Swell: Too Many Days Without Thinking

Raum
Um ihr viertes Album aufzunehmen, haben Swell das Haus mit der Nr. 41 in San Francisco verlassen. Bei Swell wohl eine sehr bewußte Entscheidung, denn keine andere Band stellte den Aufnahmeort so in den Vordergrund. Der Raum wurde als natürlicher Resonanzkörper verstanden, der den eigenen Sound der Band schuf. Als Zuhörer konnte man sich der Musik von Swell sehr nahe fühlen. Man befand sich im gleichen Raum. Dieser Eindruck wurde durch die Aufnahmen mit einem Mikrofon, welches die Band einfach aus dem Fenster hing noch verstärkt. Ein Bus hielt vor der Tür, Leute stiegen aus und redeten, Autos fuhren vorbei und Swell begann zu spielen. Ich stellte mir vor in einer Ecke zu sitzen und zuzuhören.

Klang
Und doch klang die Musik wie zufällig vom Wind vorbeigetragen oder eben Lo-Fi. Selbst die Gitarren klingen wie vom Rhythmus des Windes gespielt, verträumt und doch fordernd; das Schlagzeug nimmt viel Platz ein, spielt selbstvergessen, virtuos und immer nahe an der Melodie; der Gesang entspannt, zurückgelehnt. Und immer funktionierte die Musik erst durch die komplette Albumlänge. Einzelne Titel hervorzuheben macht keinen Sinn. Sich tragen lassen, untergehen, die Augen schließen. Bei den ersten drei Alben von Swell Bezugspunkte zu finden ist schwer und man tut Ihnen damit auch keinen Gefallen. Ich könnte jetzt von Folk-Rock schreiben, aber Swell haben Ihren eigenen Sound.

Unterwegs
Nun aber haben Swell sich auf die Reise gemacht, haben aufgenommen in L.A., Hollywood, New York und in San Francisco. Hört man die Platte in einem durch, schreckt man ein-, zweimal zusammen, so unterschiedlich ist der Sound allein schon durch die Lautstärke. Sie haben den einzelnen Song in den Mittelpunkt gestellt. So sehr, daß man glauben könnte, man hört eine Sammlung von Singles und deren B-Seiten, die Sie nie veröffentlicht haben. Überhaupt scheint es, als hätten Swell das Format Single/Pop Song für sich entdeckt. Richtige Hits sind entstanden wie z.B. „Fuck Even Flow“ oder „At Lennie’s“ und plötzlich erkennt man auch Bezugspunkte zum noch trockenen Glam-Rock des frühen Bowie zur Zeit von „The Man Who Sold The World“. Die einzelnen Songs wurden auch griffiger, gehen mehr nach vorne und leben mehr vom Wechselspiel zwischen Strophe und Refrain. Dazwischen lassen sich Swell immer noch treiben von ihrem eigenen Spiel, die Musik beginnt zu schweben. Die atmosphärische Dichte der ersten drei Alben ist fast ganz verschwunden und damit auch die melancholische Grundstimmung, die die einen liebten und die anderen als langweilig interpretierten. Jetzt aber mit dem richtigen Video auf MTV steht der Erfolg vor der Tür, die Swell bewußt geöffnet haben.

Swell: Too Many Days Without Thinking
(Beggars Banquet/Rough Trade)

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