Lars Ulrich sich dazu bekannt hat, beinharter Oasis-Fan zu sein und selbst mit seiner Band der leichten Muse eine Chance gibt.

Der größte gemeinsame Nenner britischer Popmusik ist die positive Ausstrahlung die von ihr ausgeht – positiv im Sinne von beschwingt und heiter. Das paßt nun überhaupt nicht zum Klima des Landes, dem man nachsagt, die Sonne scheine dort nur zwei Monate im Jahr. Demnach müßten dort die Leute allesamt mürrisch durch die Gegend laufen. Aber wer einmal eine längere Zeit in Großbritannien verbracht hat, der kann nachvollziehen, daß sich die Gegensätze wunderbar ergänzen. In den englischen Studentenclubs wird noch richtig getanzt und es steht keiner mit finsterer Miene in der Ecke rum und schüttelt den Kopf heftig auf und ab – was man hierzulande als „moshen“ bezeichnet. Darüber hinaus sind die Engländer noch richtig stolz auf ihre Bands. Dies konnte man Tony Blair anmerken, als er während den Brit-Awards (die Medienpreisverleihung im Vereinigten Königreich) die Laudatio für David Bowie hielt. Das Gleiche gilt für Deutschland, ich erinnere nur an die Verleihung der Goldenen Europa (eine der Medienpreisverleihungen in Gud Old Tschärmanie). Manfred Sexauers Augen glänzten vor Freude als er einst die Scorpions für ihren Verdienst um das DEUTSCHE LIEDGUT auszeichnen durfte, zumal die Scorpions der Archetyp deutscher Musik sein dürften.

Jetzt mal ehrlich – die Amerikaner dürfen stolz darauf sein, was sie in Deutschland erreicht haben: Die Infiltrierung der deutschen Musikszene mit all dem was als Soundtrack für ihren Burger herhalten darf. Die Engländer sind noch am arbeiten, aber im Vormarsch begriffen. Schon wirbt die Sportschau mit einem Drum & Bass-Jingle.

Die Deutschen wehren sich und schlagen zurück mit deutschsprachigem Rap, auch eine urdeutsche Erfindung, die aus den Ghettos von Mühlhausen herrührt. Der Leser wird sich jetzt fragen, „Was hat dies mit Britischer Popmusik zu tun?“ Ganz einfach: Ich sehe diese Musik als die konsequente Verfolgung der englischen Tradition, Popmusik in ihrer beatleesken Variante zu zelebrieren. Dies können die Staaten mit ihrem Rock´n´Roll auch behaupten, aber es bleibt das Problem der Deutschen, daß Ernst Mosch, Margot und Maria Hellwig und Heino immer noch der erfolgreichste Export ins Ausland ist. Nichts Neues von der Insel – Na und?!

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