Dieter Paul Rudolphs Inselplatten

Joni Mitchell: Hejira (1976)

Konzeptalben gehörten zu den schlimmsten Heimsuchungen der 70er, wenn ein schlichtes Gemüt tiefgründig über ein schlichtes Thema brütete und dem so erhitzten Ei dann doch nur der übliche Rührkuchen entfleuchte. Joni Mitchells „Hejira“ ist ein Konzeptalbum – aber eines, das sich seinem Gegenstand auf vielfältige Weise nähert, sowohl textlich als auch musikalisch. Es geht, verkürzt gesagt, um Heimatlosigkeit, ums Herumirren, um schwache Männer und schwache Frauen.

Musikalisch knüpft Joni an ihr 75er Album „The Hissing Of Summer Lawns“ an (das ich auch hier hätte aufnehmen können – aber zugunsten der Maxime, nur ein Werk pro Künstler zu berücksichtigen, schweren Herzens ignoriere). Und das heißt: eine Verarbeitung von Jazzeinflüssen (Jaco Pastorius am Baß, Larry Carlton an der E-Gitarre – aber auch Neil Young an der Mundharmonika!), ohne auf den Zug „Fusion“ oder das Triebwägelchen „Jazz-Rock“ zu hüpfen. Ganz ganz eigen, ganz Joni Mitchell, ganz große Klasse, eins der Alben der 70er, ach, was sag ich, eins der Alben überhaupt, und jetzt hör ich auf, bevor ich ins Schwärmen komme.

Steely Dan: The Royal Scam (1976)

Um sofort wieder ins Schwärmerische zu verfallen. Wie der Zufall halt so spielt: Auch „The Royal Scam“ ist ein 76er Werk, ein Konzeptalbum ebenfalls, so komplex und intelligent wie „Hejira“, und auch die Thematik ist eine ähnliche. Es geht um Emigration, ums Fremdsein, um Außenseiter – und wer bei Songs wie „Kid Charlemagne“ oder dem Titelstück nicht sofort zum Steely Dan-Anbeter wird, dem ist in diesem Leben nicht mehr zu helfen. Von der Qualität des Albums zeugt ein putziger Umstand. Der nämlich, daß ein Song in der Endauswahl nicht berücksichtigt wurde und erst später auf Kompilationen und der 4-CD-Werkschau „Citizen Steely Dan“ zu hören war: „Here At The Western World“. Tja, und dieser OUTTAKE allein ist allemal besser als 95 % dessen, mit dem man uns in den 70ern zugemüllt hat.

Laura Nyro: Eli And The 13th Confession (1967)

Was verbindet man mit dem Jahr 1967, wenn es um populäre Musik geht? Richtig – „Srgt. Pepper“ von den Beatles und „Smiley Smile“ von den Beach Boys. Alles ganz ordentlich. Wer aber mich fragt, welches Album des Jahres 1967 das epochalste war, der bekommt zur Antwort: Laura Nyro, Eli And The 13th Confession. Nicht nur, weil sich Bands wie Three Dog Night („Eli’s Comin“) und The Fifth Dimension („Stone Soul Picnic“) ihre Hits daraus gezogen haben, während Frau Nyro wieder einmal als Interpretin leer ausging, nein, nicht nur deswegen. Aber diese Melodien, diese raffinierten Tempowechsel, diese Mischung aus Doo Wop-Seligkeit und vertracktem Jazz – das war und ist einzigartig. Erwähnen wir ruhig, daß dies auch den Beginn dessen markierte, was man vielleicht als „eigenständige Musik von Frauen im Rock- und Popzirkus“ bezeichnen könnte. Laura war die Pionierin, die Großmeisterin – und die große Vergessene. Sie ist im April 1997 gestorben, und die meisten Blätter (etwa der doofe deutsche „Rolling Stone“) haben dem keine Zeile gewidmet („Spex“ immerhin brachte eine ganze Seite Nachruf – sofort abonnieren das Blatt!).

Edgar Winter: Entrance (1970)

Johnnys kleiner Bruder mit seinem Debüt. Ein Sänger, der wie Diana Ross singen kann, wenn die singen könnte. Ein Saxophonist, der dir das Gehirn rausbläst. Ein Komponist, der sich souverän durch sämtliche Genres bewegt. Kein Zweifel: „Entrance“ ist eine Talentprobe sondergleichen, mal Blues, mal Rock, mal Musical, mal Soul, mal … leider kam danach nicht mehr viel. Immerhin noch „Edgar Winter’s White Trash“, eine der fünf besten Livebands ever, und „Frankenstein“, der Monsterhit. Das Debüt hört man aber immer wieder gern.

Dregs: Unsung Heroes (1981)

Nie gehört, gelt? Die Band um Komponist und Gitarrist Steve Morse dürfte so in etwa das am meisten unterschätzte Ensemble der Rockgeschichte sein. Einmal, weil sie sich zwischen Hillbilly, Free Jazz und Klassik so ziemlich an allem vergriffen, aber auch, weil sie eine reine Instrumentalband waren, also keinen omnipräsenten Sänger mit ner Socke hinterm Hosenschlitz am Mikrophonständer reiben ließen. „Unsung Heroes“ zeigt das ganze Können der Band. Da pulst der Baß, die Geige jubelt, das Schlagzeug vibriert – und daß Morse der schnellste, einfallsreichste Gitarrist aller Zeiten ist, weiß der Kenner eh. Spielt übrigens heute bei Deep Purple, der gute Mann, denn mit den Dregs, die ihre Platten ansonsten als DIXIE Dregs veröffentlicht haben, war kein Dollar zu verdienen. Ewig schade.

Fairport Convention: Liege & Lief (1969)

Drei Alben veröffentlichte FC binnen dieses einen Jahres 69: „What We Did In Our Holidays“, „Unhalfbricking“ und eben „Liege & Lief“. Letztere gilt als die Geburtsstunde des britischen Folkrock, worüber man sich streiten könnte; nicht streiten kann man jedoch darüber, daß „Liege & Lief“ gleich zweierlei zeigt: den Genius von Richard Thompson und den von Sängerin Sandy Denny. Vor allem die beiden langen Balladen „Matty Groves“ und „Tam Lin“ werden geprägt von Richards Gitarrendrive und Sandys überirdischer Stimme – nicht zu vergessen den Rest der Band und – ganz wichtig – die pure Qualität der Songs. Stimmt einfach alles.

Laurie Anderson: Bright Red (1994)

Popmusik und hehre Kunst können einander befruchten – vorausgesetzt, man nimmt beide nicht allzu ernst. Laurie Anderson war längst eine etablierte Performancekünstlerin, als sie 1982 mit „Big Science“ ihr Debütalbum vorlegte, u.a. mit „O Superman“, einem Nummer 2 – Hit in Großbritannien, und wohl so ziemlich das Durchdachteste, was jemals durch die Türen der Charts geschlüpft ist. Es folgten weitere Platten von hoher Qualität, bevor mit „Bright Red“ Anderson ihre musikalische Entwicklung eines Jahrzwölfts zusammenfaßte. Eine düstere, nachdenkliche Platte, gewiß, aber eine mit literarischem Biß und genau kalkulierter Musik. „Speechless“, das Eröffnungsstück, ein Song mit magischem Drive, das Titelstück verblüffend in seinem Gesangsvortrag usw. Jeder Song ein Kunstwerk, das auf dem Boden geblieben ist.

Taste: On The Boards (1969)

Ich gebe zu: An diesem Album hängt das Herz eines inzwischen redlich gealterten Mannes, der sich an die erste große Liebe seines Musiklebens erinnert. Rory Gallagher, der irische Karohemdträger, „What’s Going On“, unzählige Male gedudelt, knackiger Bluesrock und angejazzte Saxophonstücke (ja, Rory blies auch das Saxophon bisweilen ganz ordentlich – jedenfalls in seiner Frühzeit). Es sind solche Platten, die der Frühreife braucht, um endlich von seiner elenden Beatles-Schwärmerei zu lassen. Sie öffnen neue Welten und bleiben wie Grenzsteine der Erinnerung in deinem Gedächtnis – hübsch gesagt, was?

David Lindley: El Rayo-X (1981)

Dem kleinen, wuseligen Meister der Slide-Gitarre ist es zu danken, daß heutzutage jede sich ankündigende Depression blitzschnell überwunden werden kann. Man legt einfach diese Platte auf, diesen fröhlichen Mix aus Reggae, Blues und Lateinamerika, und schon lacht das Herz. Eine frischere Version von „Twist & Shout“ wird man ebenso wenig anderswo hören wie eine versöhnlichere von „Don’t Look Back“. Tja, und wenn der David dann seine Slide auspackt („Mercury Blues“), jubelt das Gemüt, und der Verstand tanzt dazu. Hat noch weitere schöne Soloplatten abgeliefert, der Herr Lindley, noch verdienstvoller aber seine Feldforschungen mit Henry Kaiser in Madagaskar und Norwegen, wovon jeweils zwei Alben zeugen. Guter Mann, unverzichtbar so einer.

Kursaal Flyers: The Great Artiste (1975)

In Rocklexika firmieren die Kursaal Flyers unter „Pubrock“ – sofern man sie überhaupt erwähnt. „The Great Artiste“ jedoch ist etwas ganz eigenes, eine Mischung aus Rock und Vaudeville, Reggae und Ballade, Folk und weiß der Teufel noch was. Der Sänger singt bisweilen göttlich schmierig, die Bass-Line von „Cruisin‘ For Love“ ist zeitlos, und „Hypochondriac“ macht dich krank vor lauter Schönheit. 1975, ein Jahr, bevor der große Punk auf die Straße kotzte. Die Flyers haben’s nicht überlebt, aber heute, wo es ja schon „Kult“ genannt wird, wenn sich eine Tussi im Fernsehen die Zungenspitze abbeißt, heute also wäre es an der Zeit, sich den wahren Kultobjekten zu widmen. Den Kursaal Flyers beispielsweise und ihrer wunderbaren Platte „The Great Artiste“.

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